Koalition:Angela Merkel und der Kampf mit den Kraftmeiern

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Nein- und Jasager, Nichts- oder Versager: Warum der schwarz-gelben Koalition ein klarer Kurs fehlt - und was vom Krisengipfel zu erwarten ist.

Peter Lindner

Manchmal sagen Fragen mehr aus als Antworten. Als der neue SPD-Vorsitzende Anfang des Jahres im Reichstagsgebäude erschien, um an einem Empfang teilzunehmen, erkundigte er sich zuallererst: "Wo ist denn hier vorne?" Während sich der Parteichef auf den Weg Richtung Bühne machte, frotzelte ein Abgeordneter hinterher: "Na, immerhin interessiert ihn jetzt langsam, wo vorne ist."

Haben unterschiedliche Vorstellungen und Interessen: Seehofer, Merkel und Westerwelle (Foto: Montage: sueddeutsche.de)

Der Vorsitzende der SPD hieß Matthias Platzeck. Seine Partei war, im Januar 2006, Teil der Regierung - unter Kanzlerin Angela Merkel. "Vorne" war für Platzeck zu dieser Zeit verdammt weit weg. Viele Genossen warfen ihm Führungsschwäche und Konturlosigkeit vor. Im April desselben Jahres gab er auf, aus gesundheitlichen Gründen.

Führung ist bei den Sozialdemokraten aber ein Problem geblieben.

Das Elend der SPD überdeckte in der Vergangenheit allzu oft, dass auch die inzwischen regierenden Parteien CDU, CSU und FDP jenseits der Sachfragen große Schwierigkeiten haben - beim Führungspersonal, bei der Personalführung oder bei beidem. Beim Krisengipfel am Sonntag werden Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und FDP-Frontmann Guido Westerwelle diese Schwächen nicht beseitigen können, sondern bestenfalls kaschieren.

Konsens-Kanzlerin und Kraftmeier

Es gibt Jasager und Neinsager, Nichtssager oder Versager: Die politische Führungskultur in Union und FDP ist so heterogen wie das Land.

Die stets abwartende Kanzlerin wirkt zuweilen wie der personifizierte Gegenentwurf zu Seehofer und Westerwelle. Die beiden Alphatiere, die sich aus Profilierungsgründen gerne gegenseitig attackieren, gefallen sich als Kraftmeier. Mit Führungsqualitäten hat das krawallige Gebaren jedoch selten etwas zu tun. Schließlich kommt es bei Führung nicht in erster Linie darauf an, Stimmung zu erzeugen - sondern Zustimmung.

Merkel ist hier erfahrener. In der großen Koaltion, einer Zwangsehe, hat ihr moderierender Führungsstil gut funktioniert. Auch weil die Erwartungen niedrig waren. Sie zog damals ihre Stärke vor allem aus der Schwäche der SPD.

Jetzt regiert sie mit ihrem Wunschpartner, der FDP. Damit sind auch die Erwartungen gestiegen. Bislang konnte sie diesen in keiner Weise gerecht werden - auch wegen ihrer Art zu führen. Ob Steuersenkung, Kopfpauschale, Betreuungsgeld oder die Causa Steinbach: Merkel schweigt oder laviert. Sie vergisst: Regieren heißt auch reagieren. Und zwar rechtzeitig.

"Es ist an der Zeit, dass Merkel die Richtung vorgibt", sagt Daniela Forkmann. Die Politikwissenschaftlerin hat zuletzt über politische Führungsstile in Deutschland geforscht. Sie hält es für einen Fehler, dass Merkel den Krisengipfel nicht früher angesetzt hat - schließlich schwelen die Konflikte schon seit vielen Wochen.

Schlecht verhandelt

Dass sie nun derart hochkochen, liegt aber auch an gravierenden Versäumnissen bei den Koalitionsgesprächen: Die Kanzlerin machte der FDP und der CSU allzugroße Zugeständnisse - weil sie verhandelte wie sie zuletzt führte. Unentschlossen und passiv. Für Korrekturen am Vertrag ist es jetzt zu spät.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die Führungsstile der deutschen Polit-Elite typologisieren lassen, was Seehofer und Westerwelle unterscheidet - und was vom Krisengipfel zu erwarten ist.

Expertin Forkmann hat zusammen mit der Politologin Frauke Schulz die Führungstile der deutschen Polit-Elite zu typologisieren versucht. " Politische Moderatoren", zu denen Merkel zählt, setzen auf Ausgleich als Führungsprinzip.

