Koalitionsausschuss:Ampelkoalition tagt seit 19 Stunden: Darum geht es

Koalitionsausschuss: Christian Lindner, Vorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister, bei seiner Ankunft im Bundeskanzleramt.

Christian Lindner, Vorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister, bei seiner Ankunft im Bundeskanzleramt.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Im Kanzleramt verhandeln die Spitzen von SPD, Grünen und FDP seit Sonntagabend über Lösungen vor allem in der Klimapolitik. Die Streit-Liste ist lang, aber das Volk erwartet Ergebnisse. Mittags berichtet der Regierungssprecher, ein Ende sei absehbar.

Von Michael Bauchmüller, Georg Ismar, Paul-Anton Krüger und Kassian Stroh, Berlin

Kurz vor Mittag weiß auch der Regierungssprecher nicht, wie lange sich die Verhandlungen noch ziehen werden. Er habe eben noch mit dem Kanzler telefoniert, berichtet Steffen Hebestreit vor der Bundespressekonferenz. "Das dauert eben so lange, wie es dauert." Ein Ende sei aber absehbar. Seit 17 Stunden sitzen die Spitzen von SPD, Grünen und FDP da schon zusammen. Als Regierungssprecher habe er ja das Privileg, an einer Sitzung des Koalitionsausschusses nicht teilzunehmen, witzelt Hebestreit. "Insofern bin ich auch halbwegs ausgeschlafen."

Keine Nachtsitzungen, so lautete mal zu Beginn der selbsternannten Fortschrittskoalition das Credo. Vieles sollte anders laufen, auch in den Prozessen, zum Vorbild wurden die stringent und vertrauensvoll durchgezogenen Koalitionsverhandlungen. Doch irgendwie war von Anfang an Krise, Russland führte Krieg in der Ukraine, und dann brach sich zuletzt immer deutlicher der Streit Bahn, wie stark und mit welchen Mitteln der Klimaschutz forciert werden soll.

Und auch an diesem Sonntag und Montag ist es mal wieder kompliziert, den Berg an Konfliktthemen abzutragen. Mit inzwischen etwa 19 Stunden ist es eine der längsten Ampel-Sitzungen. Allerdings gibt es auch einen gewissen Zeitdruck, denn am frühen Nachmittag, um 14.40 Uhr, müssen der Kanzler und einige seiner Ministerkollegen zu den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen nach Rotterdam fliegen. Das werde man in jedem Fall tun, versichert Hebestreit.

Zusammengekommen sind die Spitzen der Ampelkoalition im Kanzleramt am Sonntagabend um 18.30 Uhr. Draußen ist es zu dieser Zeit ziemlich laut, Polizisten müssen die Einfahrt zum Kanzleramt freihalten. "Wo ist dieser Klimakanzler, wo, wo?", skandieren Hunderte Demonstranten. "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut." Es könne nicht sein, dass ein einzelner Minister "unsere Zukunft verfeuert", nehmen sie besonders auch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ins Visier. Der Kompromiss im Streit um den Verbrennungsmotor, der nach 2035 zumindest mit klimaneutral hergestelltem Kraftstoff auf Drängen der FDP noch eine Zukunft in der EU haben soll, wird hier erwartungsgemäß scharf kritisiert. Auf "Autobahn"-Plakaten ist der Begriff "Auto" durchgestrichen, hier hätte man liebsten nur noch die "Bahn".

Koalitionsausschuss: Vor dem Kanzleramt wird demonstriert.

Vor dem Kanzleramt wird demonstriert.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Olaf Scholz ist kurz vor 17 Uhr an seinem Arbeitsplatz zu einem der wichtigeren Koalitionsausschüsse eingetroffen, ebenso sein Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt. Gerade die Grünen vermissen beim Kanzler Führung. Die SPD-Seite macht ihre Vorbesprechung im Kanzleramt, neben Parteichef Lars Klingbeil und Fraktionschef Rolf Mützenich ist auch Generalsekretär Kevin Kühnert dabei, Co-Parteichefin Saskia Esken fehlt wegen einer Corona-Erkrankung. Kühnert ist aber beim eigentlichen Koalitionsausschuss nicht dabei.

