Wenn der Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe allzu farbenfroh daherkommt, dann ist das ganz und gar kein gutes Zeichen – zumindest dann nicht, wenn es sich um eine Arbeitsgruppe der möglichen künftigen Koalitionspartner Union und SPD handelt. Farbenfroh bedeutet in diesem Fall nämlich: Die Unterhändler beider Seiten haben sich auch nach zweiwöchigen Beratungen in einer Vielzahl von Punkten nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen können. Stattdessen wird die Position der Union in Blau, die der SPD in Rot wiedergegeben. Nur die Passagen, über die Einvernehmen erzielt wurde, sind in schwarzer Schrift abgefasst.
Damit wäre man beim Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Finanzen: Er ist bunt. Sehr bunt sogar. Oder anders gesagt: Die Parteien liegen in praktisch allen wesentlichen Fragen insbesondere der Steuerpolitik so meilenweit auseinander, dass im Moment kaum vorstellbar ist, wie aus den jeweiligen blauen und roten Passagen jemals schwarze werden sollen.
Die SPD will fast alle ent-, einige aber auch belasten
Die Union etwa möchte laut Protokoll die „arbeitende Mitte“ der Gesellschaft durch eine Einkommensteuerreform entlasten. Dafür will sie den sogenannten Mittelstandsbauch abflachen, jenen fiesen kleinen Knick im Steuertarif, der dafür sorgt, dass die Steuerbelastung ausgerechnet im unteren Einkommensbereich mit jedem zusätzlich verdienten Euro besonders steil ansteigt.
Der Spitzensteuersatz soll bei 42 Prozent bleiben, aber erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von mehr als 80 000 Euro greifen. Derzeit liegt die Schwelle mit knapp 68 500 Euro deutlich niedriger.
Die SPD hingegen hat ganz andere Vorstellungen. Sie will den Grundfreibetrag um 1000 Euro erhöhen und damit alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten. Zugleich allerdings sollen Topverdiener an anderer Stelle belastet werden, sodass sie unter dem Strich mehr und nicht weniger zahlen als heute. Dazu soll der Spitzensatz für zu versteuernde Einkommen von mehr als 83 600 Euro von heute 42 auf 47 Prozent erhöht werden. Der sogenannte Reichensteuersatz, der ab knapp 280 000 Euro greift, würde von 45 auf 49 Prozent steigen. Unter dem Strich, so die Idee der Sozialdemokraten, werden damit 95 Prozent der Steuerzahler entlastet – und das Ganze kostet den Staat keinen Cent.
Nicht einmal alle Finanzexperten der SPD selbst sind allerdings davon überzeugt, dass diese Rechnung aufgeht. Deshalb hat die Partei einige weitere Forderungen im Gepäck, die im AG-Bericht nicht nur in roter Schrift festgehalten sind, sondern für die Union auch ein ebenso gefärbtes Tuch darstellen dürften. So wollen die Sozialdemokraten die Vermögensteuer reaktivieren, die Erbschaftsteuer für Firmenerben erhöhen, eine EU-Steuer auf Finanztransaktionen einführen und die Abgeltungsteuer auf private Kapitaleinkünfte von 25 auf 30 Prozent anheben.
In einigen Punkten sind sich die Parteien auch einig
Ähnlich disparat sind die Vorstellungen der potenziellen Koalitionspartner mit Blick auf Unternehmen. So verlangt die CDU, die Körperschaftsteuer für Aktiengesellschaften und GmbHs bis 2029 in vier Schritten von heute 15 auf zehn Prozent zu reduzieren. Damit soll das Hochsteuerland Deutschland für Konzerne im In- und Ausland wieder attraktiver werden. Auch sollen Verluste leichter verrechnet und steuersparende Abschreibungsmöglichkeiten für investierende Unternehmen deutlich ausgeweitet werden.
Letzterer Punkt, immerhin, findet sich auch im anschließenden rot gefärbten SPD-Absatz. Ansonsten aber, so schreiben die Sozialdemokraten, müsse sich die Steuerpolitik der künftigen Bundesregierung „an den finanzpolitischen Realitäten von Bund, Ländern und Kommunen“ orientieren. Soll heißen: Für Unternehmensteuersenkungen ist schlicht kein Geld da. Allenfalls 2029 kann sich die SPD eine marginale Reduzierung des Körperschaftsteuersatzes von 15 auf 14 Prozent vorstellen. Es ist wohl nicht gewagt zu behaupten, dass eine solche Reform gerade internationale Investoren nicht allzu sehr elektrisieren dürfte.
Unstimmigkeiten gibt es auch beim Ehegattensplitting, bei der Haushaltskonsolidierung, der Entschuldung der Kommunen, dem Länderfinanzausgleich und einer Reihe weiterer Punkte. Manches hingegen ist auch in schwarzer Schrift abgefasst: Um Menschen zu animieren, mehr zu arbeiten, sollen etwa Überstunden von der Steuer befreit werden und Rentner bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei verdienen dürfen. Die Pendlerpauschale wird nach den Vorstellungen der drei Parteien ebenso erhöht wie die Übungsleiter- und die Ehrenamtspauschale. Geldwäsche soll besser bekämpft, die Steuerbürokratie abgebaut werden. Na, immerhin.