Koalitionen:Mühsamer Dreiklang

Koalitionsvertrag in Kiel paraphiert

Um Eintracht bemüht: Die Verhandlungsführer der schleswig-holsteinischen Koalitionsverhandlungen, Heiner Garg (FDP), Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) und Daniel Günther (CDU), blättern im Juni in den Koalitionsverträgen.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein könnte nach der Wahl Vorbild für den Bund werden. Doch das Bündnis aus CDU, FDP und Grünen zeigt, wie schwer es wird, wenn Weltbilder aufeinanderprallen.

Von Thomas Hahn, Kiel

Vom Schmerz der Wahlniederlage scheint bei SPD-Fraktionschef Ralf Stegner wenig übrig geblieben zu sein. Er sitzt nahe dem Landtag von Schleswig-Holstein beim Mittagessen und zieht mit einer soliden Freude am Verriss über das regierende Jamaika-Bündnis her. Der Vormittag im Plenum hat eine beschwingte Debatte zu den Mindestlohn-Vorstellungen des FDP-Wirtschaftsministers Bernd Buchholz gebracht, die nicht zum Koalitionsvertrag passen. "Der Buchholz ist ja nicht völlig uneitel", sagt Stegner, "und am Ende ist der Hauptertrag der Aktuellen Stunde, dass er nichts zu melden hat." Die bevorstehende 100-Tage-Bilanz der Landesregierung mit Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nimmt er gerne vorweg: "Die haben so gut wie noch nichts gemacht." Und als Einheit erlebt er das Trio auch nicht. "Wenn mit so großer Intensität beschrieben wird, wie super alles ist, ahnt man ja, dass das kompensieren soll, dass relativ wenige inhaltliche Gemeinsamkeiten da sind."

Die Übertreibung gehört zum Job des Oppositionsführers Stegner. Und so ganz verwunden hat er die Niederlage der vorherigen Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW bei den Wahlen im Mai wahrscheinlich doch noch nicht. Stegner ist also nicht der ideale Experte für ein sachliches Urteil über das Kieler Jamaika-Bündnis, das nach der Wahl am Sonntag zum Vorbild für den Bund werden könnte. Und gerade der junge Ministerpräsident Günther wirkt in diesen Tagen irgendwie gelöster als noch zu Oppositionszeiten. Aber tatsächlich merkt man den ungleichen Partnern an, wie anstrengend es für sie manchmal ist, die Koalitionsdisziplin zu halten.

Einen ersten Belastungstest hat Habeck hinter sich: die Debatte ums geregelte Kitesurfen

Zum Beispiel beim Mindestlohn-Vorstoß von Bernd Buchholz. Bei einer Pressekonferenz in Berlin mit den drei liberalen Landeswirtschaftsministern erweckte Buchholz kürzlich den Eindruck, die Jamaika-Koalition folge ihm bei dem Ansinnen, den Landesmindestlohn von 9,99 Euro bei der Vergabe staatlicher Aufträge verschwinden zu lassen. Das Flensburger Tageblatt berichtete. Die Grünen waren irritiert, für sie kommt es nicht infrage, den Vergabemindestlohn zu kippen. Auch Daniel Günther fand: "Das ist nicht die verabredete Position." Buchholz erklärte sich. Und auch in der Aktuellen Stunde, die SPD und SSW beantragt hatten, räumte Buchholz ein, dass seine Haltung nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt ist. Für die Grünen rief Fraktionschefin Eka von Kalben ins Plenum: "Der Vergabemindestlohn bleibt."

Die Partner glätten solche Unstimmigkeiten mit Verweisen auf die Natur eines Kompromiss-Bündnisses, in dem jeder weiterhin seine Klientel bedienen muss. "Wir sind drei verschiedene Parteien, das muss man auch nicht verschweigen", sagt Günther. Christopher Vogt, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, drückt es so aus: "Eine Fusion der Parteien hat - zumindest bisher - nicht stattgefunden."

Das Trio will vereint sein in seinen Unterschieden, damit die Regierung hält. Aber diese Eintracht ist kein Selbstläufer. "Es ist eben mehr Arbeit", sagt der grüne Umwelt- und Agrarminister Robert Habeck. Gerade in seinem Ressort, in dem die Weltbilder der Partner besonders hart aufeinander prallen. In der vorigen Küstenkoalition dachten die Beteiligten meist in eine Richtung. "Jetzt steht alles, was Naturschutz und Landwirtschaft betrifft, unter etwas verschärfter Beobachtung."

Einen ersten Belastungstest hatte Habeck schon: die Debatte ums geregelte Kitesurfen. Die FDP hält wenig von Verbotszonen zum Naturschutz, deshalb hakte das Wirtschaftsministerium ein, das für Tourismus zuständig ist. Habeck, der Vorzeige-Grüne, und Buchholz, der Ex-Manager, tauschten sich fachlich aus und einigten sich auf etwas mehr Fläche für die Kitesurfer. Die SPD fand die neue Zoneneinteilung "nicht hinnehmbar". Habeck nennt die Einigung "formal ganz sauber einen guten Kompromiss" und sieht sie als Beweis dafür, dass die Koalition konstruktiv streitet.

"Es gibt zwischen maßgeblichen Akteuren schon ein Bemühen, den Laden emotional stabil zu halten", sagt Habeck. Die Landwirtschaftsmesse Norla war kürzlich auch so ein sensibler Termin. Viele Bauern sind für die CDU und gegen die Grünen. Ministerpräsident Günther musste also eine Rede halten, die den Regierungswechsel deutlich machte, ohne dabei seinen Stellvertreter Habeck zu brüskieren. "Wir haben die Rede auch miteinander besprochen", sagt Günther. Tenor: Es bleibt bei den bisherigen Öko-Vorgaben, aber es kommen keine neuen hinzu. Das konnte Habeck vertreten. "Ich musste kein einziges Mal zucken."

An Wolfgang Kubicki, dem polarisierenden FDP-Fraktionschef, könnten sich die Geister der Koalition scheiden, heißt es immer wieder. Aber Kubicki ist wegen seiner Bundestags-Kandidatur zuletzt kaum noch in Kiel gewesen und dürfte wohl bald ganz in Berlin sein. Wie belastbar der Jamaika-Pakt tatsächlich ist, wird sich erst erweisen, wenn die umstrittenen Vorhaben des Koalitionsvertrages ein klares Gesetzesprofil bekommen sollen, etwa die neue Windkraft-Planung oder die Entbürokratisierung im Sozialbereich.

Und Stegner? Versieht pflichtbewusst seinen Dienst als Regierungs-Kritiker. Besonders mit Blick auf den früheren Koalitionspartner. "Einige in den Reihen der Grünen sind sehr wendig", sagt Stegner. Seine These: Vor allem Habeck habe das Interesse der SPD an einer Ampel-Koalition ausgebremst, weil er die Jamaika-Koalition wollte. "Robert Habeck ist trotz aller hochprofessionellen Selbstvermarktung am Ende doch ein gewöhnlicher Machtpolitiker, der im Übrigen eher schwarz-grün ist", sagt Stegner und will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als gehe ihm das nahe. "Ich betrachte das relativ nüchtern", sagt er, "aber das merkt man sich."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: