Süddeutsche Zeitung

Nestlé-Video:Die nächste CDU-Politikerin im Shitstorm

Lesezeit: 2 Min.

Von Robert Roßmann, Berlin

Rolf Mützenich, der Interims-Fraktionschef der SPD, ist in dieser Woche wegen seines Umgangs mit den sozialen Medien in die Kritik geraten. Um genau zu sein: Er musste sich für seinen Nichtumgang rechtfertigen. Mützenich hatte gesagt, dass er nicht "auf Twitter" sei und man ihm Meinungen bitte "persönlich mitteilen" solle, gerne auch schriftlich. Und dass er nichts dagegen hätte, wenn man dabei Gedanken "auch mal konzentriert vorträgt". Mützenichs Twitter-Boykott finden nicht alle zeitgemäß. Dass seine Einstellung aber auch Vorteile hat, beweist in diesen Tagen Julia Klöckner.

Die Agrarministerin ist in vielerlei Hinsicht anders als der beinahe schüchtern auftretende Mützenich. Das gilt auch für den Umgang mit Twitter. Klöckner nutzt den Dienst seit mehr als zehn Jahren. Und man tritt ihr nicht zu nahe, wenn man sagt, dass nicht alle ihrer 27 600 Tweets konzentriert vorgetragene Gedanken waren. Genau deshalb steht Klöckner jedenfalls gerade mal wieder in einem gewaltigen Shitstorm.

Klöckner hat erst über den Account ihres Ministeriums ein Video twittern lassen, in dem sie zusammen mit dem Nestlé-Deutschland-Chef die Zucker-, Fett- und Salzreduktionsstrategie des Konzerns lobt. Dafür erntete sie heftige Kritik. Der Youtuber Rezo twitterte etwa: "Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als Werbung kennzeichnen müssen." Dass Klöckner wirbt - und dann auch noch für ein derart umstrittenes Unternehmen wie Nestlé -, verärgerte Tausende Twitter-Nutzer. Und Klöckner? Die reagierte auf die Kritik mit einem Tweet, den sie mit "An die Hatespeaker" begann - und feuerte den Shitstorm damit erst richtig an.

Die CDU ist im Umgang mit den sozialen Medien meistens zu behäbig. Erst erkennt die Partei nicht, dass ein Problem aufzieht - und wenn sie es dann doch erkannt hat, reagiert sie gar nicht oder viel zu langsam. Das hat der Umgang der CDU mit dem "Die Zerstörung der CDU"-Video von Rezo beispielhaft gezeigt. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat am vergangenen Montag eingestanden, dass die CDU in der digitalen Kommunikation Nachholbedarf hat. "Wir werden und müssen besser werden in den sozialen Medien", sagte Kramp-Karrenbauer nach einer Klausur ihres Bundesvorstandes.

Klöckner hat das alles nicht nötig. Sie scheint die sozialen Medien schon lange ohne Unterlass zu verfolgen. Die Ministerin reagiert fast immer schnell und direkt. Das funktioniert meistens gut, auch weil Klöckner Selbstironie und Humor nicht fremd sind - schlagfertig ist sie auch. Doch manchmal gehen die Tweets auch vollkommen daneben.

Medienanstalt will das Klöckner-Nestlé-Video prüfen

Am Mittwoch hat Klöckner in einer Rede beim Kongress des Frauenwirtschaftsmagazins Plan W beschrieben, warum sie die sozialen Medien so nutzt, wie sie es tut. Sie wolle keine Politik hinter verschlossenen Türen machen und setze auf Transparenz, sagte die Ministerin. Mit ihren Beiträgen auf Twitter und Instagram dokumentiere sie, wie politische Prozesse abliefen. Leider würden ihre Beiträge aber regelmäßig missbraucht, "um Stimmung zu machen oder um Dampf abzulassen". Sich deshalb in den Netzwerken stumm zu stellen, würde sie trotzdem als politische Bankrotterklärung verstehen. Sie halte bei Falschbehauptungen lieber mit Fakten dagegen.

Das klingt ehrenwert, geht im aktuellen Fall aber am Problem vorbei. Denn die Empörung darüber, dass Kritiker als "Hatespeaker" abgetan werden, ist ja keine unzulässige Stimmungsmache. Und die Kritik an dem werblichen Auftritt mit dem Nestlé-Chef ist ja keine Falschbehauptung. Sogar Parteifreunde Klöckners beanstanden das Video. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter klagt etwa: "Das geht gar nicht, sich als Ministerium so eng an eine Firma zu binden." Die Medienanstalt Berlin Brandenburg will das Video jetzt prüfen.

Am Donnerstag versuchte das Agrarministerium deshalb, den Schaden zu begrenzen. Eine Sprecherin sagte, mit "Hatespeaker" habe Klöckner nicht alle Kritiker gemeint, sondern nur diejenigen, welche die Ministerin als "Konzernhure" bezeichnet hätten.

Und Rolf Mützenich? Der wird sich durch all das nicht gerade bestärkt fühlen, jetzt doch zu twittern.

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Quelle:
SZ vom 07.06.2019
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