Süddeutsche Zeitung

Fall Maaßen:Nahles wird viel erklären müssen

Der Bruch der Koalition ist abgewendet, der Verfassungsschutzchef bekommt einen neuen Job - aber nicht mehr Geld. Dennoch wird der Gang der SPD-Chefin in ihre Parteigremien diesen Montag nicht einfach werden.

Von Mike Szymanski, Berlin

Noch ist nicht ganz klar, wohin der Fall Maaßen die große Koalition in Deutschland am Ende führen wird. SPD-Chefin Andrea Nahles bescherte sie jedenfalls ihre bisher schwierigsten Tage. Schon vorher hatte sie alle Hände voll damit zu tun, in der großen Koalition weiteren Schaden von der SPD abzuwehren. Statt durch seine Politik macht das Bündnis bislang nur durch Streit und Krisen von sich reden. Seitdem Nahles am Dienstag vergangener Woche zunächst gebilligt hatte, dass der umstrittene Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zwar - wie von der SPD gewünscht - die Behörde verlassen muss, dafür aber zum Innenstaatssekretär befördert werden sollte, kämpft sie auch um ihre Zukunft.

Am Sonntagabend haben die Parteichefs diese Entscheidung zwar korrigiert - Maaßen wird jetzt Sonderberater bei Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer. Mehr Geld bekommt er nicht. Nahles wird aber trotzdem viel erklären müssen, wenn sie an diesem Montag vor die Gremien ihrer Partei tritt.

Am Freitag war es Nahles das erste Mal nach Tagen gelungen, in dieser Debatte überhaupt einmal wieder in die Offensive zu gelangen. Sie hatte einen Brief an Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer verfasst. Es war das Eingeständnis eines Fehlers: "Wir haben uns geirrt." Seither sind Nahles' Probleme zwar noch nicht verschwunden. Aber sie hat sich - das ist einmütiger Tenor aus Kreisen der Parteispitze - etwas Luft verschafft. Der Brief, das war - wenn man so will - Nahles' "Wir-haben-verstanden"-Moment.

Jede Zeile des Briefes war zuvor in der engeren Parteiführung sorgfältig abgestimmt worden, damit sich auch Nahles' Kritiker dahinter versammeln konnten. So kam es dann auch. Juso-Chef Kevin Kühnert bedankte sich jedenfalls umgehend bei Nahles auf Twitter dafür, dass sie "die Größe bewiesen" habe und einen Fehler korrigiere. Nun müssten auch Seehofer und Merkel zeigen, "ob noch Restbestände von Anstand und Gerechtigkeitssinn vorhanden" seien.

Nahles' internen Kritikern dürfte die Vereinbarung vom Sonntag nicht weit genug gehen. Kühnert wollte, dass Maaßen überhaupt kein öffentliches Amt mehr bekleidet. Dieser tritt nun in den Schatten Seehofers. Aber immerhin ist aus SPD-Sicht zurechtgerückt, wer überhaupt die große Koalition in eine derart ernste Krise gestürzt hat. In der SPD herrscht Fassungslosigkeit darüber, mit welcher Kunst es ihr immer wieder gelinge, Probleme der anderen "auf ihren Tisch" zu ziehen, wie es ein Spitzenfunktionär formuliert. Dabei ist es Seehofer, der nichts Problematisches an Maaßens relativierenden Äußerungen zu den rechtsextremen Vorgängen in Chemnitz finden kann. Es ist CDU-Chefin Merkel, die den Konflikt mit Seehofer scheute. Aber wer diskutiert am leidenschaftlichsten über die eigenen Versäumnisse?

Die SPD. Plötzlich schien alles denkbar: ein vorzeitiges Aus der großen Koalition, für die kein anderer Partner so schwer bei sich kämpfen musste wie die SPD. Und ein frühes Ende von Nahles als Parteichefin. Es hieß schon spöttisch, die Partei müsse aufpassen, dass ihre größte Arbeitsgemeinschaft nicht bald eine Arbeitsgemeinschaft der Ex-Chefs sei.

Nahles hat die Koalition noch nicht aufgegeben

In der SPD-Spitze hat so gut wie niemand Interesse an Neuwahlen zum jetzigen Zeitpunkt. Nach den Querelen der vergangenen Tage hätte es so ausgesehen, als scheitere das Bündnis an Fehlern der SPD. Zudem hat der Streit Umfragen zufolge der SPD aber auch der Union geschadet. Gestärkt würde wohl derzeit vor allem die AfD aus Wahlen hervorgehen. Es ist nicht so, dass in der SPD-Führung die Meinung herrscht, die Koalition sei insgesamt am Ende. Seehofer wird von führenden Sozialdemokraten als das Problem ausgemacht. In drei Wochen wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Die CSU muss sich auf dramatische Verluste einstellen. Womöglich könnte sich das Problem, dass die Sozialdemokraten mit Seehofer haben, nach dem 14. Oktober von selbst lösen - indem es Seehofer aus seinen Ämtern fegt. So die leise Hoffnung.

Nach dem Kompromiss am Sonntag wird klar, dass Nahles die große Koalition noch nicht aufgegeben hat. "Die Koalition wird sich nun wieder der Sacharbeit widmen", erklärt Nahles. "Wir haben noch viel vor." An der Basis ist die Geduld mit der Union, vor allem aber die Geduld mit Seehofer erschöpft. Ein Drittel der Parteimitglieder war von Anfang an gegen die große Koalition. Der neue Streit hat diese Wunde in der Partei wieder voll aufbrechen lassen. Am Wochenende hat sich der Ärger über die große Koalition in einigen Landesverbänden offen entladen.

Die baden-württembergische SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier sagte am Samstag, sie gehöre nicht zu jenen, die die Koalition leichtfertig in Frage stellten. Aber: "Um jeden Preis muss sie auch nicht erhalten bleiben und mit jeder Demütigung auch nicht." In einem Beschluss fordert der Landesvorstand Seehofers Rücktritt. Der Minister, so heißt es in dem Beschluss, "wird insgesamt durch sein Auftreten zur Gefahr für den Staat". Beim mitgliederstärksten Landesverband, der SPD in Nordrhein-Westfalen, tagte am Samstag der Parteirat. "Die Geduld der SPD als Koalitionspartner ist erschöpft", hieß es hinterher in einem Beschluss. Nahles kann diese Stimmung kaum mehr ignorieren, wenn am Montag die Gremien der Partei zu ihren Beratungen zusammenkommen.

Nicht viel leichter wird es für sie, wenn sie - wie geplant am Nachmittag - in die Fraktion muss, deren Vorsitzende sie ebenfalls ist. Die Abgeordneten haben mit das größte Eigeninteresse, dass die Koalition nicht auseinanderfliegt. Bei Neuwahlen müssten viele um ihr Mandat bangen. Aber auch in der Fraktion ist der Ton, was die große Koalition angeht, ein anderer geworden. Der Innenpolitiker Lars Castellucci, sonst eher leise, erklärte vergangene Woche schon, dass er "keine Möglichkeit mehr sehe", Seehofer als Regierungsmitglied weiter mitzutragen. "Es reicht", schrieb er. Vor der Sitzung hieß es aus der Fraktionsspitze, da werde sich einiges am Montag wohl noch entladen.

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Quelle:
SZ vom 24.09.2018
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