Spannungen in der Großen Koalition:Gabriel legt die Lunte

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Kanzlerin Merkel (re.) und SPD-Chef Gabriel im Bundestag. (Foto: dpa)

Die NSA-BND-Kanzleramts-Affäre bietet der SPD einen Angriffspunkt. Will Parteichef Gabriel die Koalition mit der Union platzen lassen? Seine Äußerungen über Kanzlerin Merkel ließen sich so deuten.

Kommentar von Christoph Hickmann, Berlin

Sigmar Gabriel ist das, was man gemeinhin als "politisches Tier" bezeichnet. Schwächen beim Gegner erfasst er so schnell wie Stimmungen in der Bevölkerung, um daraus noch im selben Augenblick einen Parteitagsantrag oder wenigstens einen flotten Spruch zu machen. Auch seine Aussage, die Kanzlerin habe auf Nachfrage zweimal eine Beteiligung des BND an Wirtschaftsspionage durch die NSA verneint, ist ein Beispiel für die hohe (und zugleich niedere) Kunst des politischen Winkelzugs: Einerseits kann man Gabriel zumindest dem Wortlaut nach nicht vorwerfen, er habe die Kanzlerin angegriffen. Andererseits hat er die Lunte für den Fall gelegt, dass sich die Sache doch anders darstellen sollte. Es stünde dann sofort das Wort "Lüge" im Raum.

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Das Motiv des SPD-Chefs für diese kleine Gemeinheit mit potenziell großen Folgen ist zweigeteilt, es hat sowohl defensiven als auch offensiven Charakter. Defensiv muss die SPD versuchen, sich in der Geheimdienstaffäre so weit wie möglich von der Union abzusetzen, um als deren Partner nicht in Mithaftung genommen zu werden. Zugleich lechzt die Sozialdemokratie seit Jahren nach einer Gelegenheit, gegen die übermächtige Kanzlerin mal wieder in die Offensive zu kommen. Nun war die Versuchung zu groß. Bleibt die Frage, welchen Preis Gabriels Manöver hat, auf einer Skala von "morgen vergessen" bis hin zu "Bruch der Koalition".

Die Rempeleien zwischen Union und SPD werden zunehmen

Um mit dem Extremszenario zu beginnen, dem Ende von Schwarz-Rot: Noch bevor Ende 2013 der Koalitionsvertrag unterschrieben war, geisterte durch Berlin-Mitte die Theorie, wonach Gabriel die SPD im Bündnis mit der Union erst mal stabilisieren wolle, um dann, mit Regierungserfolgen im Rücken, den Bruch zu suchen und sich zum Kanzler eines (rechnerisch möglichen) rot-rot-grünen Bündnisses wählen zu lassen. Tatsächlich brannte die Partei dann im ersten Regierungsjahr ein sozialdemokratisches Feuerwerk ab - und nun, im zweiten Jahr, wäre mit der NSA-BND-Kanzleramts-Affäre die Sollbruchstelle da. Doch solche Plots funktionieren höchstens in amerikanischen Politserien. Nicht in der Realität.

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Drei Gründe werden die SPD nach jetzigem Stand davon abhalten, die Koalition zu verlassen oder zur Implosion zu bringen. Erstens ist die Linkspartei noch immer jene Linkspartei, die sie im Herbst 2013 war, also weiterhin nicht bündnisfähig (zumal die Grünen schön blöd sein müssten, sich jetzt auf dieses Irrsinnskonstrukt einzulassen, statt gelassen die nächste Wahl und damit eine realistische Aussicht auf Schwarz-Grün abzuwarten). Zweitens ist auch eine Neuwahl aus sozialdemokratischer Sicht keine Option - da reicht ein Blick auf die einer Volkspartei noch immer unwürdigen Umfragewerte. Drittens bleibt die Frage, wie sehr die breite Mehrheit der Bürger sich für die Geheimdienst-Gemengelage interessiert.

Was das angeht, erinnert die Situation an den Sommer 2013: Die NSA-Affäre hatte ihre ersten Höhepunkte erreicht, die damals oppositionelle SPD verlangte Aufklärung, das Kanzleramt mauerte, die mediale Erregung stieg. Am Ende hatte das Thema so viel Einfluss auf das Wahlergebnis wie der Ausgang der Schachweltmeisterschaft - und das, obwohl die Bürger sich direkt betroffen fühlen konnten. Schließlich stand der Vorwurf des massenhaften Abgriffs persönlicher Daten im Raum.

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Schwarz-Grün wäre rechnerisch möglich

Und die Union? Könnte die das Bündnis aufkündigen? Schließlich wäre Schwarz-Grün ebenso wie Rot-Rot-Grün auch jetzt schon rechnerisch möglich, und Angst vor einer Neuwahl müsste Merkel auch nicht haben. Aber warum sollte sie? Zum einen geben die Grünen gerade die obersten Geheimdienst-Aufklärer, könnten also nicht mal eben die Seiten wechseln. Zum anderen schätzt die große Mehrheit der Bürger Stabilität, was bedeutet, dass ihr eine streitende Koalition immer lieber ist als eine zerbrochene.

Also alles morgen wieder vergessen? So könnte man Merkels äußerst moderate Reaktion deuten, doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Zwar dürfte die Angelegenheit keine größeren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen ihr und Gabriel haben - schließlich wird der Kanzlerin immer klar gewesen sein, dass der Vizekanzler eines Tages den Punktgewinn auf ihre Kosten suchen würde. Umso gravierender werden die Auswirkungen unterhalb dieser Ebene sein. Vom Generalsekretär bis zum stellvertretenden familienpolitischen Sprecher dürfte sich das Personal beider Seiten ermutigt fühlen, mit Tritten in die Kniekehle des Partners nicht mehr sparsam zu sein. Und dann ist da ja noch Horst Seehofer, der für so was noch nie einen Anlass brauchte.

Das Regieren kann von nun an sehr, sehr mühsam werden. Unmöglich wird es nicht. Jedenfalls vorerst nicht. Man weiß ja nicht, was noch so alles herauskommt.

© SZ vom 06.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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