Die Grünen-Riege kommt zu Fuß. Wirtschaftsminister Robert Habeck, leger im Kapuzenpulli, Außenministerin Annalena Baerbock mit einer dicken Aktenmappe unter dem Arm, die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang sowie die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge marschieren kommentarlos an den Demonstranten vorbei, im Vorfeld haben sie deutlich gemacht, dass es Ergebnisse brauche.

Koalitionsausschuss: Leger im Kapuzenpulli: Wirtschaftsminister Robert Habeck (li.).

Leger im Kapuzenpulli: Wirtschaftsminister Robert Habeck (li.).

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Die FDP-Riege um Christian Lindner, Wissing und Fraktionschef Christian Dürr fährt mit Limousinen in den Hof des Kanzleramts. Die Sprecher machen deutlich, es sei eine lange Sitzung bis in die Nacht zu erwarten, Ergebnisse sollen erst am Montag verkündet werden. Die Demonstranten jedenfalls machen sich nach Beginn der Sitzung um kurz nach 18.30 Uhr auf den Heimweg.

Seit Monaten streitet die Koalition zum Beispiel, ob nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen oder auch bestimmte Autobahn-Teilstücke, mit weniger aufwändigen Umweltschutzprüfungen. Darauf pocht die FDP. Die Grünen lehnten einen schnelleren Ausbau von Autobahnen bisher kategorisch ab. Die SPD kann sich vorstellen, dass bestimmte Autobahnabschnitte im Sinne der FDP als besonders wichtig für eine Verkehrsentlastung bevorzugt und somit beschleunigt gebaut werden.

Von 2024 an sollen nach dem Willen der Grünen aus Klimaschutzgründen zudem nur noch Heizungen neu eingebaut werden dürfen, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das bedeutet faktisch ein Aus für konventionelle Öl- und Gasheizungen. FDP und SPD haben hier Bedenken. Die SPD kritisiert die entstandene Verunsicherung, fordert, dass Mieter und einkommensschwächere Haushalte nicht überfordert werden dürfen. Es geht hier um ein Milliardenprogramm, dessen Finanzierung bisher unklar ist, auch eine Art "Abwrackprämie" für alte Heizungen kursiert als Idee.

Der Kanzler hat selbst viel versprochen, auch beim Klimaschutz, es ist schon eine Weile her. "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch", sagte Olaf Scholz früher gerne. Ein Machtwort hat er als Kanzler nur einmal gesprochen - im vorigen Herbst, als die Koalition über den Weiterbetrieb dreier Atomkraftwerke stritt, die nun noch bis Mitte April weiterlaufen dürfen. Nun würden die Grünen, aber auch die Freien Demokraten mal ganz gerne noch einmal Führung beim Kanzler bestellen, in den vielen anderen umstrittenen Punkten. Natürlich jeweils ganz in ihrem Sinne.

Scholz versucht viel hinter den Kulissen zu vermitteln, statt sich öffentlich vorschnell auf eine Position festzulegen. Das hängt auch mit dem fragilen Gebilde dieser Dreierkoalition zusammen. Die FDP versteht sich oft als Korrektiv, will auch die Emissionen, etwa über einen strengen Emissionshandel reduzieren, pocht aber auf mehr Technologieoffenheit, statt auf das Arbeiten mit Verboten.

"Das gesamte Thema Klimaschutz und Verkehr ist ungelöst in dieser Koalition", monierte Mitte der Woche Katharina Dröge. Es sei auch Aufgabe des Kanzleramtes, Prozesse so zusammenzuführen, dass es Entscheidungen geben könne. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hatte SPD und Grünen wiederum vorgehalten, in der Ampelkoalition gebe es kein gemeinsames Grundverständnis für die finanzpolitischen Realitäten. In der SPD rufen sie dessen ungeachtet danach, beim Haushalt neue Spielräume zu suchen, wohl wissend, dass der Sozialdemokrat im Kanzleramt als ehemaliger Finanzminister geneigt ist, die Schuldenbremse ernst zu nehmen - vor allem auch, weil dies ein Herzensanliegen für Lindner ist.

Alle Koalitionsparteien erwarten Lösungen - liefern müssen sie allerdings noch

So hart die Töne in der Koalition zuletzt zum Teil ausfielen, bemühten sich Regierungsmitglieder schon seit Tagen, die Erfolge des Ampelbündnisses zu betonen und den Willen zu konstruktiver Sacharbeit. Die Menschen in Deutschland "erwarten, dass man sich nicht ständig streitet, sondern dass man die Probleme gemeinsam löst", sagte Baerbock, sonst selten um klare Worte verlegen.

