Seit dem Ende der Ampelkoalition wird in Berlin viel spekuliert, welche geplanten Gesetze die Minderheitsregierung unter Kanzler Olaf Scholz noch über die Ziellinie retten kann. Offen ist das Rennen aber auch bei der Klinikreform, die der Bundestag vor knapp vier Wochen durchgewinkt hat – in kaum noch vorstellbarer Einträchtigkeit mit den Stimmen von SPD, FDP und Grünen. Trotzdem gab es für das Vorhaben, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor zwei Jahren als „Revolution“ angekündigt hatte, schon damals heftigen Gegenwind. Und der hat nach dem Ampel-Aus am vergangenen Mittwoch wieder zugenommen.
Beim 47. Deutschen Krankenhaustag, der gerade in Düsseldorf über die Bühne geht, wies Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) genüsslich darauf hin, dass Lauterbach die Kanzlermehrheit verloren habe. Deshalb müsse er bei seiner Reform nun Zugeständnisse an die Länder machen. Laumann hatte immer wieder betont, dass er das Gesetz grundsätzlich befürworte – aber nicht in der jetzigen Form. Anfang des Monats legten er, seine Ressortkolleginnen aus Bayern und Hessen sowie der Kollege aus Baden-Württemberg ein neunseitiges Papier vor. Sie fordern Änderungen im Lauterbach-Gesetz. Um sie durchzusetzen, wollen sie bei der Bundesratssitzung am 22. November einen Vermittlungsausschuss erzwingen.
Qualitätskriterien aufweichen, Finanzlöcher überbrücken
Im Kern geht es in dem Papier um eine Aufweichung der Qualitätsvorgaben, die Lauterbach in seinem Gesetz festgeschrieben hat. Diese Vorgaben sollen Krankenhäuser künftig erfüllen, wenn sie Eingriffe vornehmen und bei den Krankenkassen abrechnen wollen. Laumann argumentiert, wenn er die Vorgaben in seinem Bundesland flächendeckend umsetze, wären ganze Landstriche ohne Versorgung. Besonders schwierig sei es, die Vorgaben aus dem Bund zur Zahl der Fachärzte einzuhalten, sie seien zu hoch. In vielen Regionen gebe es diese Ärzte einfach nicht. Laumann plädiert dafür, den Bundesländern Spielraum zu lassen. Es müsse auch möglich sein, von den Qualitätsvorgaben abzuweichen, falls sonst die Versorgung gefährdet wäre.
Der zweite große Streitpunkt in dem Papier betrifft die Finanzierung der Kliniken. Schätzungen zufolge werden dieses Jahr 80 Prozent der etwa 1700 Krankenhäuser in Deutschland rote Zahlen schreiben. Inflation und Lohnsteigerungen treiben die Kosten in die Höhe. Die Budgeterhöhungen der Krankenkassen reichten nicht, um diese Kosten auszugleichen, klagen Klinikverantwortliche. Deshalb sei eine Überbrückungsfinanzierung nötig. Andernfalls müssten viele Häuser schließen, bevor Lauterbachs Reform überhaupt greift. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnt seit Monaten vor einem unkontrollierten Kliniksterben.
Die Autorinnen und Autoren des Papiers wollen die strittigen Punkte in einem Vermittlungsausschuss ändern. Damit er zustande kommt, sind 35 der insgesamt 69 Stimmen im Bundesrat nötig. Die Chancen dafür stehen gut: Neben den vier Ländern, die das Papier vorgelegt haben, haben sich auch Schleswig-Holstein, Thüringen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt für die Anrufung eines Vermittlungsausschusses ausgesprochen.
Nach der Auflösung des Bundestags ist es zu spät
Allerdings könnte die Zeit knapp werden. Wenn sich der Bundestag auflöst, gibt es nichts mehr zu vermitteln. Laumann entgegnet, auch nach einer Vertrauensfrage des Kanzlers werde der Bundestag nicht sofort seine Arbeit einstellen. Die strittigen Punkte der Reform ließen sich notfalls in einem halben Tag aus dem Weg räumen. Daran gibt es jedoch Zweifel. Befürworter der Reform fürchten, das Gesetz könnte, wenn es im Ausschuss gelandet ist, durch weitere Einwände verzögert werden. Was letztlich bedeute, dass es nicht kommt.
Zudem ließ Lauterbach, der auf dem Krankenhaustag per Livestream zugeschaltet war, keinen Zweifel daran, was er von den Änderungsvorschlägen hält. Er kenne das Papier, sagte er. Sein Ziel sei es aber, die Qualität in den Kliniken deutlich zu verbessern. „Wenn wir da Zugeständnisse machen müssen, dann werden wir, auch wenn es bitter wäre, die Reform nicht machen.“ Er fürchte, dass ansonsten weitere Milliarden in das System gepumpt würden, ohne das sich strukturell etwas ändert. Das sei „die deutsche Lösung“, sagte Lauterbach, sie habe die heutige Misere verursacht. Er werde alles tun, um einen Vermittlungsausschuss zu verhindern.
Selbst aus Sicht von DKG-Chef Gerald Gaß wäre das Scheitern der Reform eine schlechte Lösung. Er warnt vor weiteren Verzögerungen, die Kliniken bräuchten endlich Planungssicherheit. Allerdings sagt er auch, bevor das Gesetz unverändert in Kraft trete, bleibe man lieber beim Status quo und werde die drängendsten Themen dann mit der neuen Regierung besprechen.
An diesen Gesprächen könnte auch Karl-Josef Laumann teilnehmen, er wird auf dem Krankenhaustag bereits als Lauterbachs Nachfolger gehandelt. Gut möglich, dass er sich dann in einer Regierung mit dem Koalitionspartner SPD wiederfindet. Laumann ließ sich in Düsseldorf dazu nichts entlocken. Er betonte aber, auch wenn Lauterbachs Revolution scheitere, bleibe die Aufgabe bestehen, mit knapper werdenden Ressourcen die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren und die Qualität zu verbessern. Eine neue Regelung sei aber auch mit einer neuen Regierung zeitnah möglich, schließlich könne auf die bereits geleistete Arbeit zurückgegriffen werden. Es sei ja nicht alles schlecht, was in dem Gesetz von Lauterbach steht.