Süddeutsche Zeitung

Atom-Kompromiss:Der Sonntagsschuss: 40 Milliarden Euro Gewinn

Wie viel Geld verdienen die Energiekonzerne an längeren Laufzeiten der Atommeiler? Was bleibt der Opposition? Wichtige Fragen und Antworten zum Energiekonzept.

H. Beitzer und G. Babayigit

Angela Merkel will Probleme nicht mehr vertagen. Sie will künftig schneller entscheiden und einen resoluteren Führungsstil pflegen. In diesem Geist plante die Kanzlerin, die Atom-Debatte schnell zu beenden. Und so endete am Sonntagabend mit einem Kompromiss das wochengelange Gefeilsche zwischen den Koalitionsparteien und zwischen Regierung und den vier Energieriesen. Einige Fragen aber bleiben.

Wann wird Deutschland atomfrei?

Die Laufzeiten der sieben ältesten Atommeiler werden um acht Jahre verlängert, die der zehn jüngeren um 14 Jahre. Die Grenze zwischen den älteren und den neueren Atommeilern liegt bei Baujahr 1981. Der letzte Atommeiler würde demnach etwa im Jahr 2040 vom Netz gehen. Die rot-grüne Koalition hatte im Jahr 2001 beschlossen, dass die Meiler maximal 32 Jahre nach ihrer Inbetriebnahme am Netz bleiben dürfen. Demnach wäre Deutschland 2022 atomfrei gewesen.

Da seit einigen Jahren mehrere Meiler mit gedrosselter Leistung laufen oder gänzlich stillstehen und ihre Strommengen auf andere Kraftwerke übertragen werden, hat sich dieser Zeitpunkt ohnehin nach hinten verzögert. Erst 2025 wäre nach derzeitigem Stand das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet worden. Bei einem anvisierten Ausstieg bis 2040 befürchten Atomgegner nun abermals Verzögerungen

Welche rechtlichen Hürden gibt es?

"Das Atomrecht ist zweifelsfrei eine Bundeszuständigkeit", sagt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle - weshalb der Liberale sich davon überzeugt zeigt, dass der Atomkompromiss der schwarz-gelben Koalition verfassungskonform ist. SPD-Chef Sigmar Gabriel spricht von einem "schwarzen Tag für die Energiepolitik" und kündigt an, vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Dabei weiß er auch die Grünen im Boot.

Aus den Ländern ist ebenfalls Widerstand angekündigt. Ende August stellten Minister aus neun von 16 Bundesländern ein Positionspapier vor, in dem sie sich gegen eine Laufzeitverlängerung aussprachen. "Jede, auch eine marginale, Laufzeitverlängerung wird der Zustimmung des Bundesrates bedürfen", sagte die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD). Falls die Regierung versuche, die Länder zu umgehen, würden die Länder selbstverständlich das Bundesverfassungsgericht anrufen.

Ein weiterer Stolperstein für die schwarz-gelbe Koalition könnte in Brüssel liegen. Ein Greenpeace-Rechtsgutachten hält fest, dass auch die EU-Kommission ein Wörtchen mitzureden habe, wenn es um die Laufzeiten der Atommeiler in Deutschland geht. Aufgrund des Euratom-Vertrages, so das Gutachten, muss jede Neuregelung, die eine Mehrung radioaktiver Abfälle mit sich bringt, auf ihre Umweltfolgen für andere Mitgliedsstaaten hin untersucht werden. Der Bundestag könne also erst über die Verlängerung der Laufzeiten entscheiden, wenn eine Stellungnahme der Kommission vorliege. Obendrein müsse Brüssel die Gesetzesänderungen an sich auch noch abnicken.

Was verdienen die Energiekonzerne - und wie viel müssen sie zahlen?

