Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Das Klima baut mit

Schon der Bau von Wohnungen belastet die Umwelt enorm - vor allem dann, wenn Zement zum Einsatz kommt. Aber es gäbe Alternativen.

Von Michael Bauchmüller

Das Quartier der Zukunft steht bisher nur in Computeranimationen. Die Sonne scheint, Menschen flanieren entspannt durch autofreie Straßen, die Bäume sind grün, und die Häuser - die sind aus Holz. In diesem Jahr starten die ersten Vorbereitungen, von 2027 an sollen peu à peu erste Wohnungen bezugsfertig sein: das Schumacher-Quartier, errichtet auf dem Gelände des einstigen Berliner Flughafens Tegel. 5000 Wohneinheiten. Das größte Holzbauquartier Europas, wenn nicht der Welt. "Was da entstehen kann", sagt Raoul Bunschoten, "ist eine neue Ästhetik von Städten." Und obendrein eine, die mehr Treibhausgase speichert, als sie beim Bau verursacht.

Bunschoten, Professor für nachhaltige Stadtplanung und Städtebau an der Technischen Universität Berlin, arbeitet gerade an einer Art Holzbaukasten für das neue Viertel. Teile, aus denen sich einfach Gebäude zusammenfügen lassen, und das nach Möglichkeit aus den Wäldern der Umgebung. Beschaffung, Fertigung, die ganze Logistik - eine komplexe Sache sei das. "Aber wenn es uns gelingt, dann machen wir Städte zu riesigen Kohlenstoffspeichern", sagt Bunschoten. Umgekehrt solle sich das Land gut überlegen, ob es 400 000 neue Wohnungen wirklich auf herkömmlichem Wege bauen wolle. "Wir sollten nicht vor allem mit Beton bauen", sagt der Architekt.

Klimasünder Gebäude

Genau das aber ist bisher die Regel. Vor gut einem Jahr errechnete das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, welchen ökologischen Fußabdruck ein Gebäude im Laufe der Jahre hinterlässt. Die Zahlen waren gigantisch. So ging im Jahr 2014 ein Drittel der deutschen Treibhausgasemissionen auf das Konto von Gebäuden. Den Löwenanteil machte zwar der Betrieb der Gebäude aus, also etwa der Energiebedarf fürs Heizen und warmes Wasser. Doch ein Viertel entfiel auf die Bauphase.

Besonders ins Gewicht fällt buchstäblich der Zement. Wenn eine Tonne davon hergestellt wird, fallen 600 Kilogramm Kohlendioxid an. Mit erneuerbaren Energien und noch so viel Effizienz lässt sich hier nur bedingt etwas machen - denn der größte Teil fällt bei der Entsäuerung des Kalksteins an, einem chemischen Prozess. Hersteller wie Heidelberg Cement liebäugeln deshalb mit der Abscheidung und unterirdischen Speicherung von CO₂. Die Mengen sind beachtlich: Weltweit gehen acht Prozent aller Emissionen auf die Zementherstellung zurück.

Hinzu kommen in vielen Häusern große Mengen Stahl und Kunststoffe, ein Sechstel aller Emissionen beim Hausbau geht darauf zurück; plus natürlich der Energieaufwand rund um die Baustelle. Je mehr fossiler Strom im Netz ist, desto schlechter ist hier die Bilanz. Und dann sind Abriss und Entsorgung des Bauschutts in den meisten Bilanzen nicht enthalten. Selbst beim robustesten Gebäude fallen die irgendwann an. Immerhin plant die neue Koalition nun einen "digitalen Gebäuderessourcenpass" - er könnte nicht nur transparenter machen, was so in einem Gebäude drinsteckt, sondern hilft auch beim Recycling. Beim späteren Abbruch ließen sich die verschiedenen Baustoffe leichter trennen.

Aber es gibt Unterschiede. So stecken in gemauerten Wänden in aller Regel weniger Emissionen als in gegossenen. Und natürlich ist der Fußabdruck je Bewohner kleiner, je mehr Wohneinheiten ein Gebäude hat. Rein energetisch betrachtet, ist das Einfamilienhaus eine größere Belastung als ein Mehrfamilienhaus, was man in einem Land mit mehr als 16 Millionen Einfamilienhäusern freilich nicht so gerne hört. Und auch andere Umweltbelastungen, etwa die Versiegelung von Flächen, verteilt sich bei Mehrfamilienhäusern auf mehr Köpfe. Und mehr Pendelverkehre gehen mit neuen Siedlungen an Stadträndern meist auch einher.

Der Wohnungsbau beeinflusst auch das regionale Klima

Betroffen von alldem ist freilich nicht nur das Weltklima, sondern auch das regionale. So bedeuten neue Wohnungen in den Städten auch eine stärkere Verdichtung und oft eine größere Ausdehnung. "Und das hat stadtklimatische Effekte", sagt Andreas Vetter, der sich beim Umweltbundesamt mit solchen Fragen beschäftigt. Frischluftschneisen könnten verschwinden, oder wichtige Grünflächen. Die Städte könnten sich noch stärker erwärmen. "Das muss man beim Bau im Blick haben." Begrünte Fassaden oder Dächer könnten helfen, solche Effekte zu dämpfen.

Derlei Grün findet sich auch in den Modellen des Berliner Schumacher-Quartiers. Natürlich gebe es noch einiges zu lernen beim Bauen mit Holz, räumt auch Stadtplaner Bunschoten ein, und es gibt auch noch Herausforderungen, etwa bei höheren Gebäuden. "Aber man darf auch nicht so tun, als wäre es folgenlos, jährlich 400 000 Wohnungen nur mit Zement zu bauen." Und wer alte Fachwerkhäuser kenne, der wisse um die Qualitäten des Baustoffes Holz.

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