Koalition:Konkurrenz belebt das Geschäft, oder?

Koalition: Holperige Wochen liegen hinter der Partei: Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Berliner Willy-Brandt-Haus.

Holperige Wochen liegen hinter der Partei: Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Berliner Willy-Brandt-Haus.

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Die Grünen haben die SPD im Norden klar überflügelt. Das sagen sie jetzt aber lieber nicht zu laut.

Von Constanze von Bullion und Mike Szymanski, Berlin

Jetzt muss also Kevin Kühnert ran, neue SPD hin oder her. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigten: Wer Generalsekretär dieser Partei sein will, muss auch durch dunkle Stunden gehen. Kühnert steht also im Willy-Brandt-Haus in Berlin. ARD und ZDF haben für den Wahlabend ihre Kameras aufgebaut. Kühnert, seit Dezember Generalsekretär der SPD, hat noch ein paar Minuten Zeit, sich im Kopf die Worte zurechtzulegen. Ein Fernsehmensch erklärt freundlicherweise, wann Kühnert dran ist. Neben der Kamera ist ein Monitor aufgebaut, der das laufende Programm zeigt. "Danach kommen gleich Bilder von der SPD-Wahlparty." Er deutet mit den Fingern die Tüttelchen an, mit denen er das Wort "Wahlparty" verstanden wissen will. Gibt ja nichts zu feiern in Schleswig-Holstein, wo die SPD auf 16 Prozent abgerutscht ist. Kühnert kneift die Augen zusammen, um auf dem Monitor etwas zu erkennen. Tatsächlich, keine Party. Nirgendwo. Die Schalte beginnt. "Nein", sagt Kühnert, "kein schöner Abend."

Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein hat der SPD ein Debakel beschert. Sie ist nur drittstärkste Kraft, nach CDU und Grünen. Das darf als Warnsignal verstanden werden, auch in Berlin. Die SPD stellt dort mit Olaf Scholz den Kanzler. Sie führt die Bundesregierung an. Unter dem Druck des Ukraine-Krieges hat Scholz Entscheidungen von historischer Tragweite zu treffen. In Schleswig-Holstein dagegen erlebt seine Partei einen Moment der Ohnmacht. Und eine Botschaft vom Sonntag heißt: Die Führungsrolle der SPD im Bund ist anfechtbar - und der kleinere Koalitionspartner muss nicht kleiner bleiben.

Auch Sozialdemokraten nehmen wahr, dass einige ihrer Leute im Kabinett schwächeln

Die Grünen sind mit 18 Prozent an der SPD vorbeigezogen. Das bedeutet für die Bundespolitik zunächst nicht viel. Die Tatsache allerdings, dass Vizekanzler Robert Habeck aus Schleswig-Holstein kommt und noch in der Wahlnacht selbstbewusst ein schwarz-grünes Bündnis anregte, das ist ein Nadelstich für die SPD, die zum Zuschauen verdammt ist. Denn Habeck ist es auch, der Olaf Scholz wiederholt die Show gestohlen hat in den letzten Wochen. Während der Kanzler meist eher wortkarg schwierige politische Schritte bekanntgab, spann Habeck das Publikum in ein Netz aus Für und Wider ein, teilte ungefragt eigene Bedenken und innere Zerrissenheit mit, um unerfreuliche und oft längst getroffene Entscheidungen zu rechtfertigen.

Den eigenen Leuten gefiel das nicht immer, der SPD ging es schon auf die Nerven. Aber Habeck inszeniert sich nicht ohne Erfolg als verantwortungsvoller, mit sich ringender Macher. Ähnliches gilt für Außenministerin Annalena Baerbock, die sich von Scholz in der internationalen Politik von Anfang an nicht beiseiteschieben ließ. So gesehen sind SPD und Grüne wieder Rivalen geworden.

