Süddeutsche Zeitung

Koalitionsgespräche in Wien:Was alles möglich ist in der Wundertüte Österreich

Anders als in Berlin ist bei der Koalitionssuche in Wien vieles offen. Straches rechte FPÖ hat gute Karten, doch die Trümpfe hält der künftige Kanzler Kurz - er kann sie auch erst später ausspielen.

Analyse von Oliver Das Gupta

"Mir wern kan Richter brauchen, um zu entscheiden, daß Wien schöner ist als Berlin. Aber das ist ja gerade das Unglück." (Karl Kraus)

Die Deutschen und die Österreicher haben ihre Bundesparlamente neu gewählt, gerade mal drei Wochen liegen zwischen beiden Urnengängen. Sowohl in Berlin als auch in Wien amtieren Koalitionen aus Sozialdemokraten und christlich-sozialen Konservativen - bislang. In beiden Fällen endet wohl das Bündnis, wobei die Konservativen jeweils weiterregieren und die Kanzlerämter übernehmen. Doch damit enden die großen Gemeinsamkeiten. Während die nächste deutsche Bundesregierung wohl aus einer nie dagewesenen Konstellation inklusive CSU und Grünen bestehen wird, ist bei den Österreichern ziemlich viel möglich. Das politische Wien gleicht einer Wundertüte. Eine Übersicht in fünf Kapiteln.

Das Ergebnis

Die vorgezogene Nationalratswahl vom 15. Oktober 2017 hat die politischen Verhältnisse auf Bundesebene kräftig umgepflügt. Dem erst am Donnerstagabend verkündeten Endergebnis zufolge sitzen im neuen Nationalrat fünf Parteien, bislang waren es sechs. Den Grünen fehlten mehr als 10 000 Stimmen, um die Vier-Prozent-Hürde zu überspringen, das von einem austro-kanadischen Milliardär initiierte Partei-Projekt Team Stronach hatte sich schon während der Legislaturperiode selbst zerlegt.

Im Parlament sitzen die liberalen Neos (5, 3 Prozent), der von den Grünen abgespaltene Peter Pilz mit seiner Listenneugründung (4,4 Prozent) und die stabile SPÖ (26,9 Prozent) sowie die beiden Wahlgewinner: Stärkste politische Kraft in Österreich ist nun die ÖVP (31,5 Prozent). Und die radikal rechte Freiheitliche Partei (FPÖ) legte kräftig zu (26,0 Prozent). Parteichef Heinz-Christian Strache hat nun gute Karten im Koalitionspoker.

Die Hauptakteure

Für die Koalitionsbildung in Wien sind persönliche Sympathien und Antipathien ein Faktor. Das Verhältnis von ÖVP-Obmann Kurz und Neos-Chef Matthias Strolz ist prima, politisch wie privat. Demonstrativ lud Kurz ihn auch als ersten Gesprächspartner zum Auftakt der Sondierungsgespräche am Freitag ein.

Mit SPÖ-Chef Kern will Kurz erst als letztem an diesem Sonntag reden. Der Noch-Kanzler und sein vermutlicher Nachfolger sind - so hört man aus der SPÖ - einander inzwischen spinnefeind. Vor allem nehmen es Sozialdemokraten Kurz übel, dass er Kerns Reformpaket Plan A zunächst in der Koalition torpediert habe, um dann Teile als eigene Forderungen für die Zukunft "anzupreisen".

Wechselhaft ist es bei Kurz und Strache. Viele Jahre hatte Strache auch deshalb gepunktet, weil er neben der politischen Konkurrenz jung und fesch wirkte. In diese Rolle ist nun Sebastian Kurz geschlüpft. Im Wahlkampf hatte der FPÖ-Chef den Außenminister wegen der Flüchtlingspolitik als Kopie von sich bezeichnet, als "Fake-Basti". Bei einem Gespräch mit der SZ Ende September in Innsbruck sagte Strache: "Kurz wirkt auf mich wie eine Hülle." Gefragt, ob ihm SPÖ-Kanzler Kern oder ÖVP-Außenminister Kurz mehr liegen würde, sagte Strache, beide seien "in den Kategorien Glaskinn, Eitelkeit und Prinzessinnengehabe sehr ähnlich". Eine Präferenz ließ er dennoch durchblicken: "Wenn es rein ums Zwischenmenschliche geht, halte ich Kern für sympathischer."