Als weitere Kategorien werden Büroleiter genannt (wie Frank-Walter Steinmeier), Provinzfürsten (wie Kurt Beck oder Peter Müller), Populisten (wie Oskar Lafontaine) und Kosmopoliten der Großstadt (wie Klaus Wowereit).

"Natürlich lässt sich nicht jeder Politiker eindeutig einem bestimmten Typ zuordnen", betont Forkmann. Darum gehe es auch nicht. "Wir wollten lediglich Tendenzen offenlegen, damit die Unterschiede deutlicher sichtbar werden." Die Typologien der Führungsstile zerfallen insgesamt in zwei Lager: Konsens versus Konflikt.

Ein Spiegelbild der Verhältnisse in der schwarz-gelben Koalition also. Merkel auf der einen, Westerwelle und Seehofer auf der anderen Seite.

Irrlichternder Seehofer

Der CSU-Chef Seehofer, der neben dem "Populisten" auch bei Bedarf den jovialen "Landesfürsten" geben kann, versucht laut Forkmann vor allem über Medienpräsenz und Zuspitzungen zu führen. Außerdem ist er für seine Volten bekannt. Wenn es ihm opportun erscheint, ändert er gerne Mal die Richtung. Kritiker nennen das auch irrlichtern.

Seine Entscheidungen trifft er meist eigenmächtig, manchmal poltert Seehofer auch gern drauf los. Anders gesagt: Anstatt zu führen, führt er sich nur auf.

Der Partei hat dieser Stil offensichtlich geschadet: Die CSU verharrt im Umfragetief. Zu einer Revolte gegen den Ingolstädter wird es vorerst dennoch nicht kommen, da es derzeit an Alternativen fehlt. Oder, wie es die bayerische Landtagspräsidentin und Parteivize Barbara Stamm einmal nach dem desaströsen Ergebnis bei der Bundestagswahl 2009 formuliert hat: "Es können nicht schon wieder Köpfe rollen. Wo sollen die denn herkommen?"

Vom Spaßpolitiker zum Außenminister

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle braucht um seinen Führungsposten nicht fürchten, im Gegenteil. Nach einem überragenden Wahlergebnis sitzt er fester im Sattel als jemals zuvor. Es hat sich offenbar gelohnt, dass er sich und seiner Partei in den vergangenen Jahren einen Imagewechsel verordnete - vom Spaßpolitiker mit "Guidomobil" zu einem, zumindest optisch, seriösen Staatsmann. Schrille Provokationen wie in den neunziger Jahren waren von ihm zuletzt kaum noch zu vernehmen - dafür populistische Parolen.

Noch viel lauter als Seehofer schreit er immer noch nach weiteren Steuersenkungen, trotz der größten Wirtschaftkrise aller Zeiten und trotz der desaströsen Haushaltslage des Bundes. Auch jetzt lässt der Parteichef davon nicht ab, da er unter Zugzwang steht: Westerwelle will seine Versprechen um jeden Preis einlösen, um mit seiner FDP nicht wieder als "Umfallerpartei" dazustehen und natürlich: um seine Macht zu erhalten. Auch deshalb wird er als FDP-Chef wohl weiter mehr auf Konfrontation setzen als auf Konsens.

Mit einem Führungsstil, der von Verantwortungsgefühl und Augenmaß getragen ist, hat das allerdings nichts zu tun - zwei von drei Eigenschaften, die der Soziologe Max Weber einst als entscheidene Qualitäten von Politikern bezeichnete. Neben der Leidenschaft. Diese scheint wiederum Merkel zuweilen zu fehlen.

Trotz aller Unterschiede und Querelen: Am Sonntag werden alle drei mit vereinten Kräften darum bemüht sein, Einigkeit zu demonstrieren. Zuvor, hinter verschlossenen Türen, wird Merkel den Herren Westerwelle und Seehofer aber auch klarmachen, wo vorne ist: Dort, wo sie steht.

Wofür sie steht, verrät sie dann hoffentlich auch.

Die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu Führungsstilen in der Politik haben Daniela Forkmann und Frauke Schulz veröffentlicht in einem Aufsatz in: Felix Butzlaff, Stine Harm und Franz Walter (Hrsg.): Patt oder Gezeitenwechsel? Deutschland 2009

Im Video: CDU-Spitze stärkt Merkel vor Koalitionsgipfel. Merkel: Müssen neue Wählerschichten erreichen

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