Koalitionsausschuss:Alles andere als ein Spaziergang

Sechs Stunden dauert der Gipfel, die meiste Zeit streiten die Politiker. Nur beim Anstoßen auf einen Geburtstag entspannen sie sich.

Von M. Bauchmüller, T. Öchsner und R. Roßmann, Berlin

Am Ende waren alle froh, dass es vorbei war. Fast sechs Stunden lang saßen die Spitzen von CDU, CSU und SPD in der Nacht zum Montag zusammen, doch die meiste Zeit stritten sie: über den Länderfinanzausgleich, den Mindestlohn, die Energiewende. Da half auch der Spargel nicht, den die Kanzlerin auftischen ließ. "Wir waren in der Eiger-Nordwand, es war brutal anstrengend", sagt einer, der dabei war. Die ganze Zeit habe man versucht, nach oben zu kommen, ohne Erfolg. "Als wir die Sitzung beendet haben, war der Gipfel noch nicht einmal in Sicht."

Es ist die bildhafte Beschreibung einer gescheiterten Begegnung. Normalerweise können die Partei- und Fraktionschefs nach jedem Koalitionsausschuss wenigstens ein Ergebnis präsentieren - das letzte Mal war es die Mietpreisbremse. Doch diesmal brachte der Ausschuss nichts Mitteilenswertes zustande. Selbst erfahrene Koalitionäre können sich nicht erinnern, wann das zum letzten Mal passiert ist. Glaubt man den Berichten der Teilnehmer, gab es in der Sitzung nur einen entspannten Moment: Um Mitternacht verschwand die Kanzlerin und kam mit einem Geschenk für Thomas Oppermann zurück. Der SPD-Fraktionschef wurde 61. Die Runde stieß kurz mit einem Glas Rosé auf Oppermann an - dann ging es weiter, in der Eiger-Nordwand.

Am Morgen danach begann in Berlin das übliche blame game. Nach solchen Sitzungen geht es immer um die Deutungshoheit. Aus Sicht der Sozialdemokraten war der Schuldige schnell gefunden: Horst Seehofer. Der CSU-Chef habe in einem Interview kurz vor Beginn des Koalitionsausschusses die SPD hart angegriffen und damit die Weichen auf Konfrontation gesetzt. Seehofer hatte "bürokratische Exzesse" beim Mindestlohn beklagt und den Sozialdemokraten vorgeworfen, "mit allen Tricks" gegen CSU-Projekte wie das Betreuungsgeld und die Pkw-Maut zu kämpfen. Dies sei eine "schwere Belastung für die Koalition".

Koalitionsgipfel

Hier ist Kanzlerin Angela Merkel mit ihren Personenschützern auf dem Weg zum Koalitionsgipfel. Sie hat fast sechs Stunden Streit vor sich.

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Streckenweise sei es im Koalitionsausschuss sogar chaotisch zugegangen, berichten Teilnehmer. Vor allem beim Mindestlohn habe man sich gestritten. Die Sozialdemokraten wehrten sich dabei gegen alle Änderungswünsche der Union - mit Erfolg. Entsprechend triumphierend trat Andrea Nahles am Montag auf. Wochenlang hatte die Union die Arbeitsministerin wegen der Dokumentationspflichten beim Mindestlohn scharf angegriffen und Änderungen verlangt. CDU und CSU hatten gefordert, die Verdienstgrenze von 2958 Euro zu senken, bis zu der Arbeitgeber in den für Schwarzarbeit besonders anfälligen Branchen Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit aufzeichnen müssen. Der Betrag kommt zustande, wenn ein Arbeitnehmer elf Stunden pro Tag bei einem Stundenlohn von 8,50 Euro 29 Tage im Monat arbeitet. Damit will das Arbeitsministerium dafür sorgen, dass der Mindestlohn "auch bei einem sehr hohen monatlichen Arbeitsvolumen nicht unterlaufen werden kann". Wirtschaftsverbände argumentierten dagegen, dass es so einen Arbeitnehmer gar nicht gäbe. Die Union wollte die Grenze deshalb auf 1900 Euro senken und Minijobs ganz von den Aufzeichnungspflichten ausnehmen. Außerdem verlangten CDU und CSU eine deutlichere Abgrenzung zwischen Ehrenamt und Beruf, um Vereinen die Sorge zu nehmen, sich an bürokratische Mindestlohnregelungen halten zu müssen.