Der Kanzler selbst gab sich am Samstag bei einem Bürgergespräch in seinem Bundestagswahlkreis in Potsdam optimistisch. Die Koalition habe sich Großes vorgenommen. Viele weitreichende Entscheidungen habe seine Regierung bereits getroffen. "Deshalb bin auch zuversichtlich, dass wir jetzt einen kleinen Sprung nach vorne machen mit verschiedenen Aufgaben, die wir uns vorgenommen haben, aber immer mit dem inneren Verständnis: Wir hören da nicht auf, sondern wir machen weiter", sagte er.

Es geht letztlich auch um die Grundsatzfrage, welches Tempo es beim Klimaschutz geben - und mit welchen Mitteln dies erreicht werden soll. Nach Wochen des Streits war den Akteuren im Vorfeld klar, dass es dieses Mal Entscheidungen geben müsse. Grünen-Chefin Lang sagte, man sei dafür gewählt worden, "dass wir Probleme lösen. Das werden wir", zitierte die Bild am Sonntag sie.

Die zerstrittene Regierung verunsichert die Bevölkerung

"Derzeit erleben wir, dass sich die Bundesregierung über nahezu jedes Thema streitet, selbst über Dinge, die im Koalitionsvertrag vereinbart sind", sagte Ramona Pop (Grüne), die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, der Süddeutschen Zeitung. Gerade in krisenhaften Zeiten sei das nicht gut, weil es Menschen zusätzlich verunsichere und auch ärgere. "Dass eine zerstrittene Regierung einen guten Eindruck bei der Bevölkerung hinterlässt, diesem Glauben sollte die Koalition nicht aufsitzen", sagte Pop.

Im Streit über die Zukunft von Gas- und Ölheizungen forderte Deutschlands oberste Verbraucherschützerin rasch Klarheit. "Die Menschen rätseln angesichts der aktuellen Diskussionen, wie lange sie ihre Heizung noch benutzen können, oder was passiert, wenn sie kaputtgeht." Es sei Zeit, die Debatte zu versachlichen. Pop warnte Haushalte davor, noch in herkömmliche Heizungen zu investieren.

Die Energiepreise würden langfristig wohl kaum auf das alte Niveau fallen, hinzu kämen weitere Belastungen wie der CO₂-Preis. "Man kann Menschen nicht guten Gewissens dazu raten, sich weiter fossile Energie ins Haus zu holen", sagte die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. "Deswegen ist es richtig, auch beim Heizen stärker auf erneuerbare Energien zu setzen."

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Stadtwerke-Verbands VKU, Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD). "Wenn die Leute noch zehn weitere Jahre Erdgas- und Ölheizungen einbauen, dann wird das nichts." Die Bundesregierung verfolge das richtige Ziel mit dem richtigen Tempo. Allerdings brauche es mehr Flexibilität bei der Frage, mit welchen Heizungen am Ende die Klimaneutralität erreicht werde. Der Streit über das Gebäudeenergiegesetz hatte die Koalition entzweit, vorige Woche hatte Vizekanzler Robert Habeck seine Partner deswegen scharf attackiert und ein Durchstechen der noch nicht abgestimmten Pläne an die Bild-Zeitung kritisiert.

Chancen auf eine Einigung sahen die Koalitionsvertreter im Vorfeld vor allem bei der Planungsbeschleunigung. Der Konflikt dreht sich um die Frage, ob auch Straßen- und Autobahnprojekte von den geplanten verkürzten Verfahren profitieren sollen. Die SPD hat vorgeschlagen, Autobahnprojekte mit hoher Priorität zu identifizieren, die nach den neuen Regeln beurteilt würden, während es bei anderen bei den bisherigen Vorschriften bleiben würde.

Den Streit schiebt die Koalition seit Monaten vor sich her, eine Baustelle von vielen. Wo der Kanzler steht, war auch hier bisher offen. Er lässt sich nicht gern treiben, die Demonstranten draußen dürften ihn jedenfalls nicht beeindruckt haben. Er sucht vor allem Lösungen, die am Ende auch seinen Laden zusammenhalten.

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