Bürgerrat Klimaschutz:Billiges Fleisch? Eher verzichtbar

Kühe zur blauen Stunde

Eine deutliche Mehrheit des Bürgerrats Klimaschutz befürwortet einen weitgehenden Verzicht auf Milch- und Fleischprodukte.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Der Bürgerrat Klimaschutz stellt seine Empfehlungen zur Begrenzung der Erderwärmung vor. Schirmherr Horst Köhler spricht von "erstaunlich klaren Ergebnissen".

Von Thomas Hummel

Ein Mini-Deutschland wollten die Organisatoren im Bürgerrat Klimaschutz abbilden. 160 Frauen und Männer kamen zusammen, Jung und Alt, Stadt und Land, mit und ohne Migrationshintergrund, mit Abitur oder Hauptschulabschluss, aus unterschiedlichen sozialen Milieus. Und dieses Mini-Deutschland hat sich mehrheitlich dazu entschlossen, sich von der Wurst zu verabschieden. 76 Prozent waren dafür, im Sinne des Klimaschutzes weitgehend auf Milch- und Fleischprodukte zu verzichten.

Bürgerräte sind ein zunehmend populäres Mittel, die Bevölkerung einzubeziehen in politische Prozesse. Sie sollen dem Eindruck entgegenwirken, in der Demokratie entschieden oben Beamte, die keine Ahnung hätten von den Problemen der kleinen Leute. Aus zufällig ausgewählten Bürgern wird eine Gruppe zusammengestellt, die sich im Kleinen ungefähr so zusammensetzt wie die Gesamtbevölkerung. Der Bürgerrat Klimaschutz sollte die Frage klären, wie die nationalen Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen sind, gemäß denen die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden soll. Vorbilder dafür gab es in Frankreich und Großbritannien.

Nach zwölf Sitzungen und mehr als 50 Stunden Arbeitszeit einigten sich die 160 Räte auf zehn Leitsätze. Der wichtigste lautet: "Das 1,5-Grad-Ziel hat oberste Priorität." Dem sei alles unterzuordnen. Dabei soll es gerecht zugehen, sowohl sozial wie auch für künftige Generationen. Zudem gaben die Bürgerräte 76 konkrete Empfehlungen an die Politik - und räumten mit dem ein oder anderen deutschen Mythos auf.

Billiges Fleisch ist demnach eher verzichtbar. Stattdessen soll sich die Landwirtschaft umstellen, weg von der Massentierhaltung, hin zu einer natur- und klimaschonenden Lebensmittelproduktion. Im Bereich Mobilität stimmten 79 Prozent dafür, Neuzulassungen von Vebrennermotoren bis spätestens 2030 zu verbieten. Für teurere Flugtickets sprachen sich noch mehr aus. Selbst das Tempolimit erhielt eine Mehrheit, wenngleich eine dünne. Für 120 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen und 30 km/h innerorts plädierten 58 Prozent. Nur die Einführung einer City-Maut wurde knapp abgelehnt.

"Jetzt hat sich meine Sichtweise verändert."

Adnan Arslan, 32-jähriger Fertigungssteuerer aus Velbert in Nordrhein-Westfalen, gab zu, er habe sich zuvor kaum Gedanken zum Klimaschutz gemacht. Er habe bezweifelt, selbst etwas tun zu können. Als ihn der Bürgerrat kontaktierte, fehlte ihm grundlegendes Wissen. "Jetzt hat sich meine Sichtweise verändert", sagte er am Donnerstag in einer Pressekonferenz. Er riet der Gesellschaft, sich aufklären zu lassen.

Die Debatten in den Sitzungen seien kontrovers gewesen, es habe unterschiedliche Sichtweisen gegeben, manch einer sei auch bei seiner Meinung geblieben. "Aber am Ende haben wir diese Empfehlungen gemeinsam erarbeitet." Er selbst versprach, sich ein Fahrrad zu kaufen und die 3,5 Kilometer zum Arbeitsplatz nicht mehr mit dem Auto zu fahren.

In einer Pause der letzten Sitzung am Mittwochabend wurde deutlich, dass es durchaus Kontroversen gab. In dem Online-Treffen warf ein Teilnehmer ein, die Empfehlungen seien "Wischiwaschi", das könne er nicht unterstützen. Eine Teilnehmerin schimpfte, beim CO₂-Preis gehe es "ganz klar um meinen Geldbeutel. Das ärgert mich". Am Ende wurden allerdings fast alle Beschlüsse mit 80 Prozent oder mehr Ja-Stimmen gefällt. Zum Beispiel der Kohleausstieg bis 2030. Photovoltaikanlagen auf Dächern sollen schrittweise verpflichtend werden. Bis 2036 sollen alle öffentlichen Gebäude energetisch saniert sein, zudem müsse die Politik hier dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

"Ein sind erstaunlich klare Ergebnisse", sagte Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident und Schirmherr des Projekts. Er sehe darin ein Zeichen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auf Dauer nicht abspeisen ließen mit Kompromissen, die das Problem nicht lösten. "Vielleicht sind sie schon weiter als die Politik vermutet."

Die Ergebnisse sollen im Bundestagswahlkampf beachtet werden

Köhler brachte sein politisches Gewicht ein. Denn der Bürgerrat Klimaschutz hat den Makel, dass er nicht vom Bundestag eingesetzt wurde, wie sein Vorgänger mit dem Thema "Deutschlands Rolle in der Welt". Stattdessen haben ihn der Verein Bürgerbegehren Klimaschutz und die Gruppe Scientists for Future angestoßen, umgesetzt wurde er von drei Instituten mit Erfahrungen im Bereich Bürgerbeteiligung. Klima- und Naturschutzverbände unterstützten den Rat, aber auch der Deutsche Bauernbund, der Bund Katholischer Unternehmer oder die Verbraucherzentralen. In einem begleitenden Beirat fanden sich Vertreter der Automobilindustrie, des Mieterbundes oder des Sozialverbands VdK. Dazu versorgten zwei Dutzend Wissenschaftler den Bürgerrat mit Informationen.

Grund für den Termin ist die anstehende Bundestagswahl. Die Resultate sollen im Wahlkampf eine Rolle spielen. Mareike Menneckemeyer, Teilnehmerin aus einem Vorort von Nürnberg und zweifache Mutter, äußerte die Befürchtung, die Politik werde das Papier ansehen wie ein Bild, das die Kinder aus dem Kindergarten mitbringen und sagen: "Das habt ihr schön gemacht." Um es danach wegzulegen und zu vergessen.

Wolfgang Lucht, Wissenschaftler am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam, appellierte indes, alle Parteien sollten prüfen, wie sie ihre Ambitionen im Klimaschutz erhöhen könnten. Er sagte: "Wenn sie diese Empfehlungen einbeziehen, geben sie nicht irgendeiner Interessengruppe nach."

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