Koalitionsgipfel:So will die Regierung die Deutschen entlasten

Koalitionsgipfel: Das dritte Entlastungspaket hilft nun auch jenen, die bei den bisherigen Maßnahmen nach Ansicht vieler zu kurz gekommen waren: alte Menschen.

Das dritte Entlastungspaket hilft nun auch jenen, die bei den bisherigen Maßnahmen nach Ansicht vieler zu kurz gekommen waren: alte Menschen.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

300 Euro für Rentner, 200 für Studierende sowie niedrigere Strompreise für alle: Wie das 65 Milliarden Euro schwere Hilfspaket der Bundesregierung wirken soll.

Von Markus Balser, Berlin

Die Strompreise sind explodiert, am Freitag drehte der russische Gazprom-Konzern dann nun auch noch die Pipeline Nord Stream 1 auf unbestimmte Zeit zu. Damit verschärft sich Deutschlands Energiekrise erneut. In einer nächtlichen Sitzung hat sich die Ampelkoalition am Sonntagmorgen nun auf ein neues Hilfspaket geeinigt. Die Zahlen sind groß, die Bundesregierung kündigt Hilfen über 65 Milliarden Euro an. Doch längst nicht alle Pläne sind schon in trockenen Tüchern. Die Süddeutsche Zeitung fasst die wichtigsten Beschlüsse zusammen und zeigt, wo die Bundesregierung noch nacharbeiten muss:

Strompreisbremse gegen Konzerngewinne

Vor allem bei den rasant steigenden Strom- und Energiepreisen will die Koalition gegensteuern. Um die privaten Haushalte etwa bei den Stromkosten zu entlasten, will die Bundesregierung eine "Strompreisbremse" einführen. Die Ampelkoalition hat sich darauf geeinigt, dafür übermäßige Gewinne bei den Energiefirmen abzuschöpfen. Solche "Zufallsgewinne" sollen wegen der hohen Energiepreise innerhalb des Strommarkt-Systems zurück an die Verbraucher fließen, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz an. In der Regierung ist von einer umgekehrten EEG-Umlage die Rede, die nun Konzerne zahlen müssten.

Es geht der Koalition darum, Stromerzeuger zu belasten, die nicht auf das derzeit sehr teure Gas angewiesen sind, aber dennoch von generell hohen Energiepreisen profitieren. Die Gewinne von Stromerzeugern aus erneuerbaren Quellen, Kohle oder auch Atomkraft sind derzeit sehr hoch. Der Strompreis wird an den Börsen von den teuersten Kraftwerken bestimmt - den Gaskraftwerken. Nur die aber haben auch äußerst hohe Kosten.

Die Koalition will solche "Zufallsgewinne" von Konzernen zur Entlastung von Stromkunden einsetzen. Man werde sich für eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene starkmachen, kündigte die Regierung an. Gehe das nicht schnell genug, setze Deutschland sie national um. Finanzminister Christian Lindner (FDP) zufolge lasse sich so ein zweistelliger Milliardenbetrag umverteilen und der Preis für den "Basisverbrauch" von Haushalten und kleinen Unternehmen senken. Allerdings sind viele Details noch unklar. Eine solche Strompreisbremse gilt als juristisch heikel. Innerhalb der Regierung gibt es Zweifel, ob sie sich wirklich schnell umsetzen lässt. Zuständig ist der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Um weitere Kostensteigerungen beim Strom, aber auch bei Benzin oder Diesel zu vermeiden, verschiebt die Regierung die ab Januar anstehende Erhöhung des CO₂-Preises um ein Jahr. Die Kritik daran fiel am Sonntag heftig aus. "Das Aussetzen ist ein katastrophales Signal für den Klimaschutz", sagte Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Die Bundesregierung muss bei einem Entlastungspaket die langfristige Transformation mitdenken. Dies fehlt völlig im Entlastungspaket."

Nachfolger für Neun-Euro-Ticket

Geeinigt hat sich die Koalition auch auf eine Nachfolgelösung für das Neun-Euro-Ticket - ohne konkret werden zu können. Ziel sei eine Preisspanne für ein monatliches, bundesweit nutzbares Ticket zwischen 49 und 69 Euro, heißt es im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses. Der Bund will dafür 1,5 Milliarden Euro zahlen. Allerdings nur, wenn die Länder den gleichen Betrag bereitstellen. Und hier beginnen die Probleme. Denn Bund und Länder sind wegen der Finanzierung des Nahverkehrs derzeit zerstritten. Die Länder fordern vom Bund Milliardenhilfen, Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lehnt das bislang ab. Eine schnelle Lösung des Streits ist nicht in Sicht. Die Länder hatten zuletzt eine finanzielle Beteiligung an einer Nachfolgelösung für das populäre Neun-Euro-Ticket wegen der knappen Finanzen abgelehnt. Laut Wissing soll die neue Ticketlösung aber schon zum Jahreswechsel kommen. Um Einsparungen bei CO₂-Emissionen zu ermöglichen, sieht die Einigung im Verkehrsetat rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlich für den Schienenverkehr vor - möglicherweise schafft das Spielraum für eine Einigung zwischen Bund und Ländern.

