Süddeutsche Zeitung

Europäische Union:Beim Klimaschutz geht noch was

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Die EU-Kommission will Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent senken. Das Umweltbundesamt rechnet vor: Es wäre noch mehr möglich.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Karoline Meta Beisel, Brüssel, Berlin, Brüssel

Bis auf die eckigen Klammern ist alles fertig. In eckigen Klammern steht in EU-Gesetzesentwürfen das, worüber es bis zuletzt noch keine Einigung gibt - fast immer ist das der Punkt, der politisch besonders umstritten ist. So ist es in der vergangenen Woche auch beim Klimagesetz gewesen: Auf fast alle Punkte haben sich die EU-Umweltminister am Freitag bei ihrem Treffen in Luxemburg bereits geeinigt - etwa darauf, das bereits vereinbarte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 nun auch in Gesetzesform festzuhalten. Die heikelste Frage aber haben sie eckig ausgeklammert: Um wie viel Prozent soll die Europäische Union ihren Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 senken?

Bisher gilt offiziell ein Ziel von minus 40 Prozent, immer verglichen mit 1990. Die Kommission hat eine Anhebung auf mindestens 55 Prozent vorgeschlagen, damit könnte auch die Bundesregierung gut leben. Doch nun prescht das Umweltbundesamt (Uba) vor. "Uns läuft die Zeit weg", sagt Behördenchef Dirk Messner. "Wir müssen schnell und zielgerichtet handeln." Die 20er-Jahre, warnt der Wissenschaftler, seien die "Entscheidungsdekade". Und in der könnten die Europäer auch gut und gerne auf minus 60 Prozent kommen. Mindestens.

Das Umweltbundesamt will einen strengeren Emissionshandel in der EU

Einem Papier der Dessauer Behörde zufolge sind die Europäer schon jetzt auf bestem Wege, ihre Emissionen bis 2030 zu halbieren - allein durch die bereits beschlossenen Stilllegungen von Kohlekraftwerken und die EU-Gesetzgebung rund um Ökostrom und den sparsamen Umgang mit Energie. Für alle Ziele jenseits der 50 Prozent seien "unmittelbare und konsequente Aktionen in allen Mitgliedstaaten und Sektoren nötig", heißt es in dem Papier. Minus 60 Prozent sei ein "vernünftiges Klimaziel".

Konkret schlägt die oberste deutsche Umweltbehörde vor, den Emissionshandel der EU rasch zu verschärfen. Er begrenzt die Emissionen von Fabriken und Kraftwerken und gilt als sehr effizient: Die Unternehmen müssen hier Zertifikate kaufen, wenn sie Kohlendioxid ausstoßen. Eine weitere Verknappung dieser Emissionsrechte ließe deren Preis steigen. Das trifft vor allem klimaschädliche Anlagen. Jährlich müsste die Menge der Zertifikate künftig um 4,6 Prozent schrumpfen - statt bisher um 2,2 Prozent.

Ein vergleichbares System, aber zunächst separat, schwebt den Uba-Experten auch für Verkehr und Wärme vor - europaweit. Von Mitte der Zwanziger an ließen sich damit auch die Emissionen deckeln, die bei der Verbrennung von Kraftstoffen oder Heizöl anfallen. Dies könne ein "neuer, wichtiger Baustein in der Klimaarchitektur der EU" werden, schreiben sie. Auch Erfahrungen aus Deutschland könnten einfließen, wo vom nächsten Jahr an ein CO₂-Preis für Wärme und Verkehr anfallen soll; auch er soll in ein Handelssystem münden. Ergänzt werden müsse aber auch dies durch weitere Vorgaben, etwa für die Emissionen der Fahrzeugflotte oder für die Sanierung von Europas Gebäuden.

Dänemark würde sogar noch weiter gehen als 60 Prozent

Das Umweltministerium wollte sich zu den Vorschlägen seiner Behörde am Mittwoch nicht äußern. Stattdessen begab sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in den Umweltausschuss des Bundestages. Ihr zentrales Ziel bleibe eine Einigung noch während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, erklärte Schulze vor den Abgeordneten, also in diesem Jahr. Da sei sie zuversichtlich, sagte die SPD-Politikerin. "Die Zeichen stehen auf erheblich mehr Klimaschutz." Auf wie viel, ließ aber auch sie offen.

Denn dazu müssten sich Kommission, EU-Parlament und der Europäische Rat einigen. Das Parlament fordert, ganz wie das Umweltbundesamt, ein Minus von 60 Prozent. Die Mitgliedstaaten aber beraten noch. Manche Mitgliedstaaten, vor allem aus Skandinavien, haben beim Umweltministertreffen vergangene Woche bereits angekündigt, dass sie gerne über die 55 Prozent hinausgehen wollen. Schweden zum Beispiel rief die anderen EU-Staaten dazu auf, sich auf mindestens 60 Prozent zu einigen, Dänemark wäre sogar zu minus 65 Prozent bereit. Andere dagegen wollen sich noch gar nicht zu einer konkreten Zahl verpflichten, bevor sie nicht ausgerechnet haben, was dieses oder jenes Ziel für die einzelnen Sektoren in ihrem Land bedeuten würde.

Die Staats- und Regierungschefs wollen sich bei ihrem Dezembergipfel höchstpersönlich mit dem Thema befassen. Auf oberster Ebene sollen die eckigen Klammern verschwinden. Mit dem Fernziel der Klimaneutralität stehen die Europäer ohnehin nicht allein da: Am Mittwoch erklärte auch Südkorea sie zum Ziel für 2050. Zwei Tage zuvor hatte das auch Japans neuer Ministerpräsident Yoshihide Suga getan.

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