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Koalitionsstreit um BND-Affäre:Experte soll Einsicht in die Selektorenliste erhalten

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Ein Experte soll Einblick in BND-Unterlagen erhalten

In der Regierungskoalition bahnt sich möglicherweise eine Lösung im Streit um den Bundesnachrichtendienst und die so genannte Selektorenliste an. CDU/CSU und SPD erwägen offenbar, einen Sachverständigen einzusetzen, der die umstrittene BND-Netz-Suche begutachten soll. Der Experte bekäme demnach Zugang zu den BND-Unterlagen und müsste entscheiden, ob mit der Selektorenliste gravierend gegen deutsche Interessen verstoßen worden war.

Der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sagte, noch gebe es keine endgültigen Vorstellungen, wie genau die Experten-Rolle konstruiert würde. In der SPD wird erwogen, entweder einen Sachverständigen nach den Regeln des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu bestellen oder einen Ermittlungsbeauftragten nach den Vorschriften zum Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, ein Ermittlungsbeauftragter sei "ein gangbarer Weg". Letztendlich könnten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits am Mittwoch am Rande der Kabinettssitzung auf ein Verfahren einigen.

Beide Koalitionspartner waren am Montag sichtlich bemüht, den politischen Streit zu dämpfen. Sowohl Merkel wie Gabriel überboten sich mit Beschwichtigungen. Gabriel sagte, er rechne mit einem Konsens im Konflikt um die NSA-Spähliste. Er sei sicher, dass sich der Bundestag auf ein Verfahren einigen werde. Merkel betonte den Wert der Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten von Partnerstaaten. "Wir müssen immer im Auge haben: Wir brauchen Nachrichtendienste. Und wir brauchen eine enge Kooperation zwischen diesen Diensten."

Soll die Liste auch ohne Zustimmung der US-Regierung veröffentlicht werden?

Gabriel hatte in den vergangenen Tagen mehrfach das Bundeskanzleramt zur Aufklärung aufgefordert. Der BND hatte in Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst NSA eine umfassende Liste von Suchbegriffen in den deutschen Abhör-Betrieb eingespeist. Dabei ist unklar, ob befreundete Regierungen, EU-Institutionen oder gar Wirtschaftsunternehmen auf der Spähliste standen und ob diese Suche gegen deutsche Interessen verstoßen hat.

Ein Kernpunkt der Auseinandersetzung ist nun die Frage, ob die Liste auch ohne Zustimmung der US-Regierung veröffentlicht werden soll. Außerdem muss geklärt werden, ob der BND mit der Liste gegen seinen gesetzlichen Auftrag verstoßen haben könnte.

Auf die Frage, ob es auch innerhalb der großen Koalition und angesichts der SPD-Kritik noch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Vize-Kanzler Sigmar Gabriel gebe, antwortete Merkel knapp: "Die Frage kann ich mit einem schlichten "Ja" beantworten." Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagte, die SPD habe mit ihrem Angriff auf das Kanzleramt die Atmosphäre in der Koalition belastet. "Das hat natürlich auch das Koalitionsklima etwas betroffen, wenn so schrille Töne aus der Parteizentrale der SPD kommen", so Kauder. "Das hat sich jetzt wieder etwas beruhigt."

Hollande spricht von "wunderbarer Zusammenarbeit"

Auch der französische Präsident François Hollande äußerte sich während eines Berlin-Besuchs zu dem Thema. Er sehe durch die Affäre die beiderseitigen Beziehungen nicht belastet, sagte Hollande. Er habe "vollstes Vertrauen", dass die zuständigen Gremien in Deutschland die Tatsachen ans Licht bringen. Zu den Ausspähzielen sollen auch Personen in der französischen Regierung gehören. Hollande sprach angesichts der Zeiten großer Bedrohungen von "einer wunderbaren Zusammenarbeit", die ebenfalls auf Vertrauen beruhe.

Grüne und die Linke warfen den Sozialdemokraten vor, Aufklärungswillen nur zu demonstrieren. Sie lehnen einen Ermittlungsbeauftragten ab und fordern, dass die Listen mit US-Spionagezielen vom NSA-Untersuchungsausschuss eingesehen werden können.

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