Was die Welt sich noch leisten kann an Kohlendioxid-Ausstoß, das hat der Weltklimarat IPCC gerade noch einmal vorgerechnet. Mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln, so steht es im Bericht, führen weitere 1150 Gigatonnen CO₂ in eine Welt, die um zwei Grad Celsius wärmer ist als vor der Industrialisierung - mit katastrophalen Folgen in praktisch allen Teilen der Erde. 700 Gigatonnen führten zu 1,7 Grad Celsius Erwärmung, und 400 Gigatonnen wären noch drin bis zu jenen 1,5 Grad Celsius, die das Pariser Klimaabkommen im besten Fall erreichen will. Mit Ausnahme der AfD peilen alle im Bundestag vertretenen Parteien in ihren Programmen diese Marke an. Es gibt da nur ein Problem: die Kohle.
Denn große Teile des deutschen Budgets könnten von den verbleibenden Braun- und Steinkohlekraftwerken aufgezehrt werden, heißt es in einer Studie des Energie-Thinktanks Energy Brainpool. Sie liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Im Auftrag der Ökostromfirma Greenpeace Energy hatte er verschiedene Szenarien für die Zukunft der deutschen Kohle untersucht, immer unter den Bedingungen des deutschen Kohleausstiegs. Dieser sieht zwar die Abschaltung von Kraftwerken in Schritten vor. Die letzten dürfen aber nach den geltenden Regeln noch bis 2038 laufen.
Wie viel Strom sie noch erzeugen, hängt von verschiedenen Variablen ab - dem Strompreis etwa, der über ihre Rentabilität entscheidet. Oder den Preisen im europäischen Emissionshandel, der den Kraftwerken einen Teil ihrer Klimalast aufbürdet: mit Zertifikaten, die sie für jede Tonne CO₂ vorhalten müssen. Je mehr die kosten, desto teurer wird der Betrieb von Kohlekraftwerken. Doch wie man es dreht und wendet, ein großer Teil des verbleibenden Budgets geht für die Kohle drauf.
Den Berechnungen zufolge verbrauchen die Kohlekraftwerke selbst im günstigsten Fall noch 39 Prozent dessen, was Deutschland auf Dauer emittieren darf. Die Emissionszertifikate sind in diesem Fall teuer, viele Kohlekraftwerke werden schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht betrieben. Im schlechtesten Fall dagegen steigt der Anteil auf über 73 Prozent. Die Energiewende kommt ins Stocken, die Kohle bleibt rentabel. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass für Verkehr, Gebäude und Industrie kaum noch etwas übrig bliebe. Sie dürften insgesamt noch gut 1100 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen. Legt man die Emissionen des Corona-Krisen-Jahres 2020 zugrunde - und die waren schon niedrig -, reichte das für nicht einmal drei Jahre.
Kohleausstieg sollte überdacht werden
Experten verlangen deshalb, den geplanten Kohleausstieg zu überdenken. Zwar könne man darüber diskutieren, ob das Konzept der CO₂-Budgets insgesamt zu starr und apodiktisch sei, sagt Oliver Geden, der sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin mit Klimapolitik befasst. "Das ändert aber nichts daran, dass man sein Budget nicht mit Kohlestrom-Emissionen belasten sollte." Wer im Wahlkampf das 1,5-Grad-Ziel ausrufe, "kann nicht ernsthaft beim Kohleausstieg 2038 bleiben", sagt Geden. Ähnlich argumentiert Greenpeace Energy. "Eine Bundesregierung, die zu internationalen Klimazielen steht, muss schneller als geplant aussteigen", sagt Vorstand Sönke Tangermann.
Das Konzept eines nationalen Emissionsbudgets war maßgeblich vom Sachverständigenrat für Umweltfragen entwickelt worden. Zuletzt hatte sich auch das Bundesverfassungsgericht darauf in seiner Entscheidung zum Klimaschutzgesetz gestützt. Prinzipiell lasse sich die "verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle" in ein globales Emissionsbudget umrechnen, das dann auf Einzelstaaten heruntergebrochen werde, befanden die Karlsruher Richter Ende April. Und: "Ein umfangreicher Verbrauch des CO₂-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen." Er verknappe die Zeit, um noch "freiheitsschonend" auf eine klimaneutrale Lebensweise umzusteigen.