Koalitionen:Triumph der Verlierer

Ausgerechnet die abgestraften Altparteien nehmen bei der Regierungsbildung die Schlüsselrollen ein. Daran ändern auch die zweistelligen Ergebnisse für Linksalternative und Liberale nichts.

Von Sebastian Schoepp

Wo immer Pedro Sánchez auftaucht, ist er bald umringt von älteren Damen. Bei Wahlkampfauftritten rissen sie sich um ein Selfie mit dem Chef der spanischen Sozialisten, dessen Grinsen von Wohlgesinnten mit dem von George Clooney verglichen wird. Das allein genügt aber nicht, um zu erklären, warum ausgerechnet Sánchez, der in allen Fernsehdebatten schwächste Spitzenkandidat bei dieser Wahl, nun zur Schlüsselfigur der spanischen Politik geworden ist. 22 Prozent hat er erreicht, das schlechteste Ergebnis der Sozialisten (PSOE) seit der Wiedereinführung der Demokratie vor 40 Jahren - aber genug, dass man bei der Regierungsbildung an ihm wohl nicht vorbeikommt.

Es ist die in Spanien so wichtige Tradition, die die Sozialisten vor dem Absturz gerettet hat. Es waren die Stimmen der Funktionärswitwen, der andalusischen Gewerkschafter, der asturischen Rentner und all derer, die den Sozialisten in früheren Jahren, als sie noch regierten, Ämter und Pöstchen verdankten. Ähnliches gilt für die konservative Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy, der ihre oft betagte katholische Anhängerschaft das Überleben sicherte. Die PP erlebte mit 28 Prozent zwar ein Desaster, 16 Prozentpunkte weniger als 2011, - sie blieb aber stärkste Partei.

22 Prozent für die Sozialisten, 28 für die bislang regierenden Konservativen - das ist ein Hammer in Spanien, wo sich die großen Parteien mit stabilen Mehrheiten jahrzehntelang an der Regierung abwechselten. Dass es so gekommen ist, ist zwei neuen Kräften zu verdanken, die die richtigen Fragen und auch die Antworten auf die spanische Dauerkrise geliefert haben - nämlich dass das Land wirtschaftlich und politisch neue Wege finden muss. Ihretwegen hatten viele Spanier wieder das Gefühl, beim Wählen etwas bewegen zu können. Die Wahlbeteiligung lag bei 73,2 Prozent, fast vier Prozent mehr als vor vier Jahren.

Koalitionen: Auf sie kommt es nun an (von links): Albert Rivera, Mariano Rajoy, Pedro Sánchez und Pablo Iglesias.

Auf sie kommt es nun an (von links): Albert Rivera, Mariano Rajoy, Pedro Sánchez und Pablo Iglesias.

(Foto: Marcou, Soriano/AFP (2), Barrena/Bloomberg, Ramos/Getty Images)

Gemeint sind Pablo Iglesias von der linksalternativen Podemos ("Wir schaffen das") und Albert Rivera von den liberalen Ciudadanos (Bürger). Sie stehen für das junge, urbane, dynamische Spanien, Iglesias eher für die Kapitalismuskritiker und Krisenopfer; Rivera für die, die noch Job und Geld haben, die aber die Sorge umtreibt, dass Spanien sich grundlegend verändern muss, damit das so bleibt.

Iglesias und Rivera haben mit ihrem frischen Wahlkampfstil, ihrem persönlichen und authentischen Auftreten sehr achtbare Ergebnisse erreicht. Podemos wäre fast zweitstärkste Kraft geworden, nach Stimmenanteil liegen sie als Dritte nur knapp hinter den Sozialisten. Doch das komplizierte Wahlsystem begünstigt dünn besiedelte Regionen, die baumlosen Weiten der kastilischen Meseta und Andalusiens, wo eher die Altparteien gewählt werden. Deshalb liegt Podemos bei der Sitzverteilung weiter hinter den Sozialisten zurück als es das Stimmergebnis vermuten ließe.

