Klimawandel:Leben am Straßenrand

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Vielen deutschen Städten sterben die Bäume weg. Ausgefallene Techniken sollen das Grün retten.

Von Jan Heidtmann

Berlins Bäume haben eigentlich einen mächtigen Schutzpatron. Ben Wagin, heute 89, hat sich Zeit seines Lebens für sie eingesetzt. Mehrere Zehntausend von ihnen hat der Bildhauer, Zeichner und Aktionskünstler in der Stadt gepflanzt. An der Brandmauer eines Hauses im Bezirk Tiergarten hat er mit dem "Weltbaum I" das erste große Wandbild in Berlin geschaffen - darauf der Auspuff eines Motorrads und ein schreiender Baum. Bundesweit ist Wagin daher auch unter dem Titel "Baumpate" bekannt.

Doch all der Beistand hat nichts genutzt: Verstärkt durch die vergangenen zwei Hitzesommer sterben nicht nur Berlin, sondern allen Städten in Deutschland die Bäume weg. In Koblenz müssen 500 gefällt werden, in Karlsruhe 1200, in Berlin schwand der Bestand in den vergangenen zwei Jahren um rund 7000. Und der Bergahorn an Würzburgs Straßen, er ist inzwischen komplett ausgestorben.

Es ist nicht nur die Trockenheit, die den Großstädtern unter den Bäumen massiv zusetzt. So ist es in heißen Sommern in den Städten bis zu zehn Grad wärmer als außerhalb. Da der Beton die Hitze speichert, kühlt es auch nachts nicht mehr ab. Je mehr die Städte versiegelt werden, desto weniger können sich zudem die Wurzeln entfalten. Dazu kommen Schäden an den Rinden durch Falschparker und Hundeurin; das Streusalz im Winter wiederum belastet besonders die Linden. So werden die Bäume anfällig für Schädlinge aller Art, in Berlin ist das neuerdings der Rußrindenpilz. "Also ich bin froh, dass ich kein Straßenbaum bin", sagt Derk Ehlert vom Umweltsenat.

Ehlert erwartet, dass sich das ganze Ausmaß der Schäden durch die Hitzesommer erst im nächsten Jahr zeigt: "Bäume sind nachtragend." Das wäre nicht nur für die Gewächse fatal, denn sie sind für das Stadtklima essenziell, als Schattenspender, als Feinstaubfilter und als Sauerstoffreservoir. Schon ein mittelgroßer Baum produziert Luft für bis zu zehn Menschen.

Mit immer ausgefalleneren Methoden versuchen die Städte daher, ihren Schützlingen zu helfen. In Celle werden manche Bäume am Fuß mit einem in Dänemark entwickelten Sack umhüllt. Der wird regelmäßig mit Wasser befüllt und versorgt den Baum stetig. In Heilbronn ist die Stadtverwaltung noch einen Schritt weiter gegangen und hat ein unterirdisches System installiert, das einige der Bäume mit Wasser und Sauerstoff ernährt.

Doch all das Bemühen wird kaum ausreichen, denn selbst die deutsche Eiche scheint dem Stadtstress nicht mehr gewachsen. "Wir stehen vor einem großen Umbruch", sagt Susanne Böll. Sie leitet das Projekt "Stadtgrün 2021" an der Bayerischen Landesanstalt für Gartenbau. Seit zehn Jahren werden dort Bäume aus fremden Gefilden auf ihre Tauglichkeit getestet. Die Schattenspender der Zukunft müssen frostresistent sein und hitzebeständig, auch sollten sie einer starken UV-Strahlung standhalten können. Inzwischen geben die Forscher erste Empfehlungen, die ungarische Eiche zum Beispiel für heiße Städte, die amerikanische Rot-Esche für kältere. Aber vor allem "braucht es ein Umdenken", sagt Böll. Die Stadtplanung müsse viel mehr Raum für die Bäume schaffen.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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