Die Atomkraftwerke bleiben nach dem Willen der Regierung im Schnitt zwölf Jahre länger als geplant im Netz. Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg vom Juli hätten die Energiekonzerne bereits bei einer Verlängerung um zehn Jahre mit Zusatzgewinnen von 44 Milliarden Euro rechnen können. Die durchschnittliche Verlängerung um zwölf Jahre lässt diesen Betrag nochmals steigen. Einen Teil der Gewinne will jedoch die Regierung abschöpfen. Von 2011 bis 2016 müssen die Energiekonzerne jährlich eine Brennelementesteuer von 2,3 Milliarden Euro zahlen. Das Geld soll zu einem großen Teil in die Haushaltskonsolidierung fließen.

Mit den Einnahmen soll der Bund aber auch bei den Sanierungskosten für das Atommülllager Asse entlastet werden. Zusätzlich müssten die Konzerne einen Sonderbeitrag zahlen, der zur Förderung erneuerbarer Energien dienen soll. In den Jahren 2011 und 2012 wird er 300 Millionen Euro betragen, 2013 bis 2016 wären 200 Millionen Euro fällig. Nach 2016 soll der Sonderbeitrag an die Stelle der Brennelementesteuer treten und somit alle Abgaben der Konzerne in den Ausbau von Ökoenergie fließen.

Insgesamt aber kann von rund 40 Milliarden Euro Sondergewinn für die Riesen RWE, Eon, Vattenfall und EnBW ausgegangen werden. Die harte Lobbyarbeit, unter anderem mit einer Anzeigenkampagne, hat sich gelohnt.

Wird zusätzlich in die Sicherheit investiert?

Das Umweltministerium wollte ursprünglich die Sicherheitsauflagen für die Atommeiler drastisch erhöhen. Nach SZ-Informationen lautete der Plan: Die Betreiber sollten innerhalb von fünf Jahren ihre Anlagen so sicher machen, dass sie einem gezielten Anschlag aus der Luft - mit einem Airbus A320 - standhalten. Mit dieser Auflage solle das Geschäft mit älteren Kraftwerken vermiest werden, da sich ihr Betrieb aufgrund der teuren Auflagen nicht mehr lohnen würde. Doch daraus wurde nichts. Vor allem die CSU hatte sich energisch dagegen ausgesprochen, eine Laufzeitverlängerung mit höheren Sicherheitsanforderungen und somit -kosten zu verknüpfen.

Nach dem Kompromiss der schwarz-gelben Koalition müssen die Anlagen keine zusätzlichen Sicherheitsstandards erfüllen. Kanzlerin Angela Merkel ließ am Tag nach der Entscheidung allerdings Gegenteiliges verlauten, ohne aber ins Detail zu gehen: In den kommenden Jahren, so die CDU-Chefin, müssten die Konzerne noch erhebliche Summen in die Sicherheit der länger laufenden Atommeiler investieren.

Was bedeutet die Laufzeitverlängerung für die Förderung erneuerbarer Energien?

Obwohl ein Teil der zusätzlich erwirtschafteten Gewinne in die Förderung erneuerbarer Energien fließen soll, kritisiert die Ökostrom-Branche die Laufzeitverlängerung. Die Opposition befürchtet ebenso wie die Branchenverbände, dass mit der Laufzeitverlängerung die Investitionen in erneuerbare Energien ausgebremst würden.

"Mit dieser Entscheidung zementiert die Bundesregierung das Oligopol der Stromkonzerne. Die zusätzliche Abgabe stärkt ihre Wettbewerbsposition, denn sie ist nichts weiter als eine staatlich verordnete Investition in die eigene Zukunftsfähigkeit der Atomwirtschaft", sagt der Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), Björn Klusmann.

Solange alte Atomkraftwerke nicht abgeschaltet würden, verstopften diese die Stromnetze für erneuerbare Energien, sagte SPD-Chef Gabriel in der ARD. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hingegen erklärt, dass erneuerbare Energien in Zukunft mit bis zu drei Milliarden Euro jährlich gefördert werden sollen.

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