Seit der Wahl klingt Strache anders: Bei der ersten Pressekonferenz erkannte er den Kanzleranspruch von Kurz an, blieb inhaltlich vage, reklamierte für seine Partei - und wohl für sich - lediglich das Innenministerium. Inzwischen wurde bekannte, dass Kurz ihn bereits ein paar Tage nach der Wahl in seiner Privatwohnung besucht habe - ein "privater" Besuch, wie es hieß. Nach dem ersten Sondierungsgespräch am Samstag waren Strache und Kurz sehr guter Dinge.

Die Koalitionsvarianten

Fünf Parteien im Parlament, vier Koalitionsvarianten. Klar ist knapp eine Woche nach der Wahl vor allem, wer höchstwahrscheinlich als Kanzler der künftigen Bundesregierung vorstehen wird: ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen. Der bislang amtierende Außenminister hält im Koalitionspoker die Trümpfe, er kann sich die Partner aussuchen.

ÖVP/SPÖ: Kurz könnte die Sozialdemokraten zum Juniorpartner machen - doch das ist sehr unwahrscheinlich. In der Koalition war das Klima zuletzt noch vergifteter als zuvor, das Zusammenspiel der beiden traditionellen Volksparteien gilt weithin als ein Quell der generellen Probleme Österreichs. Im Wahlkampf schleuderten beide Parteien mächtig viel Dreck aufeinander, nach wie vor laufen Klagen. Außerdem heißt es aus dem Kurz-Lager, eine Neuauflage der großen Koalition käme nur ohne SPÖ-Chef und Noch-Kanzler Christian Kern in Frage (was in der SPÖ als Finte ausgelegt wird).

ÖVP/FPÖ: Eine konservativ-rechte Koalition ist am wahrscheinlichsten. Vor und im Wahlkampf haben sich beide Parteien inhaltlich angenähert. Kurz hat in der Asyl- und Ausländerpolitik Positionen übernommen, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schon seit Jahren propagiert. Zuletzt modelte die FPÖ ihre Wirtschafts- und Steuerpolitik so hin, dass sie an die ÖVP andocken kann.

Schon längere Zeit vor der Wahl hieß es aus dem Umfeld von Kurz, "realistischerweise" käme wohl oder übel nur die FPÖ als Mehrheitsbeschafferin für eine ÖVP-Reformagenda in Frage, die Österreich sozial- und wirtschaftspolitisch entrümpelt. Die europafeindlichen Töne hat die FPÖ seit 2016 deutlich abgemildert, wie man in der ÖVP mit Genugtuung registriert hat. Im Wahlkampf trat die FPÖ für ihre Verhältnisse geradezu zahm auf, was nun die Akzeptanz erleichtert. Klar dürfte Kurz allerdings auch sein: Lange durchregieren dürfte er mit der FPÖ nicht, denn Strache will Kanzler werden.

SPÖ/FPÖ: Ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Freiheitlichen ist inzwischen unwahrscheinlich - auch wenn Kanzler Kern am Wahlabend entsprechende Zwischentöne aussandte. Vor allem die Wiener Parteifreunde sperren sich kategorisch gegen eine solchen Schritt, Massenaustritte oder eine Spaltung wären wohl die Folge. Ein Funktionär sagte schon vor der Wahl zur SZ, die Abgrenzung zur FPÖ auf Bundesebene sei für viele SPÖ-Anhänger "das einzige wichtige Versprechen, von dem wir in den letzten Jahrzehnten nicht abgerückt sind."

Für die FPÖ enthielte Rot-Blau allerdings große Anreize. Angesichts der fast gleichen Stärke wäre es ein Regieren auf tatsächlicher Augenhöhe - anders als in einem Kabinett Kurz. Für FPÖ-Chef Strache hätte diese Variante außerdem den Vorteil, dass der auch auf seine Kosten populäre Kurz in der Opposition schnell seinen Nimbus verlieren könnte.

