Süddeutsche Zeitung

Koalitionssuche:Neue Welt: Grün und Gelb

Es gibt viele Gründe, warum FDP und Grüne nicht zusammenpassen. Aber viele mehr, warum sie es trotzdem versuchen müssen. Mit Trump, Brexit und AfD braucht die Demokratie ein neues Denken.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Grüne und Liberale in einer Koalition? Das will ich nicht ausschließen, sagt Monika Heinold. Vollkommen unmöglich, sagt Sylvia Löhrmann. Anfang der Woche sind die beiden Grünen-Politikerinnen in Berlin aufgetreten - und haben gezeigt, wie sehr sie in unterschiedlichen Welten leben.

Heinold, die mit den Grünen in Schleswig-Holstein gerade knapp 13 Prozent holte, erklärte zum Umgang mit der FDP, sie wolle nicht schlecht über andere reden, sondern gut über sich selber. Löhrmann dagegen, die am Sonntag in Nordrhein-Westfalen um den Einzug in den Landtag bangen muss, betonte entschlossen, die FDP sei eine ,,neoliberale und marktradikale Partei''; mit der könne man nicht koalieren. Zwei Grüne und zwei sehr unterschiedliche Ansätze im Umgang mit der eigenen Zukunft.

Heinold öffnet den Blick, ohne sich zu verbiegen. Löhrmann nährt alte Feindbilder, um sich zu stabilisieren. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die alten Lager und Zweier-Koalitionen aus Schwarz-Gelb oder Rot-Grün keine Zukunft mehr haben. Man könnte auch sagen: Sie tendiert gegen null in den vergangenen Jahren. Kann man da noch in den gewohnten Rastern denken? Ja, man kann. Aber man nimmt sich dann immer stärker selbst aus dem Rennen.

Nun muss man einräumen, dass es natürlich Gründe gibt, warum Grüne und Liberale nicht zusammenpassen. Die einen wollen eine Vermögensteuer, die anderen wollen milliardenschwere Steuerentlastungen - wie soll das nur zusammenpassen? Die einen wollen die Wirtschaft ökologisch umbauen, die anderen die freien Kräfte entfalten. Die einen planen mit Auflagen und Grenzwerten, beispielsweise bei der Automobilindustrie, die anderen wollen Regeln und Bürokratie abbauen. Das kann nicht gutgehen. Oder?

Diese Frage hängt nicht an einzelnen Details. Sie hängt ab vom Grundverständnis. Klar ist, dass die Linken bei den Grünen und die Marktliberalen bei der FDP bis heute vor allem "Pfui Spinne!" rufen. Das breite Publikum aber (ja, das gibt es auch bei den Grünen und den Liberalen), kann diese Reflexe nicht mehr hören. Es will nicht mehr erklärt bekommen, was alles nicht geht. Die Leute wollen Lösungen haben. Kluge, moderne, ökologisch aufgeschlossene Pläne und Vorschläge, keine ideologischen Besserwissereien.

Sie wünschen sich einen Staat, in dem Schulen und Schwimmbäder nicht verfallen. Aber sie wollen auch keine maßlosen Steuern bezahlen, damit der Staat am Ende überall mitredet. So langweilig das im ersten Moment klingen mag: Sie wünschen sich eine kluge Mitte. Sie setzen auf eine intelligente Kombination aus grünen und liberalen Zielen.

Es geht nicht um eine Versuppung aller Programme

Wer das nicht belächelt, sondern ernst nimmt, sollte die Kraft haben, sich nicht von Feindbildern, sondern den möglichen Brücken leiten zu lassen. Um es konkret zu machen: Er sollte überlegen, wie sich liberale Steuerentlastungen mit grüner Familienförderung verbinden ließe - oder grünes Kämpfen um Elektromobilität mit liberaler Wirtschaftsförderung für die Autobranche. Ideologen sagen: Das ist unmöglich. Brückenbauer können einwenden, dass das Gegenteil der Fall ist.

Warum nicht Steuerentlastungen für Familien? Warum keine Anreize für die Autobauer, damit sie schneller den Umbau schaffen? Ein solcher Koalitionsvertrag wäre nicht einfach, aber er wäre alles andere als undenkbar.

Zumal es keineswegs bedeuten müsste, schon im Wahlkampf eigene Ziele zu verwässern, um nach dem Wahltag Kompromisse zu finden. Auch wenn bis heute viele bei den Grünen und in der FDP so denken - das Gegenteil wäre nötig.

Es geht nicht um eine Versuppung aller Programme und eine frühzeitige Vermischung der politischen Ziele. Man kann bei einem wie Jürgen Trittin lernen, dass vor dem Kompromiss die Kenntlichmachung der eigenen Positionen liegen muss. Nur wenn alle die eigenen Ziele benennen und die des anderen kennen, lassen sich wirklich stabile Kompromisse aushandeln. Nur dann auch wäre es möglich, bei bestimmten Punkten mal dem einen und mal dem anderen echten Spielraum zu überlassen. Das ist nicht feige, sondern mutig.

Voraussetzung dafür ist allerdings eines: Es verlangt, ganz im Sinne der Heinold-Methode, dass man den anderen nicht diffamiert und nicht zum gefährlichen Gegner stilisiert. Wer in Zeiten von Donald Trump, Brexit oder AfD noch immer glaubt, am besten Punkte zu sammeln, indem er anderen Demokraten ihre Legitimität abspricht, hat die Botschaft nicht verstanden, die von der breiten Welle der Rechtspopulisten ausgeht. Die leben davon, alle anderen zu diffamieren und zum Gegner zu machen. Das hat in den USA, in Großbritannien, auch in Europa die Lage dramatisch verändert.

Wer darauf klug reagieren will, muss alte Feindbilder über Bord werfen. Neue Zeiten brauchen neues Denken.

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