Führende Genossen nehmen wahr, dass eigene Kabinettsmitglieder teilweise keine optimale Performance zeigen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Mühe, Tritt zu fassen. Im Moment macht der Kanzler Verteidigungspolitik quasi aus dem Kanzleramt mit. Auch Innenministerin Nancy Faeser bleibt bisher blass. Wenn die SPD sich etwas wünschen dürfte für Scholz, wäre es wohl ein bisschen Habeck-Emotionalität und dazu etwas Baerbock-Entschlossenheit.

Die 16 Prozent in Schleswig-Holstein wecken bei der SPD schlimme Erinnerungen. Bei diesem Wert stand die Sozialdemokratie vor einem Jahr in Umfragen, während die Grünen zeitweise zur beliebtesten Partei avancierten. Die SPD wirkte wie eine von der Zeit überholte Partei. Es kam dann anders - Scholz führte die SPD ins Kanzleramt, und plötzlich war von Kleinmut nichts mehr zu spüren: Der damalige Generalsekretär und heutige SPD-Chef Lars Klingbeil erklärte: "Die SPD ist zurück."

Jetzt aber liegen holperige Wochen hinter der Partei. Sie hat mit Altkanzler Gerhard Schröder zu kämpfen, der seine Verbindungen zu Putin und zur russischen Wirtschaft partout nicht kappen will. Oder mit dem Kanzler, der lange zu wenig erklärte. Und wenn jetzt Milliarden für Rüstung und den Umbau der Energieversorgung ausgegeben werden, fragen manche: Wie viel Geld bleibt dann für die eigentliche Agenda der SPD, fürs Soziale?

Die Bundesspitze sieht die Gründe für das Scheitern in Schleswig-Holstein in einer Art Super-Günther, einem nicht zu schlagenden Ministerpräsidenten - also fernab von Berlin. Am Montag empfängt dort Parteichef Lars Klingbeil den schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller wie einen Chancenlosen, nicht wie einen Verlierer. Von solchen Rückschlägen lasse man sich jedenfalls nicht mehr "aus dem Konzept" bringen. Darum geht es gerade: den Laden zusammenzuhalten.

Eine Gewichtsverlagerung zugunsten der Grünen könnte auch problematisch sein

In der Grünen-Zentrale in Berlin wird dagegen Zuversicht demonstriert. "Das ist ein Wahnsinnsergebnis", sagt Parteichefin Ricarda Lang. Es stehe zwar nicht fest, ob die CDU im Norden mit ihnen weiterregiere. In jedem Fall aber bedeute die Wahl "großen Rückhalt für uns auch im Bund". Was Lang sich verkneift am Tag danach: jeden Hinweis darauf, dass die Grünen im Norden die SPD abgehängt haben. Nur kein Triumphgeheul, ist die Devise.

Denn die öffentliche Gewichtsverlagerung zu Gunsten der Grünen birgt auch Risiken für die Partei. Die Angst der SPD, erneut von den Grünen überflügelt zu werden, sitze tief, bemerkte schon vor Wochen ein grüner Stratege. Das lässt sich auch als Warnung vor allzu breitbeinigem Auftreten verstehen. Nimmt die SPD den Erfolg von Habeck und Baerbock zunehmend als Bedrohung wahr, könnte Scholz dazu neigen, ihre Erfolge im Kabinett in Grenzen zu halten, lange vor der nächsten Bundestagswahl. Das aber wünscht sich bei den Grünen niemand. Entsprechend sanft wird kommuniziert.

Rivalität? Ein rot-grüner Wettlauf? I wo, gibt Grünen-Chefin Lang am Montag zu verstehen. In der Bundesregierung gehe es nicht darum, "die anderen schlecht dastehen zu lassen, sondern auf die Stärken der anderen aufzubauen". Die Lehre aus Schleswig-Holstein sei, "dass es honoriert wird, wenn ein Dreierbündnis in einer so schwierigen, krisenhaften Zeit zusammenhält, gut zusammenarbeitet". Wir sind und bleiben beieinander, soll das wohl heißen, jedenfalls bis auf Weiteres.

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