Man musste die Gegend gut kennen, um zu sehen: Das kann nicht sein. Berge im Hintergrund auf den Fotos, die es dort nicht gibt. „Da wurden Fotos von Projekt X für Projekt Y verwendet“, sagt Christian Schefold. „Erst bei intensiven Recherchen konnte man feststellen, dass das nicht stimmte.“ Mit derlei Recherchen befasst sich Schefold seit einiger Zeit im Berliner Büro der Anwaltskanzlei Dentons; es geht um den Verdacht millionenschwerer Betrügereien mit Klimaschutz-Zertifikaten in China. Sein Auftraggeber: das deutsche Umweltbundesamt.
Im Zentrum steht ein Mechanismus, der eigentlich dem Klimaschutz dienen sollte. Unternehmen sollten Emissionen vermeiden, die bei der Förderung von Öl oder Gas anfallen, und für diese „Upstream-Emission-Reduction“-Zertifikate erhalten. Die UER-Zertifikate wiederum können sich Mineralölkonzerne in Deutschland in der Klimabilanz gutschreiben lassen – sie erfüllen damit ihre gesetzlich vorgeschriebene Treibhausgasminderungsquote. Ein Milliardengeschäft ist so entstanden, finanziert durch einen Preisaufschlag an der Zapfsäule. Was aber, wenn solche Klimaschutzprojekte nur heiße Luft sind?
Diesen Verdacht hatten als erstes Firmen geschöpft, die in das Geschäft mit den Klimaquoten eingestiegen waren. Sie wunderten sich über den massiven Verfall der Quoten-Preise, ausgelöst durch das Angebot aus China: von einst 400 Euro je Tonne auf nur noch gut 100. Sie setzten ihrerseits Detektive in Gang, die auf erste Ungereimtheiten stießen. Da, wo angeblich Anlagen das Klima schonen sollten, fand sich auf Satellitenbildern alles Mögliche, aber keine Industrie. In einem Fall war dort, wo eine Firmenzentrale sein sollte, ein Hühnerstall.
Auch Firmen in Deutschland bekamen Besuch von der Staatsanwaltschaft
Das Umweltbundesamt geriet in die Kritik, es ist für die Zulassung der Projekte zuständig. Zertifizierungsfirmen aus Deutschland, deren Leute in China die Vorhaben durchgewinkt hatten, fanden sich erst im Zwielicht wieder und bekamen dann Besuch von der Staatsanwaltschaft. Die Opposition im Bundestag witterte einen Skandal und zitierte die Umweltministerin mehrfach vor den zuständigen Ausschuss.
Was genau dahintersteckt, wer sich was hat zuschulden kommen lassen oder wie hinters Licht geführt wurde – all das ist noch nicht ganz klar. Aber der Nebel lichtet sich, auch dank zäher Detektivarbeit. Von insgesamt 66 dieser Projekte in China habe man sich mittlerweile 56 „ziemlich genau“ angeschaut, sagt Dirk Messner, der Chef des Umweltbundesamtes. „Und bei 45 Fällen gehen wir von einem starken Verdacht aus.“ Auch neue Anträge werden nun noch kritischer geprüft. In sieben Fällen zogen die chinesischen Antragsteller unlängst von sich aus zurück, einen Fall lehnte das Umweltbundesamt mit Sitz in Dessau-Roßlau ab. Aber die ganze Angelegenheit ist diffizil, schließlich geht es um Verwaltungsakte: Auf die Behörde könnten Schadenersatzforderungen zukommen, wenn sie dabei untadelige Projekte aussiebt.
Bei den bisherigen Recherchen sind Schefold und seine Leute auf ein System von Schattenfirmen gestoßen. Im Zentrum steht demnach ein Vermittler, der Projekte gewissermaßen auf dem Papier ausheckte. Dieser habe „die Projekte gekidnappt und so angepasst, dass sie auf die Anforderungen passen“, sagt Schefold. Über fingierte Firmen wurden dann die nötigen Anträge gestellt, um Zertifikate verkaufen zu können. Womöglich haben Ölkonzerne, bei deren Förderanlagen so Treibhausgase vorgeblich gemindert wurden, davon noch nicht einmal etwas mitbekommen.
Wahrscheinlich gibt es viele Opfer – und nur wenige Täter
Zu diesem Netz wiederum müssen in China auch Zertifizierer und Validierer gehört haben, schließlich erkannte das Umweltbundesamt nur zertifizierte Projekte an. „Wahrscheinlich gibt es viele Opfer dieses Geflechts“, sagt Schefold, „aber nur wenige Täter.“ Immer seien in diesen „Schattenstrukturen“ die gleichen Akteure aufgetreten. Als die Detektive versuchten, im Auftrag der Dessauer Behörde chinesische Anlagen in Augenschein zu nehmen, sei ihnen mehrfach der Zutritt verwehrt worden. Das verstärkte den Verdacht zusätzlich.
Verdacht – dieses Wort steht in Großbuchstaben über allem, noch braucht es gerichtsfeste Beweise. Auch Messner wählt seine Worte mit Bedacht. Aber: „Wir gehen nicht davon aus, dass ein erheblicher oder auch nur kleinerer Teil der 45 Projekte in Ordnung sein könnte.“ Als Nächstes geht es dann darum, die entsprechenden Quotenrechte vom Markt zu nehmen. „Ziel ist es, diese 45, soweit es geht, rückabzuwickeln“, sagt Messner. Zertifikate im Umfang von knapp vier Millionen Tonnen Treibhausgasen ließen sich so noch vom Markt nehmen. Bei weiteren zwei Millionen Tonnen allerdings käme die Aufklärung zu spät. Die Projekte sind abgeschlossen, die Zertifikate nach Einschätzung der Behörde nicht mehr rückholbar. Der Betrug an Tankkunden und am Klima – in diesen Fällen scheint er geglückt zu sein.