In der Ampel-Koalition formiert sich Widerstand gegen den Plan der EU-Kommission, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einzustufen. Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) kritisierte vor allem die Einstufung von Atomenergie als umweltfreundlich. "Die Vorschläge der EU-Kommission verwässern das gute Label für Nachhaltigkeit", sagte er am Wochenende. Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei bei dieser Hochrisikotechnologie falsch. Dies verstelle den Blick auf die langfristigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt.
Habeck kritisierte zudem, dass auch Erdgas als ökologisch vorteilhaft gelten soll. Immerhin mache die EU-Kommission aber klar, dass Gas durch grünen Wasserstoff ersetzt werden müsse. Vor allem beim Erdgas zeichneten sich im Regierungsbündnis allerdings Meinungsunterschiede ab.
FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner lobte den Vorschlag der EU-Kommission teilweise. "Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten", sagte Lindner am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. Deshalb habe die Bundesregierung dafür geworben, dass die entsprechenden Investitionen effektiv möglich seien. "Ich bin dankbar dafür, dass von der Kommission offenbar Argumente aufgegriffen wurden", sagte Lindner. Wenn die Transformation gelingen solle, seien investitionsfreundliche Rahmenbedingungen nötig.
Mit Blick auf die Atomenergie sagte Lindner: "Dass die Bundesregierung zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung vertritt als die Kommission, ist bekannt." FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte der SZ, modernste Gaskraftwerke seien "unverzichtbar" für den Übergang zu einer dekarbonisierten Wirtschaft. "In diesem Zusammenhang Kompromisse in Bezug auf die Nutzung der Kernenergie in anderen EU-Ländern einzugehen, kann durchaus Sinn machen."
Die Einstufung im Rahmen der sogenannten Taxonomie ist ein EU-weit gültiges System zur Klassifizierung von Finanzprodukten. Sie soll Anlegern Orientierung geben und Geld in den grünen Umbau der Wirtschaft lenken. Der Plan der Kommission zur Einstufung von Gas- und Atomkraftwerken war am Samstag bekannt geworden. Er sieht unter anderem vor, dass Investitionen als grün klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan vorliegt für ein Endlager zur Entsorgung hoch radioaktiver Abfälle bis 2050.
Das Vorhaben rief auch Widerspruch aus der SPD hervor. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch sagte, Deutschland sollte "alle Möglichkeiten ausschöpfen, um auf europäischer Ebene eine Förderung dieser Technologie zu verhindern". Neue Atomkraftwerke seien unwirtschaftlich und "ohne massive Subventionen überhaupt nicht finanzierbar".
Die Umsetzung des EU-Plans könnte nur eine breite Mehrheit europäischer Länder verhindern, die mindestens 20 EU-Staaten umfasst, welche mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung vertreten. Dies gilt als unwahrscheinlich.