Lange haben sie daran gewerkelt, diese Woche ist das Papier endlich fertig: eine Erklärung Deutschlands und Frankreichs zum "Green Deal" der Europäischen Union. Berlin und Paris wollen die Debatte voranbringen, nicht nur bei den Coronahilfen, sondern auch bei Europas Klimaprogramm. Dieses müsse "den Ausgangspunkt für eine umfassende, moderne Wachstumsstrategie" legen, heißt es in dem Papier, ausgehandelt von den Umweltministerien. "Der Deal bietet einen umfassenden Rahmen für einen Wiederaufbauplan, mit dem die Wirtschaft auf nachhaltige und innovative Weise gefördert werden soll." So oder ähnlich klingt das derzeit in vielen Hauptstädten. Macht Europa jetzt ernst mit dem Klimaschutz?
Als die neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen im vorigen Winter ihren Plan für eine grüne Wirtschaft vorlegte, waren Coronaviren noch ein Thema für spezialisierte Mediziner. Ein halbes Jahr später hat das Virus die Welt fest im Griff. Und der Green Deal? Zu Beginn der Krise fürchteten manche, er werde nun in den Hintergrund rücken. Auch wenn sich einige Initiativen etwas verzögern, den Plan gibt es noch, und nicht nur das: Beim Wiederaufbau nach der Krise soll er nach dem Willen von Klimakommissar Frans Timmermans sogar im Mittelpunkt stehen.
"Das Geld, das wir jetzt in die Hand nehmen, können wir nur einmal ausgeben", sagte er Ende der vergangenen Woche bei einer Videokonferenz, zu der die EU-Abgeordnete Delara Burkhardt (SPD) eingeladen hatte. Die nachfolgenden Generationen müssten die Schulden, die jetzt aufgenommen werden, abzahlen. Darum sei es nicht gerecht, jetzt in die "alte Wirtschaft" zu investieren, sagte Timmermans. An Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), die an der Debatte ebenfalls teilnahm, richtete er einen dringenden Appell: "Die deutsche Ratspräsidentschaft ist entscheidend für Erfolg oder Misserfolg des Green Deals." Wenn der Wiederaufbau nicht nachhaltig gestaltet werde, "dann schaffen wir 2030 nicht, und dann schaffen wir 2050 nicht".
Deutschland spielt bei der Operation eine entscheidende Rolle
Bis 2050 soll Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent werden, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als sich anderweitig der Atmosphäre entziehen lassen. Das verlangt Einschnitte bei Energieerzeugung und -verbrauch, Verkehr und Industrie, bei Haushalten, Gewerbe und Landwirtschaft. All diese Bereiche will Brüssel durchdeklinieren, flankiert von neuen Klimazielen: Bis 2030 soll der Ausstoß klimaschädlicher Gase um 50 bis 55 Prozent unter dem Wert von 1990 liegen - bislang liegt dieser Wert bei 40 Prozent.
Deutschland spielt bei der Operation eine entscheidende Rolle. Nicht nur, weil das größte Industrieland Europas auch die größte CO₂-Schleuder ist. Die Klimapolitik dürfte auch zentrales Thema der deutschen Ratspräsidentschaft sein, die in sechs Wochen beginnt. In der zweiten Jahreshälfte sollen die EU-Staaten ihre Position zum Vorschlag der Kommission festlegen. Wo Berlin dabei steht, hat Kanzlerin Angela Merkel kürzlich klargemacht. Die EU habe mit dem Green Deal "den Weg aufgezeigt", sagte sie kürzlich beim Petersberger Klimadialog in Berlin, einem informellen Austausch von Ministern aus aller Welt. Doch der Weg zum klimaneutralen Kontinent sei lang: "Deshalb begrüße ich den Vorschlag des Zwischenziels, in der Europäischen Union bis 2030 die Emissionen auf 50 bis 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren."
Innerhalb der Unionsfraktion kommen noch einige Wenns und Abers hinzu, aber an der groben Richtung rüttelt auch sie nicht. "Es ist vollkommen richtig, dass Europa mit dem Green Deal mit gutem Beispiel vorangeht", sagt Anja Weisgerber (CSU), Beauftragte für Klimapolitik in der Fraktion. "Dazu gehört auch, dass sich alle Europäer mehr anstrengen müssen."
Deutschland gehörte in den letzten Jahren nicht unbedingt zu den Treibern europäischer Klimapolitik. Häufig konnte sich die Koalition nicht oder erst spät auf Positionen einigen. Entsprechend sprachlos blieb Berlin in Brüssel. Treiber waren häufig Länder wie Frankreich, Spanien, Italien, Portugal, während Länder im Osten Europas bremsten. Deutschland fand sich oft genau dazwischen.
Nun aber bemüht sich die Bundesregierung um eine Mittlerrolle. Eine gemeinsame Erklärung des "Weimarer Dreiecks" ist in Vorbereitung, dem neben Deutschland und Frankreich auch Polen angehört. Die polnische Regierung hatte sich zuletzt offen für mehr Klimaschutz gezeigt. "Der globale Umbau der Energie muss weitergehen", beschwor jüngst auch Polens Klimabeauftragter Michał Kurtyka.
Das Virus wird zum Verbündeten, nicht Gegner der Klimapolitik
Das Virus wird dabei mittlerweile zum Verbündeten, nicht zum Gegner der Klimapolitik. Der Plan für den Wiederaufbau der Wirtschaft, so sehen es inzwischen viele EU-Mitglieder, soll gleichzeitig ein Plan im Kampf gegen die Klimakrise sein. Schon Mitte April formulierten Minister aus zehn Ländern das auch in einem Brief an von der Leyen. Der Green Deal als "neue Wachstumsstrategie" könne sowohl die Wirtschaft ankurbeln, als auch einen grünen Umbau antreiben, schrieben die zehn. Es gehe auch um ein Zeichen der EU an den Rest der Welt. Wenige Tage später war die Zahl der Unterzeichner auf 17 gestiegen - auch Schulze gesellte sich noch flott dazu.
Während der deutschen Ratspräsidentschaft geht es aber nicht nur darum, sich hinter Appellen zu versammeln. Deutschland kommt dann die Aufgabe zu, auch ganz praktisch an der Umsetzung des Green Deals zu arbeiten. Das gilt zum einen für die Einigung auf ein neues Reduktionsziel für 2030. Da seien die Diskussionen im Rat der Mitgliedstaaten derzeit "schwierig", sagt Schulze, die Positionen noch sehr weit auseinander. Die zuständige Berichterstatterin im EU-Parlament hat vorgeschlagen, das Ziel auf 65 Prozent zu erhöhen. Timmermans hält das für unrealistisch: "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie das machbar sein sollte." Er glaube, dass man sich am Ende auf ein neues Reduktionsziel von 55 Prozent einigen werde.
Zum anderen muss sich Deutschland aber auch um die kleinteiligeren Initiativen kümmern, die den Green Deal ausformen sollen, etwa um eine Strategie für nachhaltigere Ernährung, die die Kommission an diesem Mittwoch gemeinsam mit Ideen für mehr Naturschutz vorstellen will ("Farm to Fork"). Sie soll das Essen auf europäischen Tellern gesünder und nachhaltiger machen. Zumindest bei diesen Initiativen dürfte die Corona-Krise dann doch eher nachteilig wirken: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Farm to Fork für die Deutschen eine ganz große Priorität sein wird", sagt ein Diplomat.