Koalitionsstreit:Alles nur Getöse: CSU poltert gegen Westerwelle

Während die Union ihre Attacken auf ihren Koalitionspartner verschärft, bleibt der Unruhestifter unbeirrt: "Ich vertrete nur, was nötig ist", erklärt FDP-Chef-Westerwelle.

Die Kritik in der Union an FDP-Chef Guido Westerwelle und dessen provokanten Thesen in der Sozialstaatsdebatte schwillt an. Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) warf Westerwelle "Hilflosigkeit" vor. "Wer keine konstruktiven Ideen hat, macht eben Getöse", sagte Haderthauer der Leipziger Volkszeitung. Die FDP habe zum Thema Sozialstaat bislang nichts beigesteuert, was die Gesellschaft weiterbringe.

Westerwelle, Getty Images

Guido Westerwelle hält an seinen umstrittenen Thesen fest: "Ich vertete nur, was nötig ist."

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CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe rief in der Süddeutschen Zeitung die Liberalen unmissverständlich zur Mäßigung auf und ging deutlicher als zuvor Kanzlerin Angela Merkel auf Distanz zum Koalitionspartner.

"Fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne erschweren nur die notwendige Debatte über die Umsetzung der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", sagte Gröhe der SZ. "Dies ist nicht die Tonlage einer Volkspartei", fügte der Generalsekretär hinzu. Bereits am Freitag distanzierte sich Merkel von ihrem Vizekanzler. "Das ist sicherlich weniger der Duktus der Kanzlerin", ließ die CDU-Vorsitzende über eine Sprecherin mitteilen.

Westerwelle hatte in den vergangenen Tagen wiederholt die Höhe der Sozialausgaben in Deutschland moniert. In einem Gastbeitrag für die Welt schrieb der Vizekanzler, die Diskussion nach der Karlsruher Hartz-IV-Entscheidung habe "sozialistische Züge". "Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein", erklärte der FDP-Chef.

"Ich vertrete nur, was nötig ist"

Nachdem von vielen Seiten Kritik an den Äußerungen des Chef-Liberalen laut wurde, erklärte Westerwelle, er werde keine seiner Äußerungen zurücknehmen. "Wenn jemand den Finger in die Wunden des linken Zeitgeistes legt, ist die Empörung immer groß", sagte der FDP-Vorsitzende der Frankfurter Rundschau und wiederholte seine Warnung vor "geistigen Sozialismus." Er werde weiter eine Politik machen, die der Wahrheit verpflichtet sei und fügte hinzu: "Ich vertrete nur, was nötig ist".

Am Montag hatte Westerwelle eine Generaldebatte über Hartz IV und soziale Gerechtigkeit im Bundestag verlangt. Merkel habe nach Angaben eines Sprechers keine Einwände, sehe aber auch keinen Zeitdruck. Die für Mitte März anberaumte Haushaltsdebatte sei der richtige Ort für allgemeine Diskussionen, sagte ein Regierungssprecher.

Westerwelle verlangte von Merkel nicht ausdrücklich, dass sie in der Bundestagsdebatte über den Sozialstaat das Wort ergreift. "Es ist jedermanns Recht, sich an einer solchen Debatte zu beteiligen - im Bundestag wie in der gesamten Gesellschaft", sagte Westerwelle dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Aus seiner Partei erhält Westerwelle Rückendeckung. "Hier wird von denen, die diese sozialen Missstände - auch die falschen Berechnungen - zu verantworten haben, von der eigenen Verantwortung abgelenkt. Das war Rot-Grün, das war Schwarz-Rot", sagte Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil im Bayerischen Rundfunk.

Die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger widerspricht Aussagen, die von Westerwelle angestoßene Sozialdebatte könne den Zusammenhalt der Gesellschaft torpedieren. "Uns geht es darum, dass die Balance, die Statik im Sozialstaat stimmt. Und da wissen wir sehr viele Bürger hinter uns", sagte Homburger der Südwest Presse.

"Weil die Löhne nicht mehr zum Leben reichen"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält eine Debatte über soziale Gerechtigkeit und über Hartz IV für überfällig, kritisiert aber, dass Westerwelle sich dem Kernproblem nicht stelle. Die Hartz-Reformen, die der FDP nie weit genug gegangen seien, hätten massiv dazu beigetragen, dass ein Arbeitsplatz heute kein Garant sozialer Sicherheit mehr sei, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Neuen Osnabrücker Zeitung.

Buntenbach argumentierte: "Erst Hartz IV hat so letztlich dazu geführt, dass hunderttausende Beschäftigte zu Hartz-IV-Beziehern werden - weil die Löhne nicht mehr zum Leben reichen." Westerwelle versuche dagegen den Eindruck zu erwecken, die Hartz-Regelsätze seien überproportional gestiegen, weshalb sich Arbeit angeblich nicht mehr lohne. Tatsächlich sei der Regelsatz seit 2005 um rund 4 Prozent von 345 Euro auf 359 Euro gestiegen. Die Teuerungsrate habe in derselben Zeit 8,4 Prozent betragen.

Katalog von Härtefällen

Der Sozialverband VdK fordert eine großzügige Auslegung der Härtefall-Regelung bei Hartz IV. Klassenfahrten und Nachhilfeunterricht sollten über die Härtefallregelung finanziert werden, sagte VdK-Chefin Ulrike Mascher der Rheinischen Post. Auch das Ersetzen eines kaputten Herds oder einer defekten Waschmaschine müsse künftig wieder möglich sein. "Es ist völlig unrealistisch, dass jemand vom Hartz-IV-Regelsatz in Höhe von 359 Euro jeden Monat ein paar Euro zurücklegen kann, um für einen solchen Notfall gewappnet zu sein", sagte Mascher.

Nach Informationen der Ruhr Nachrichten hat die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits einen Katalog von Härtefällen gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erarbeitet. Die Liste, die dem Bundesarbeitsministerium zugeleitet wurde und von diesem noch genehmigt werden muss, bezieht sich demnach auf eng begrenzte Fälle.

Für chronisch Kranke würden auch nicht verschreibungsfähige Arzneimittel bezahlt. Rollstuhlfahrer könnten Kosten für Haushaltshilfen geltend machen. Der Nachhilfeunterricht für Kinder würde bezahlt, wenn die Versetzung gefährdet ist. Übernommen würden auch Fahrtkosten bei getrennt lebenden Paaren, damit Eltern ihre Kinder sehen.

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