Die Bundesregierung macht ernst, sie rückt den Klimaschutz ganz nach oben auf die Agenda. Man will den "angeblichen Gegensatz" zwischen Klimaschutz und Wirtschaft überwinden, mit Rücksicht auf nachfolgende Generationen. "So zu leben und zu wirtschaften, dass die Lebenschancen zukünftiger Generationen erhalten bleiben, ist das wichtigste Kriterium für eine nachhaltige Entwicklung", sagte Bundeskanzler Gerhard Schröder - im April 2001. Die Einsicht zumindest gab es damals schon.
Seinerzeit hatte sich der "Rat für nachhaltige Entwicklung" konstituiert. Das neue Gremium sollte auf Anraten Schröders "nicht nur kluge Papiere schreiben, sondern Ideen in gesellschaftliche Wirklichkeit umsetzen". Genau das ist aber für jeden Rat schwierig, selbst dann, wenn er wie dieser 15 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Industrie und Umweltverbänden zusammenbringt.
Zu seinem zwanzigjährigen Bestehen jedenfalls hat der Rat zusammen mit der Wissenschaftsakademie Leopoldina ein kluges Papier zur Klimaneutralität verfasst. "Optionen für eine ambitionierte Weichenstellung und Umsetzung" soll es aufzeigen: mehr globale Partnerschaften, mehr Bürgerbeteiligung, ein steigender, am Markt gebildeter CO₂-Preis, der sozial abgefedert gehört. Und natürlich der Umbau von Energieversorgung, Industrie, Mobilität, Landnutzung. "Für die Transformation hin zur Klimaneutralität ist die nächste Legislaturperiode entscheidend", steht in dem Papier. Die Zeit dränge.
Angela Merkel kennt solche Mahnungen. 16 Mal trat sie bei Jahrestagungen des Rates auf, meist sehr besonnen. "Ich nehme interessiert, aufgeschlossen und aufmerksam zur Kenntnis, wenn Sie uns mahnen", sagte Merkel bei ihrem ersten Auftritt 2006. Gemessen daran ist sie diesmal geradezu leidenschaftlich. "Wir müssen den Mut zu einer echten Transformation haben", sagt sie. "Wir leben weltweit auf Kosten jüngerer und künftiger Generationen. Das ist einfach die bedrückende Wahrheit."
"Was wir bisher tun, reicht schlichtweg nicht aus"
Zu den bedrückenden Wahrheiten zählt auch, dass Deutschland vielen seiner Nachhaltigkeitsziele hinterherhinkt. Bei manchen, etwa beim Anteil des Ökolandbaus oder bei der Flächenversiegelung, wurde noch rasch das Bezugsjahr geändert, von 2020 auf 2030. Sonst wäre die Verfehlung noch augenfälliger geworden . "Bei 18 von 75 Zielen gibt es ein Lücke", räumt Merkel ein. Bei sieben gehe die Entwicklung sogar in die falsche Richtung, etwa bei den CO₂-Emissionen im privaten Konsum. "Wir müssen uns fragen, warum wir so sehr im Heute und für das Heute leben", sagt die Kanzlerin. "Was wir bisher tun, reicht schlichtweg nicht aus."
Immerhin, und das war in Merkels Amtszeit nicht immer so, stellt sich die scheidende Bundesregierung auf europäischer Ebene nicht mehr quer. Die EU-Kommission arbeitet gerade an einem Gesetzespaket zum Klimaschutz, es heißt "Fit for 55". In einer Stellungnahme, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, begrüßt die Bundesregierung das Paket. Es müsse "einen geeigneten Rahmen setzen, damit sich der Green Deal als neue, an den Klimazielen ausgerichtete, nachhaltige Wachstumsstrategie für Europa entfalten kann", heißt es darin. Die Emissionen müssten dadurch "verlässlich begrenzt" werden, etwa durch eine "Ausweitung der CO₂-Bepreisung auf Verkehr und Wärme in einem separaten System". Die Regeln für Luftverkehr und Autoindustrie müssten ebenfalls schrittweise strenger werden.
Auch Frans Timmermans kommt bei der Tagung des Nachhaltigkeitsrats zu Wort. "Ich habe einen Wunsch", sagt der Vizepräsident der EU-Kommission, der dort die Klimapolitik vorantreibt. Wenn man sich zum dreißigjährigen Bestehen wieder treffe, dann wolle er gerne auf ein Jahrzehnt zurückblicken, "in dem es uns gelungen ist, die entscheidenden Weichen zu stellen". Ein kluges Papier dafür hat der Rat ja nun.