Koalition und Asylkompromiss:Und wieder hat die SPD den Schwarzen Peter

  • Die Einigung von CDU und CSU im Asylstreit bringt den Koalitionspartner SPD in eine komplizierte Lage.
  • Viele in der Partei empfinden die von der Union vereinbarten Transitzentren als Provokation und Versuch, neuen Krach unter den Genossen auszulösen.
  • Jetzt also einfach "Nein" zu rufen, "das machen wir nicht mit", würde am Ende nur der Union in die Hände spielen, so die Lesart.

Von Stefan Braun und Mike Szymanski, Berlin

Was wäre die SPD nur ohne ihre Ex-Chefs. Dann hätte sie an diesem Dienstagmorgen deutlich weniger kampfeslustige Auftritte in der Öffentlichkeit hinbekommen. Der Ex-Vorsitzende Martin Schulz spricht von den "Durchgeknallten" in der Union und schießt damit frontal gegen Horst Seehofer und Angela Merkel. Und der Ex-Vorsitzende Sigmar Gabriel flankiert diese Attacke mit harscher Kritik am Staatsverständnis der beiden und spricht von einem "ungeheuerlichen Vorgang".

Säße die SPD in der Opposition, wäre jetzt schon viel gesagt zur Frage, wie die Sozialdemokraten die vergangenen Tage des Streits, der Drohungen und der Einigung zwischen CDU und CSU erlebt haben. Da die Sozialdemokraten aber zur Koalition gehören und also vernünftig regieren sollen, wird die Sache kompliziert.

Der Asylstreit nämlich liegt jetzt bei der SPD. Wieder einmal. Es ist Dienstagmorgen, 8.30 Uhr. Nachdem die Streitlustigen wie Schulz und Gabriel verbal schon mal zugeschlagen haben, fragen sich nicht wenige Sozialdemokraten, was ihre Partei mit dem neuesten Spektakel nun wieder anfangen soll. Viele Augen richten sich deshalb schon früh am Morgen auf Andrea Nahles: Was sagt und macht die Parteichefin?

Sie hält erst mal Distanz, geht an allen Kameras und Abgeordneten vorbei, mit ernster Miene und gedämpftem Mitteilungsdrang. Kein Wort fürs Erste, die Lage ist schwierig. Und das nicht nur, weil CDU und CSU so ein Theater aufgeführt haben. In der eigenen SPD ist die Aufregung jetzt erheblich, weil bei vielen das Gefühl vorherrscht, die Unionsschwestern hätten mal wieder vor allem eines bezweckt: die SPD in die Bredouille zu bringen.

Als CDU und CSU am Montagabend ihre Einigung präsentierten, sprachen sie ausgerechnet von "Transitzentren". Das klang in den Ohren des Koalitionspartners nicht nach einem Kompromissvorschlag und der Suche nach einer Einigung mit den Sozialdemokraten. Viele in der SPD empfanden es als Provokation und Versuch, neuen Krach auszulösen.

Der Vorschlag, Transitzentren einzurichten, hat nämlich eine Vorgeschichte. Die Union kam damit 2015 schon einmal um die Ecke. Damals kamen täglich Tausende Migranten an der Grenze an. Die SPD fürchtete "Massenlager im Niemandsland", wie Heiko Maas, damals Justizminister, sagte. Also wehrten die Sozialdemokraten die Idee vehement ab, sie fürchteten schreckliche Zustände und verheerende Bilder.

Wenn die Union nun bewusst von Transitzentren redet - so die Lesart in der SPD - dann will sie einen Aufschrei provozieren. "Es ist eine Falle", sagen Teilnehmer der Fraktionssitzung am Dienstagmorgen. Wenn die SPD jetzt anfange, offen zu streiten, dann schaue keiner mehr auf die Union. Jetzt also einfach "Nein" zu rufen, "das machen wir nicht mit", würde am Ende nur der Union in die Hände spielen.

