Koalitionssuche in Berlin:Schwere Arbeit statt lässigen Reggaes

  • Ab Mittwoch treffen sich Union, FDP und Grüne, um über ein Jamaika-Bündnis zu diskutieren.
  • Das schlechte Ergebnis der CDU in Niedersachsen hat die Stimmung zwischen CDU und CSU nicht besser gemacht.
  • FDP und Grüne befürchten zudem, dass die CSU sich durch den Rechtsruck in Österreich in ihrer Politik bestätigt sieht.

Von Constanze von Bullion, Nico Fried, Mike Szymanski und Wolfgang Wittl

Nur noch zweimal schlafen. So sagt es Angela Merkel nicht, aber so wirkt sie. Noch zweimal schlafen, dann sondieren Union, FDP und Grüne endlich. Dann muss Merkel erst mal nichts mehr hören von Richtungsstreit, von schlechten Wahlergebnissen, von Ober- oder sonstigen Grenzen - den Grenzen ihrer Macht, zum Beispiel, und ihrer Überzeugungskraft. Dann muss sie nicht mehr über die Niederlage des Herrn Althusmann in Niedersachsen reden, nicht mehr darüber, was sie mit 63 und nach 12 Jahren im Amt vom nicht einmal halb so alten Sebastian Kurz in Österreich zu lernen gedenkt.

Merkel selbst hat die Gespräche hinausgezögert. Wegen der CSU. Wegen Niedersachsen. Wahrscheinlich bereut sie es, denn einfacher geworden ist nichts. Aber wenn sie endlich in den Sondierungen sitzt, wird sie sich wohler fühlen. Sie kann in den Details der Sozialsysteme schwelgen, die EEG-Richtlinie referieren, flüchtlingspolitische Fortschritte reklamieren.

Verhandlungen liegen Merkel. Vor mehr als 20 Jahren hat sie als junge Umweltministerin das Kyoto-Protokoll verhandelt und gelernt, wie hilfreich Zähigkeit ist. Andererseits: Was ist schon ein globales Klimaabkommen gegen die Bändigung von vier Parteien auf dem Weg nach Jamaika?

Geduldsprüfung für die CSU

In der CSU haben sie zuletzt fast schon die Stunden bis zur Niedersachsen-Wahl gezählt. Es erforderte in München ein hohes Maß an Selbstbeherrschung, mit Rücksicht auf den Wahlkampf stillzuhalten. Die größte Geduldsprüfung hat der CSU mal wieder Innenminister Thomas de Maizière (CDU) auferlegt, der laut über muslimische Feiertage nachdachte. In normalen Zeiten, sagt ein CSU-Mann, wäre da "so ein Brett aus Bayern" zurückgekommen.

Doch jetzt sei "die Zeit der Zurückhaltung der letzten drei Wochen ja vorbei", frohlockt Generalsekretär Andreas Scheuer. Was das heißt? Die Sondierungen mit CDU, Grünen und FDP würden "nicht geprägt sein von Reggae und Bob Marley und irgendeinem lässigen Style, sondern Jamaika wird ein sehr schweres Stück Arbeit". Inhaltlich lägen die Partner "meilenweit auseinander", so der Generalsekretär - wobei offen bleibt, ob damit auch CDU und CSU gemeint sind. Die bayerische Analyse zu Niedersachsen klingt wie eine Warnung an die CDU: "Der bundesweite Trend der Unzufriedenheit ist nicht gestoppt."

Seit Montag läuft in der CSU die Operation "Kampf um die absolute Mehrheit in Bayern" - Rücksichtnahme war gestern. CSU-Chef Horst Seehofer sagt zwar, man wisse, dass man mit Partnern in Berlin auch Kompromisse eingehen müsse. Aber "für die Zukunft der Union ist es ganz wichtig, dass wir uns auch in diesen Verhandlungen inhaltlich klar als bürgerlich-konservative Kraft positionieren", so Seehofer.

Niedersachsen hat da gar nicht so viel geändert. "Es wäre auch sonst nicht leicht geworden. Es ist ein anspruchsvolles Unternehmen." CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verweist auf die Wahl in Österreich. Die habe gezeigt, "dass Wahlen Mitte-rechts gewonnen werden können".

