Koalitionen:Schreib mal wieder

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Sein Positionspaper leitete 1982 den Bruch der sozialliberalen Koalition ein: Otto Graf Lambsdorff war bis dahin Wirtschaftsminister. Auf dem Bild droht der FDP-Politiker nach einer Fraktionssitzung in Bonn lachend mit seinem Gehstock. (Foto: Heinrich Sanden/dpa)

In den Anfangsjahren der Republik genügten für Koalitionsabsprachen ein paar Briefe. Das hat sich sehr geändert.

Von Philipp Bovermann

Es war die zentrale Forderung, mit der Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erfolgreich den Wahlkampf um die SPD-Führung bestritten: den Koalitionsvertrag nachzuverhandeln - mit dem möglichen Ergebnis, dass es anschließend keine große Koalition mehr geben würde. In der Anfangszeit der Bundesrepublik wäre das kaum möglich gewesen, denn es gab solche Verträge gar nicht. Man behandelte Koalitionsabsprachen überaus zurückhaltend, die Ergebnisse hielt man in Briefen fest. In den Vereinbarungen 1957 zwischen der CDU und ihren kleinen Partnern stand etwa zur Steuerpolitik: "Vereinfachung und Tarifsenkung der Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuer; Abbau der Erbschaftsteuer". Zwei Zeilen, das war alles. Die Wirtschaftspolitik erhielt vier Zeilen. Der Grund für die diskrete Briefform waren verfassungsrechtliche Bedenken. Informelle Absprachen außerhalb der Parlamente seien dazu geeignet, das freie Mandat der Abgeordneten zu beschränken. Diese sind laut Grundgesetz "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Deswegen schrieb die SZ 1961 in einem Kommentar zu dem "Koalitionsvertrag" mit Anführungszeichen, als ein solcher erstmals aufgesetzt wurde: "Wie verbreitet die Abneigung gegen eine durch umfassenden 'Koalitionsvertrag' mit der FDP gebundene Regierung Adenauer bei der CDU/CSU ist, lässt sich schwer übersehen." Die erste große Koalition 1966 verzichtete wieder auf einen förmlichen Vertrag, stattdessen gab es eine Mitteilung an die Presse und eine Regierungserklärung von Kurt Georg Kiesinger (CDU). In dessen Kanzlerschaft fiel auch der informelle "Kreßbronner Kreis". Dort räumten die Spitzenpolitiker von Union und SPD außerhalb des Bundestags bei gemeinsamen Mittagessen geräuschlos Probleme aus dem Weg - die Geburtsstunde des Koalitionsausschusses.

In der Bundesrepublik gab es den bewussten Bruch einer Koalition nur ein einziges Mal

Den bewussten Bruch einer Koalition gab es in der Bundesrepublik nur ein einziges Mal. Im Jahr 1982 taumelte die sozialliberale Koalition, auch wegen wirtschaftlicher Probleme. Die Arbeitslosigkeit war hoch, die Stimmung in der Wirtschaft schlecht, die Stimmung zwischen SPD und FDP ebenfalls. Am 9. September 1982 forderte der FDP-Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff in einem Papier weitreichende Maßnahmen zum Abbau des Sozialstaats, die bei der SPD erwartungsgemäß auf heftigen Widerstand stießen. Die Koalition platzte - die Ära Kohl begann.

Der geplatzte Pakt zwischen SPD und Liberalen war 1980 in neun Punkten auf nur zwei Seiten fixiert worden ("Für Freiheit und Fortschritt"). Die Formalisierung der Koalitionsabsprachen nahm in der Folge indes weiter zu. Die Partner sollten an klare Absprachen gebunden sein. Das rot-grüne Bündnis schrieb 1998 den Koalitionsausschuss erstmals als Institution in den Koalitionsvertrag und inszenierte die Veröffentlichung des Vertrags als Medienereignis. Entsprechend wichtig wurde die Außenwirkung der Vereinbarungen auf Wähler und Interessensverbände - die Parteien schrieben sich schon Erfolge dafür zu, dass sie eine bestimmte Politik umzusetzen versprachen. Je mehr sich dies etablierte, desto länger wurden die Koalitionsverträge. Die aktuelle Vereinbarung zwischen Union und SPD ist 175 Seiten lang. Der CDU-Politiker Thomas de Maizière beschreibt in seinem Buch "Regieren - Innenansichten der Politik", wie bei den Koalitionsverhandlungen 2017 jemandem aufgefallen sei, die Unterstützung des Technischen Hilfswerks (THW) stehe ja nun im Koalitionsvertrag, was aber sei mit der Feuerwehr? Das könne "wegen der Balance zum THW" nicht sein: "Und so schrieben wir etwas Freundliches zur Feuerwehr auf."

De Maizières Buch enthält einen interessanten Hinweis. Erfolgreiche Regierungsarbeit, schreibt er, sei mehr als den Koalitionsvertrag getreulich umzusetzen: "Dazu gehört auch ein Umgang miteinander, der dem Anspruch gerecht wird, das größte Land in Europa verantwortungsvoll und seriös zu regieren."

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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