Süddeutsche Zeitung

Klimawandel:Letzte Instanz

Landwirte verklagen die Bundesregierung wegen unterlassener Klimapolitik. Im Oktober soll es die erste mündliche Verhandlung geben.

Von Michael Bauchmüller und Tobias Bug, Berlin/München

Geht es nach den Klägern, dann wird der 31. Oktober ein Tag der Wahrheit. Zum ersten Mal in der Geschichte soll sich eine Bundesregierung für ihre Klimapolitik rechtfertigen - oder eher: für unterlassene Klimapolitik.

Für diesen Tag jedenfalls hat nun das Verwaltungsgericht Berlin eine erste mündliche Verhandlung angesetzt, es geht um die Klage von drei Bauernfamilien und der Umweltorganisation Greenpeace. Sie verlangen vom Bund, schnellstmöglich wirklich alles zu tun, um die deutschen Klimaziele bis 2020 noch zu erreichen. Die Bundesregierung habe sich selbst das Ziel gegeben, bis dahin die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 zu drücken - daran sei sie nun auch gebunden. "Es ist ein wichtiger Schritt, dass ein deutsches Gericht überhaupt einmal über den Klimaschutz einer Bundesregierung verhandelt", sagt die Hamburger Anwältin Roda Verheyen. Sie vertritt die Kläger.

Die Bundesregierung hatte bisher wenig Interesse an dem Verfahren gezeigt. Stattdessen beantragten ihre Anwälte mehrfach eine Verlängerung der Frist, um überhaupt Stellung zu nehmen. Man konzentriere sich darauf, "beim Klimaschutz wieder nach vorne zu kommen", heißt es aus dem zuständigen Umweltministerium. Im Ziel sei man sich einig.

"Dass die Verhandlung angesetzt wurde, stimmt mich positiv", sagt Heiner Lütke Schwienhorst. Er ist einer der Landwirte, die den Bund verklagt haben. Auf seinem Gut im brandenburgischen Vetschau hat der Bio-Bauer seit Jahren mit Dürreperioden zu kämpfen. Er fühle sich "durch die Klimaverhältnisse in seinem Recht auf freie Berufswahl eingeschränkt".

Mit der Eröffnung der Verhandlung ist noch längst nicht klar, dass der Bund zur Verantwortung gezogen wird. Zunächst einmal wird das Gericht wohl klären müssen, auf welche Norm sich die Kläger überhaupt stützen können. Erst dann fällt die Entscheidung, ob über das deutsche Klimaziel vor Gericht verhandelt wird.

Vorläufer gibt es. 2018 verurteilten Richter die niederländische Regierung dazu, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken. Geklagt hatten 2013 die Organisation Urgenda und 900 Bürger.

Man brauche eben Weitsicht und Geduld, sagt Christoph Bals, Chef der Organisation Germanwatch. Sie unterstützt ebenfalls Klimakläger; eine Klage von zehn Familien aus verschiedenen Ländern war unlängst vom Europäischen Gericht abgewiesen worden. Die Berufung läuft. Es seien auch viele Klagen gegen die Tabakindustrie gescheitert, ehe der juristische Durchbruch gelang, sagt Bals. "Danach wird man nicht mehr verstehen können, wie Raubbau am Klima so lang ohne rechtliche Konsequenzen bleiben konnte."

Germanwatch unterstützt auch einen peruanischen Kleinbauern, der von RWE Abhilfe verlangt. Als größter Emittent Europas trage der Kohlekonzern Mitschuld am Klimawandel - und so auch am kritischen Zustand einer Gletscherlagune, die sein Dorf bedroht. Das Oberlandesgericht Hamm will es genau wissen und hat einen Ortstermin in den Anden angesetzt. Ein Ersuchen an den Staat Peru läuft schon, aber das dauert. Wertvolle Zeit, warnt Germanwatch, in Zeiten der Klimakrise.

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SZ vom 10.08.2019
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