Kubicki hat Österreich im Blick

So wie Österreich. Das haben FDP und Grüne schon befürchtet, dass die CSU jetzt damit ankommt. Christian Lindner, der Chef der Liberalen, kann mit den 7,5 Prozent für die FDP in Niedersachsen eigentlich gut leben. Das Ergebnis fällt nicht so schlecht aus, dass man bei den Liberalen in Vorwürfe abdriften oder in Zweifel geraten müsste. Mit Blick auf Jamaika im Bund lässt sich daraus vor allem weder grundsätzliche Ablehnung noch Euphorie ableiten. Das passt zu Lindners Strategie. Er will, dass alle glauben, Jamaika sei für die Liberalen kein Muss. Parteivize Wolfgang Kubicki antwortet auf die Frage, was die FDP im Bund aus dem Niedersachsen-Ergebnis lernen könne: "Nichts."

Kubicki hat Österreich im Blick. Er befürchtet vor allem, dass die CSU "die falschen Schlüsse" zieht und alte Gräben mit der CDU in der Flüchtlingspolitik wieder aufbrechen. "Das wird die Gespräche belasten", sagt er. Ähnliche Befürchtungen haben auch die Grünen. Nicht Niedersachsen sei das Problem, sondern Österreich und der Glaube der CSU, dass man nach rechts rücken müsse, um zu gewinnen.

Zur Klimaerwärmung zwischen den potenziellen Koalitionären in Deutschland dürfte aber auch die Wahl im Norden nicht führen. Fünf Prozentpunkte unter ihrem Ergebnis von 2013 liegen die Grünen, die Koalition mit der SPD ist abgewählt. "Wir haben das sehr bedauert", sagt die Parteivorsitzende Simone Peter am Montag in Berlin, um dann umgehend auf Einbußen anderer zu verweisen. Drei Wochen nach der Bundestagswahl habe die CDU erneut eine Wahl verloren, CSU-Chef Horst Seehofer stehe weiter "unter Druck", sagt Peter. Der Union sei es nicht gelungen, sich zu stabilisieren. "Das macht es für die Koalitionsgespräche nicht einfacher."

Trittin teilt aus gegen CDU und FDP

Der Parteilinke Jürgen Trittin hatte es in der Wahlnacht noch schärfer formuliert. "Es ist immer schwierig, mit geschwächten Partnern zu verhandeln", sagte er im ZDF. "Die CDU in Niedersachsen ist heute ungefähr da, wo sie in den 50er-Jahren mal angefangen hat." Es sei "verantwortungslos", dass die FDP sich einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen verweigere, so Trittin. Die Schärfe des Tons hat auch in den eigenen Reihen für Irritation gesorgt.

Immerhin erhält die FDP so die Gelegenheit, sich als souverän, ja abgeklärt zu profilieren. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nennt Trittins Äußerung "Theaterdonner" und eine "Einzeläußerung", die sich vom Rest der Grünen abhebe. Ein liberales Präsidiumsmitglied stichelt, Trittin sei eine "alte Rampensau". Die Bemerkung? Verziehen. "Jeder hat einen Schuss frei." Aber die Woche hat ja gerade erst angefangen.

Am Mittwoch trifft die Union erst die FDP, dann die Grünen. Am Donnerstag reden Grüne und FDP ohne Union miteinander, am Freitag alle zusammen. Die Wähler hätten den Parteien einen Auftrag erteilt, sagt Merkel in ihrer Pressekonferenz. Dem stelle man sich jetzt. Ob sie nach Bundestagswahl und Niedersachsen geschwächt sei, wird die Kanzlerin gefragt. "Also, ich gehe...", sagt Merkel und setzt dann noch einmal neu an: "Wir als CDU und als Union gehen in diese Sondierungen mit dem Selbstverständnis, dass wir die stärkste Kraft unter diesen Sondierern sind." Das Ergebnis von Niedersachsen sehe sie "nicht als Schwächung für diese Aufgabe" an. Außerdem wolle die CDU jetzt mal das Positive hervorheben und fragen: Was braucht Deutschland? "Konflikte", das weiß die Verhandlerin Merkel, "gibt es dann noch genug."

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