Hunderte Euro für Rentner und Studierende

Klar ist dagegen, dass die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland Ende des Jahres eine Einmalzahlungen bekommen werden. Sie erhalten zum 1. Dezember 2022 eine sogenannte Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro. Das entspricht insgesamt einer Entlastung von etwas mehr als sechs Milliarden Euro. Auch Studierende sollen einmalig 200 Euro wegen der steigenden Energiekosten bekommen. Dafür wird der Bund die Kosten allein tragen. Einen Auszahlungstermin gibt es dafür allerdings noch nicht. Man werde nun mit den Ländern beraten, wie der Transfer schnell und unbürokratisch erfolgen kann, teilte die Regierung mit.

Mehr Wohn- und Kindergeld

Mehr Menschen als bisher sollen in Zukunft zudem Wohngeld bekommen. Der Kreis der Berechtigten werde auf zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert, heißt es in dem Regierungsbeschluss. Bislang gibt es etwa 640 000 Empfänger. Kanzler Scholz kündigte die Pläne als die seit Langem "größte Wohngeldreform" an. Das helfe denjenigen, die ein kleines Einkommen hätten, sagte er. Wohngeld ist eine Sozialleistung, die Bürger wegen ihres geringen Einkommens als Zuschuss für die Miete bekommen. Die Empfänger sollen für die anstehende Heizperiode zudem einen einmaligen Zuschuss erhalten, ein Ein-Personen-Haushalt etwa 415 Euro, Zwei-Personen-Haushalte 540 Euro. Für jede weitere Person sollen 100 Euro gezahlt werden.

Auch das Kindergeld soll leicht steigen. Vom kommenden Jahr an bekommen Eltern für das erste und zweite Kind 18 Euro mehr pro Monat. Zudem soll der Höchstbetrag des Kinderzuschlags nochmals um 21 Euro auf 250 Euro steigen.

Weniger Steuern, leichtere Hilfen für Beschäftigte

Die Bundesregierung will auch Beschäftigte entlasten und eine Schieflage im Steuersystem bekämpfen. Denn viele Beschäftigte profitieren von Gehaltserhöhungen bislang nicht. Sie werden oft schon dadurch wieder aufgefressen, dass die Arbeitnehmer in einen höheren Steuersatz rutschen. Dieses "kalte Progression" genannte Phänomen will die Bundesregierung vermeiden und die Eckwerte bei der Einkommensteuer anpassen. Davon sollen die 48 Millionen Steuerpflichtigen profitieren. Der Bund will zudem zusätzliche Zahlungen der Arbeitgeber an die Beschäftigten bis zu einer Höhe von 3000 Euro von Steuern und Abgaben freistellen. Das soll freiwillige Zahlungen der Firmen erleichtern und so vermeiden, dass die Inflation die Lohnforderungen weiter antreibt und damit die Preise noch stärker steigen lässt.

Mehr Geld für Arme

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) wird zum 1. Januar 2023 umgewandelt in ein Bürgergeld, das rund 50 Euro höher ausfallen wird als die bisherigen monatlichen Zahlungen. Zudem wird die Berechnung umgestellt. In der wird künftig die jeweils zu erwartende Inflation bereits berücksichtigt - dies war bislang nicht der Fall, was wegen der hohen Inflation zu einer Schieflage geführt hatte. Der Regelsatz für Alleinstehende steigt damit von 449 Euro auf etwa 500 Euro. Die Regelsätze für Mehrpersonen-Haushalte und Kinder sollen auch entsprechend angepasst werden.

Auch das dritte Entlastungspaket will die Bundesregierung ohne die Aufnahme neuer Schulden stemmen. Der Bundeshaushalt 2023 werde wie geplant die Regeln der Schuldenbremse einhalten, sagte Finanzminister Lindner. Auch für das laufende Jahr sei kein Nachtragshaushalt notwendig. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte schon über mehrere Wochen um das Paket gerungen. Der Koalitionsausschuss aus den Spitzen von Regierung, Parteien und Fraktionen hatte sich dennoch erst am Sonntagmorgen nach einer nächtlichen Sitzung auf die Maßnahmen einigen können.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version des Textes war fälschlicherweise von sechs Millionen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland die Rede. tatsächlich sind es 21 Millionen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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