Die würden den Schwarzen Peter schnurstracks der SPD zuschieben und erklären, die Sozialdemokraten seien schuld, wenn die Regierung wackle oder auseinanderbreche. Deshalb dürfe man ihr diesen Gefallen nicht tun.

In der Fraktion ist am Morgen nur kurz Zeit zu reden. Nicht einmal eine halbe Stunde bleibt den Abgeordneten, denn um neun Uhr beginnt das Plenum. Nahles macht Teilnehmern zufolge schnell klar, dass der offenbar hastig zusammengeschusterte Kompromiss jedenfalls nicht so kommen werde, wie ihn CDU und CSU in ein paar dürren Zeilen aufgeschrieben hätten.

Dieser "Zettel", so wird Nahles wiedergegeben, sei nicht das Endprodukt. Beim Namen geht es schon los. Der Begriff Transitzentren treffe so nicht zu. "Jedenfalls wenn man zugrunde legt, dass es sich dabei um Transitzentren handelt, die wir 2015 diskutiert haben, dann ist das hier nicht derselbe Sachverhalt."

Ringt die SPD der Union im Gegenzug Kompromisse ab?

Es gehe heute nur um eine bestimmte Gruppe von Flüchtlingen, jene nämlich, die in anderen Ländern schon Schutz gefunden haben. Und außerdem könne von Massenlagern keine Rede sein. Schließlich kommt am Tag nur eine überschaubare Zahl von Flüchtlingen dieser Gruppe.

Geht es nach der SPD, könnte innerhalb einer Woche über die Verfahren entschieden werden. Schnellere Verfahren hatte die SPD von sich aus ins Gespräch gebracht. Gelöst werden muss die Frage, wie man diesen Personenkreis während des Verfahrens unterbringt - und ob das in einer geschlossenen Einrichtung mit Zäunen sein muss.

In der SPD-Spitze ist klar, dass eine Einigung erreicht werden könnte. Es gehe nicht um das Ob, sondern um das Wie, heißt es. Und es gehe um die Frage, wo bei all dem am Ende die SPD bleibe. Ringt sie der Union im Gegenzug Kompromisse ab? Den Einstieg in ein Einwanderungsgesetz oder bessere Angebote für legale Migration? Das sind die Fragen, die Nahles anspornen sollen und herausfordern werden.

Der Innenexperte Burkhard Lischka sagt, die SPD müsse auch selbst Forderungen stellen, anstatt nur Kompromisse zu Randthemen abzunicken. So sollte sie von Seehofer die Zuständigkeit des Bundes bei der Rückführung von ausreisepflichtigen Gefährdern einfordern. Dafür müsse nicht einmal ein Gesetz geändert werden, betont der SPD-Abgeordnete. "Es geht um Augenhöhe in der Koalition", so hört man es immer wieder an diesem Morgen.

Immer wieder wird in den Reden darauf verwiesen, dass die SPD gerade erst einen Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik verabschiedet habe. Einfach machen, was CDU und CSU verlangen, komme deshalb sicher nicht in Frage.

Ein Abgeordneter warnt, CDU und CSU spielten nur auf Zeit; keinesfalls hätten sie ihren Streit beigelegt. Ein anderer soll sich um die Autorität Merkels Sorgen gemacht haben. Doch da habe Nahles eingegriffen. Ja, Seehofer und Merkel hätten einander maximal beschädigt - aber das sei ausschließlich deren Problem. Nahles hat gerade anderes zu tun: Schaden von ihrer SPD abzuwenden.

Bevor sich am Abend der Koalitionsausschuss neuerlich treffen wird, sollen die SPD-Abgeordneten und Experten den ganzen Tag über in verschiedenen Gruppen darüber brüten, was vom Vorschlag der Schwarzen zu halten sei. Nahles' Botschaft, bevor die interne Analyse losgeht: "Es gibt noch ungedeckte Schecks in dieser Verabredung." Gemeint sind damit unter anderem die angekündigten Abkommen mit Österreich und auch mit Italien; Abkommen also, die eigentlich bitter nötig wären, aber schwer zu erreichen sein dürften.

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