Im Koalitionsausschuss präsentierte die Arbeitsministerin einen 29 Seiten starken Zwischenbericht über die Erfahrungen mit dem im Januar eingeführten Mindestlohn. Daraufhin entspann sich eine einstündige Diskussion, in der schnell klar wurde, dass die Ministerin keinen Fußbreit von ihrer Position abrücken will. Nahles hatte schon vor der Sitzung auf die Dokumentationspflichten gepocht. Diese seien in den meisten Betrieben ohnehin gängige Praxis und als Schutz für "ehrliche Arbeitgeber" notwendig - sonst hätte der Zoll keine ausreichende Grundlage, um die Einhaltung des Mindestlohns sinnvoll kontrollieren zu können. Da SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Oppermann ebenso wenig kompromissbereit auftraten, gab es keine Einigung mit der Union.

Die SPD feierte das am Montag als gewaltigen Erfolg gegen die Union, der Mindestlohn bleibt jetzt erst einmal, wie ihn Nahles geschaffen hat.

CDU und CSU schätzen das Ergebnis der Sitzung naturgemäß anders ein. In der Union sagen sie, die SPD habe wenige Tage vor den 1. Mai-Demonstrationen "eine Höllenangst" davor gehabt, dass man ihr ein Einknicken beim Mindestlohn vorwerfen könnte. Die Sozialdemokraten wären dann von den Gewerkschaften vorgeführt worden, statt von ihnen für eine der größten Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte gefeiert zu werden. Deshalb sei die SPD so unnachgiebig gewesen. Kurzfristig würde sich die SPD jetzt über ihren Erfolg freuen können, heißt es in der Union. Langfristig werde sie das Leugnen der bürokratischen Probleme beim Mindestlohn aber Wirtschaftskompetenz kosten. Dies würde vor allem Wirtschaftsminister Gabriel zu spüren bekommen.

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In der CSU hält man auch den Verweis der SPD auf das Interview Seehofers vor dem Koalitionsausschuss für absurd. Auch jede Menge Sozialdemokraten hätten Interviews voller Angriffe gegeben. Gabriel und Oppermann hätten dabei sogar kategorisch jede Änderung am Mindestlohngesetz ausgeschlossen. Wer so forsch in ein Treffen gehe wie die SPD, könne sich nicht ernsthaft über ein Interview Seehofers beschweren, sagen sie bei der CSU. Zwischen den Zeilen machen die Christsozialen auch dem Kanzleramt Vorwürfe. Das Thema Mindestlohn sei nicht ausreichend vorbereitet worden, die Positionen seien noch zu weit auseinander gelegen, als dass man sich in der Nacht hätte verständigen können, heißt es in München. Außerdem sei es nicht sonderlich geschickt gewesen, einen Koalitionsausschuss mit dem Hauptthema Mindestlohn kurz vor dem 1. Mai anzusetzen.

Dass es bei den Bund-Länder-Finanzen und in der Energiepolitik noch keine Einigung geben wird, war schon vor dem Treffen klar. Dafür sind die beiden Themen zu groß. Auch bei der Flüchtlingspolitik konnten sich die Koalitionäre nur auf ein paar Zeilen verständigen, in denen sie vor allem auf den geplanten Flüchtlingsgipfel der Kanzlerin am 8. Mai verweisen. Alles andere bleibt jetzt für den nächsten Gipfelsturm.

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