Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Qualm aus dem Maschinenraum

Die Staaten haben die "Klimaneutralität" für sich entdeckt - fast alle wollen bis Mitte des Jahrhunderts keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Zumindest verkünden sie das auf den internationalen Bühnen - doch unter Deck sieht es ganz anders aus.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Auf den Bühnen der internationalen Klimapolitik ist kaum ein Ziel zu groß. "Klimaneutralität" ist die Losung der Stunde, je früher, desto besser. Japan, China, Kanada, die Europäische Union, neuerdings auch die USA: Alle wollen irgendwann um die Mitte des Jahrhunderts unterm Strich keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Sagen sie zumindest. Denn im Maschinenraum sieht die Sache anders aus.

Am Freitag hat das Klimasekretariat der Vereinten Nationen Zahlen herausgegeben, die so gar nicht zu den großen Reden passen. Die Bonner UN-Behörde hat errechnet, wie viel die bisher eingereichten Klimapläne der Staaten in den nächsten zehn Jahren tatsächlich zum Kampf gegen die Erderwärmung beitragen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Demnach lassen sie die Emissionen bis 2025 nicht sinken, sondern leicht steigen - um gut zwei Prozent. Bis zum Jahr 2030 wird der Rückgang, verglichen mit 2010, bei 0,5 Prozent liegen. 0,5 Prozent - das ist so gut wie nichts. "Wir laufen blind in ein Minenfeld", sagt Patricia Espinosa, die Chefin des Klimasekretariats.

Die Anstrengungen "bleiben weit hinter dem zurück, was nötig ist"

Wie stark die Emissionen bis 2030 sinken müssten, um die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stabilisieren, hatte der Weltklimarat 2018 errechnet: um 45 Prozent gegenüber 2010. Selbst für eine Begrenzung auf zwei Grad Celsius müsste der Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um ein Viertel schrumpfen. Und was bis 2030 nicht geschafft ist, macht den Weg zur klimaneutralen Welt bis 2050 umso beschwerlicher. Die erwarteten Senkungen, so heißt es auch im Bericht, "bleiben weit hinter dem zurück, was nötig ist". Sie machten nur deutlich, wie sehr die Zusagen der Staaten noch nachgebessert werden müssen.

Die nationalen Klimapläne sind der Dreh- und Angelpunkt des Pariser Klimaabkommens. Das Vertragswerk definiert keine Emissionsziele für die einzelnen Staaten, sondern setzt auf deren Beiträge für den Klimaschutz. Alle fünf Jahre sollen sie dazu Pläne vorlegen, die jeweils besser sein müssen als die vorherigen. Auf Basis von Berechnungen, wie sie das Sekretariat nun vorgelegt hat, sollen diese Pläne so peu à peu verschärft werden. Durch diesen Mechanismus aus Zusagen und deren Nachbesserung soll das Abkommen jene Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens zwei, besser noch 1,5 Grad Celsius erreichen, die nun so fern scheint.

Allerdings fehlen derzeit aus vielen Staaten noch aktualisierte Zusagen, so auch aus China, Indien und den USA, die unter dem neuen Präsidenten gerade erst wieder dem Klimaabkommen beigetreten sind. "Der Bericht ist ein Schnappschuss, nicht das ganze Bild", sagt auch Espinosa. Er umfasst derzeit nur 30 Prozent der Emissionen - allerdings von Staaten, die unterschiedlich viel für das Klima tun. So berücksichtigen die Zahlen schon höhere Klimaziele der EU: Sie hatte dem Klimasekretariat noch im Dezember gemeldet, ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 drücken wollen. Auch Länder wie Großbritannien, Norwegen, Argentinien und Chile haben Pläne eingereicht, die mehr Klimaschutz in den nächsten Jahren vorsehen. Demgegenüber weitet etwa Brasilien seine Emissionen im jüngsten Plan noch aus, und auch Japans Plan ist weit weniger ambitioniert als der aus Brüssel.

Viele Hoffnungen ruhen auf den USA und China

Die nächsten nationalen Zusagen stehen allerdings nun bald an. Für den 22. April lädt US-Präsident Joe Biden zu einem eigenen Klimagipfel, zum "Leaders' Climate Summit". Es wird erwartet, dass Washington bis dahin auch einen eigenen nationalen Plan vorlegen wird - den künftigen Beitrag der USA zum internationalen Klimaschutz. Vorher noch wird in Peking der 14. Fünfjahresplan vorgestellt, auch er soll sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschreiben. Viele Hoffnungen ruhen nun auf diesen beiden Staaten.

Am Ende des Jahres schließlich sollen die Staaten in Glasgow zur nächsten UN-Klimakonferenz zusammentreten. Der Gipfel, der im vorigen Jahr der Pandemie zum Opfer gefallen war, soll auch die nächste Gelegenheit sein, dürftige Pläne noch nachzubessern. Rechtzeitig vorher will auch das Klimasekretariat aktualisierte Zahlen vorlegen. "Dieser Report sollte als dringender Aufruf dienen", sagte am Freitag der britische Politiker Alok Sharma, designierter Präsident der Klimakonferenz. Noch lasse sich das Schlimmste abwenden. "Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich das Fenster dafür rasch schließt."

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