Koalition: Merkel unter Feuer:SPD eröffnet Wahlkampf: Drei gegen eine

"Übles Spiel", "Versagen", "Gaukelei": In einer konzertierten Aktion attackiert die SPD-Spitze - mit Parteichef Müntefering, Kanzlerkandidat Steinmeier und Finanzminister Steinbrück - den Koalitionspartner Union. Vor allem haben sie es auf Regierungschefin Angela Merkel abgesehen. Über die Wirtschaftspolitik kommt es zum Bruch.

In der Bundesregierung ist Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD bislang durch biedere Loyalität aufgefallen. Es gab nichts, was seine Chefin Angela Merkel von der Konkurrenzveranstaltung CDU so richtig falsch machen konnte. Es war ja die gemeinsame Koalition.

Koalition: Merkel unter Feuer: Harte Kritik an Kanzlerin Merkel: Vizekanzler Steinmeier (l.) und SPD-Chef Müntefering melden sich in Interviews zu Wort.

Harte Kritik an Kanzlerin Merkel: Vizekanzler Steinmeier (l.) und SPD-Chef Müntefering melden sich in Interviews zu Wort.

(Foto: Foto: dpa)

Nun jedoch ist alles anders. Vizekanzler Steinmeier reagiert mit scharfer Kritik auf das Nein von Kanzlerin Merkel und der Unionsfraktion zur Reform der Jobcenter. Er wirft dem Bündnispartner vor, in der Wirtschaftskrise ein "übles Spiel" mit Arbeitslosen zu betreiben. "Ich habe diese Nachricht kaum glauben können", sagte Steinmeier der Berliner Zeitung.

"Bei allem Geplänkel in der Vorwahlzeit: Dies hier geht nicht. Das ist ein übles Spiel mit der Betreuung von Arbeitslosen, und das mitten in der Krise", echauffiert sich der sonst so ruhige und diplomatische Außenminister. Beschäftigte in den Arbeitsagenturen oder Jobcentern sollten Arbeit vermitteln, sich aber "nicht den Kopf zerbrechen müssen, ob es ihre Behörde im nächsten Jahr noch gibt und was dann aus ihnen selbst wird".

SPD-Chef Franz Müntefering wird zum General Attacke. Er nennt das Verhalten der Kanzlerin einen "unglaublichen Vorgang" und eine "schwere Niederlage" für Merkel. Er wirft ihr vor, in der Unionsfraktion gegen den Vorschlag von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und mehrerer Ministerpräsidenten von CDU und SPD gestimmt zu haben. Auch das CDU-Präsidium habe die Jobcenter über eine Verfassungsänderung absichern wollen. "Die Kanzlerin hat gegen sich selbst gestimmt", sagte Müntefering.

SPD-Chef: Schröder wäre das nicht passiert

"Gerhard Schröder wäre so etwas nie passiert", ätzt Müntefering: "Der hätte einen Tisch umgeschmissen oder so irgendetwas, aber nie gesagt, dann stimme ich halt mit euch gegen meine eigene bisherige Position und Überzeugung." Merkel sei nur noch "Geschäftsführerin" der Bundesregierung.

Die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder erwägen offenbar eine Initiative im Bundesrat, um dem von Arbeitsminister Scholz und Nordrhein-Westfalens Regierungschef Jürgen Rüttgers (CDU) ausgehandelten Kompromiss zur Reform der Jobcenter doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger unter Berufung auf führende Unionskreise berichtet, sei man "in der Phase der Überlegung".

Die vereinbarte Lösung sei sachlich geboten und auch parteipolitisch angebracht, da man der SPD sonst "ein Wahlkampfthema" liefere. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Mischverwaltung in den Jobcentern, in denen Arbeitsagenturen und Kommunen zusammenarbeiten, als grundgesetzwidrig beanstandet und bis Ende 2010 eine Neuregelung gefordert.

Streit um Wirtschaftspolitik

Heftig kritisiert Kandidat Steinmeier die Wirtschaftspolitik der Kanzlerin. Dass Angela Merkel der Auffassung sei, man müsse möglichst schnell zur Normalität zurückkehren, sei ein Problem, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. "Wer glaubt, diese Krise sei nur ein Betriebsunfall, der irrt gewaltig." Vielmehr handle es sich um einen "historischen Einschnitt". Auch Finanzminister Peer Steinbrück spricht in der Süddeutschen Zeitung von einem "epochalen Ereignis".

Müntefering ergänzt in der Financial Times Deutschland, eine Rückkehr zu den alten Strukturen wäre eine Katastrophe. "Ich zweifle daran, ob Frau Merkel wirklich die soziale Marktwirtschaft will und nicht bloß die neue Marktwirtschaft", erklärte er.

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Müntefering droht mit "Krach"

Müntefering wirft der Kanzlerin mangelnde Glaubwürdigkeit vor. "Da nutzt keine Regierungserklärung, da nutzen keine Gipfelserien, wenn man nicht mehr mitzieht, sobald es konkret und ernst wird."

Koalition: Merkel unter Feuer: Steht vor dem EU-Gipfel in der Kritik: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Steht vor dem EU-Gipfel in der Kritik: Bundeskanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Foto: AP)

Zugleich droht er dem Koalitionspartner CDU/CSU "Krach" für den Fall an, dass das Gesetz gegen Steueroasen nicht nächste Woche im Kabinett behandelt werde. Wenn die Entscheidung jetzt nicht durchgezogen werde, "führen wir die Debatte darüber, dass die Union die Steuerhinterzieher schonen will". Es gehe um zweistellige Milliardenbeträge.

Als dritter Spitzenpolitiker der SPD meldet sich Finanzminister Peer Steinbrück per Interview zu Wort und greift die Union an. Er attackiert in der Süddeutschen Zeitung Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU: "Wenn Herr Guttenberg meint, er müsse in Sachen Mehrwertsteuer einer Lobbygruppe nach dem Mund reden, obwohl es einen anderslautenden Beschluss in der Koalition gibt, dann ist das sein Problem und nicht meins."

Steinmeier: Keine Sozialkürzungen mit der SPD

Kanzlerkandidat Steinmeier schließt für den Fall einer SPD-Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl aus, dass zur Haushaltssanierung Sozialleistungen gekürzt werden. "Das wird es mit mir nicht geben", sagt der Außenminister der Berliner Zeitung.

Sobald die Wirtschaft wieder auf Hochtouren laufe, müssten zwar die Schulden konsequent zurückgefahren werden. "Aber das auf Kosten der Schwächsten unserer Gesellschaft zu machen, kommt nicht in Frage", so Steinmeier. "Ich will, dass wir die Stärken der deutschen Wirtschaft und unseres Sozialsystems in der Krise nicht preisgeben - beides gehört zusammen."

Zugleich betont der SPD-Kanzlerkandidat, seine Partei werde im Wahlkampf keine unseriösen Versprechen machen. Die Pläne der Union für Steuersenkungen nennt Steinmeier "reine Gaukelei". "Gerade in der Krise brauchen wir einen handlungsfähigen und starken Staat, der in Zukunft investieren kann. Gute Kindertagesstätten und Schulen, Straßen ohne Schlaglöcher und Sicherheit und Ordnung vor der Haustür gibt es nicht mit den niedrigsten Steuern der Welt."

Angela Merkel gibt ihre Antwort in einer Regierungserklärung. Und dann will sie am Sonntag im Fernsehen als einziger Gast der Talkerin Anne Will Tatkraft verströmen - und die Vorwürfe der Genossen kontern. Damit ist klar: Der Bundestagwahlkampf hat begonnen.

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