Der Kurz-Trumpf

Kurz verfügt neben dem traditionellen Modell einer Koalition von Parteien noch über eine weitere, in Österreich bislang theoretische Variante des Regierens: Ein Kabinett von Experten, manche mit Parteibuch, manche parteilos, gestützt von wechselnden Mehrheiten im Parlament. Diesen Trumpf hat Kurz, sollten Koalitionsverhandlungen scheitern (unwahrscheinlich). Oder wenn eine schwarz-blaue Koalition kollabieren sollte (nicht ganz unwahrscheinlich).

Kurz selbst hat in der Neuinszenierung seiner Partei die Basis für eine solche Variante gelegt: Als Kopf seiner angeblich überparteilichen "Bewegung" könnte er die Erzählung stimmig weiterführen, in dem er die vermeintlich besten Köpfe in die Regierung holt: Neos-Chef Matthias Strolz als Wirtschaftsminister, Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil als Verteidigungsminister, die Ex-Verfassungsrichterin Irmgard Griss als Justizministerin, den Ex-Grünen Peter Pilz als Umwelt- und Verbraucherschutzminister, einen SPÖ-Kopf als Außenminister (den Kurz als Kanzler stets überstrahlen würde). Die für die Konservativen besonders wichtigen Ressorts Inneres und Finanzen würden bei der ÖVP bleiben. Kurz könnte darauf setzen, dass SPÖ, Neos und Liste Pilz seine Regierung ohne FPÖ-Beteiligung tolerieren und stützen.

So könnte die ÖVP in ihren Kernbereichen glänzen: Kurz wie bisher auf internationaler und verstärkt auf europäischer Bühne, ein ÖVP-Innenminister könnte mit einem Law- and-Order-Kurs die FPÖ schwächen und über das Finanzministerium ließen sich die anderen Ressorts an der kurzen Leine halten. Bei der nächsten Parlamentswahl könnte Kurz mit dem Kanzlerbonus den ersten Platz seiner Partei ausbauen - und dann vielleicht mit den Neos eine stabile Koalition bilden.

Sebastian Kurz gilt als sehr vor- und umsichtig, seine Schritte plant er lange vorher. Die letzten Monate, inklusive Koalitionsbruch und Neuwahlen, haben aber auch gezeigt, dass der junge Konservative mitunter viel riskiert, wenn er die Gewinnaussichten als gut taxiert. Warum sollte er nicht auch eine Minderheitsregierung versuchen.

Der Präsident

Bei allen Koalitionsüberlegungen spielt auch Alexander Van der Bellen eine Rolle - und er könnte die Pläne für eine ÖVP/FPÖ durcheinanderbringen. Der Bundespräsident trat nach der Wahl von Amts wegen zurückhaltend auf, wies aber dezidiert auf seine Rechte hin. In Österreich steht dem Staatsoberhaupt zu, einzelne Ministerkandidaten abzulehnen, wenn er sie nicht für geeignet hält.

Gerade dieses Vorrecht könnte für stramm rechte FPÖ-Ministeraspiranten problematisch werden. Strache reklamiert das Innenministerium für seine Partei, er will es wohl selbst leiten - ein Anspruch, den Van der Bellen ablehnen könnte. Strache war als junger Erwachsener aktiv in der Neonazi-Szene. Ihm wird vorgeworfen, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Und er hält Kontakt zu anderen radikal rechten Parteien wie dem Front National.

Präsident Van der Bellen könnte Strache als Innenminister ablehnen und argumentieren, dass es eine miserable Idee ist, gerade den FPÖ-Chef zum Chef über die Polizei, die Wahlkommission und den auch für die Bekämpfung von Rechtsextremismus zuständigen Staatsschutz zu machen. Der FPÖ-Chef weiß um dieses Risiko und hat bereits eine verklausulierte Warnung an Van der Bellen geschickt. Am Mittwoch sagte Strache bei einer Pressekonferenz das, was er bereits vor der Wahl im SZ-Gespräch erklärt hatte: "Wenn der Bundespräsident demokratisch gewählte Personen einfach so ablehnt, stellt er sich selbst außerhalb des Verfassungsrahmens."

Mitarbeit: Leila Al-Serori

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3718585
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/vbol/fued
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.