Ciudadanos, die mal als katalanische Regionalpartei begonnen hatten, wurden Vierte. Das ist für Rivera persönlich enttäuschend, die liberale Hauptstadtpresse hatte ihn schon zum neuen Ministerpräsidenten hochgejubelt. Podemos-Chef Iglesias blieb der Optimist, als der man ihn kennengelernt hat, er feierte die "Geburt eines neuen Spanien". Rivera sagte, "Wir haben nicht dieses Resultat erreicht, damit nun alles beim Alten bleibt." Doch vieles deutet darauf hin, dass die Alten weiterhin die tragende Rolle spielen werden. Bei den Neuen reicht es gerade mal zum Juniorpartner.

Die Macht beansprucht Mariano Rajoy weiter für sich. "Wir haben die Wahl gewonnen", sagte er trotz erdrutschartiger Verluste, die andere Regierungschefs vielleicht zu der Überlegung bewogen hätten, den Platz zu räumen. Nicht so Rajoy. "Wer die Wahl gewonnen hat, muss auch die Regierung bilden", fuhr er fort und schob immerhin die Erkenntnis nach: "Ich werde viel reden und verhandeln müssen." Damit liegt er zweifellos richtig. Die Erfolgsaussichten sind indes gering. Rajoy steht bei den anderen Parteien und einer Mehrzahl der Wähler für ein korruptes System, das es nicht fertig gebracht hat, Alternativen für Spaniens Strukturprobleme zu entwerfen. Die aufs Sparen zugeschnittene Wirtschaftspolitik hat die Lebensbedingungen der meisten Spanier verschlechtert. Der zaghafte Aufschwung kommt bei vielen Menschen nicht an. Zwar wurden Jobs geschaffen, doch die meisten sind prekär, kurzfristig und miserabel bezahlt. Qualifizierte Stellen sind in Spaniens Tourismus- und Bau-Monokultur kaum zu bekommen.

Der Sozialist Sánchez hat ausgeschlossen, den spanischen Sigmar Gabriel zu geben und mit Rajoys PP eine große Koalition einzugehen. Er würde lieber ein Linksbündnis anführen, wie er noch in der Wahlnacht sagte. Die portugiesischen Kollegen haben es vorgemacht. Doch mit Podemos allein reicht es der PSOE nicht, sie bräuchte die Unterstützung separatistischer Regionalparteien. Das wäre schwierig, denn Sánchez ist für die Einheit Spaniens. Auch dürfte der forsche Europa-Kurs von Podemos ein Hindernis sein. Pablo Iglesias sagte am Montag, Spanien wolle nicht länger ein "Anhängsel Deutschlands" sein.

Für Rajoys Volkspartei wären die Ciudadanos ein weiterer möglicher Partner. Aber auch dieses Bündnis bräuchte die Unterstützung der Regionalparteien, doch Rajoy und Rivera sind erbitterte Gegner des Separatismus. Rivera sagte zwar am Montag, er halte es für "vernünftig", wenn Rajoy sich erst mal allein an der Regierungsbildung versuche. Spanien dürfe "kein zweites Griechenland" werden. Doch dahinter steht womöglich die Absicht, die Konservativen bei nächster Gelegenheit scheitern zu lassen und Neuwahlen zu provozieren. Wenn die Konservativen also Partner gewinnen wollen, dann nur, wenn sie sich neu erfinden. Dafür steht Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría bereit, die der publikumsscheue Rajoy so oft vorgeschickt hat, dass das in sozialen Netzwerken eine Lachnummer ist. Am Wahltag kursierte der Witz, Rajoy habe Sáenz de Santamaría auch zum Wählen geschickt, weil er sich selber nicht in die Kabine getraut habe. Mit ihr könnten wohl auch die Ciudanaos, aber die Vizeregierungschefin hat in ihrer verknöcherten Partei viele Gegner.

Vorerst hat mal eine andere Instanz das Wort: Das Königshaus. Der Monarch schlägt Kandidaten für die Regierungsbildung vor und soll den Prozess moderieren. Wenn Felipe VI. das innerhalb von zwei Monaten nicht gelingt, gibt es Neuwahlen.

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