Süddeutsche Zeitung

Umweltpolitik:Neuer Klimaplan, alter Klimastreit

Lesezeit: 4 min

Weniger Postflüge und mehr Bahn, elektrische Autos und niedrigere Steuern auf klimafreundliche Lebensmittel: Wie die Bundesregierung beim Klimaschutz ein Fiasko noch abwenden will - und sich mit einer großen Lösung schwertut.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Roland Preuß, Berlin

Wie schlecht es um Deutschlands Klimaziele steht? Im März sprach das Umweltbundesamt Klartext. Gleich reihenweise habe das Land seine Vorgaben gerissen. So stießen etwa Autos, Lastwagen und Züge im vorigen Jahr 148 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus - drei Millionen mehr, als das Gesetz erlaubt. Auch Deutschlands Gebäude verfehlten die gesetzlichen Ziele um zwei Millionen Tonnen. Die Emissionen seien gestiegen, statt zu sinken, warnte die Umweltbehörde. "Jeden Stolperstein" für mehr Klimaschutz müsse die Regierung aus dem Weg räumen, "schnellstens".

Auf 99 Seiten hat die Bundesregierung inzwischen reagiert und ein "Klimaschutz-Sofortprogramm 2022" aufgesetzt. Der Entwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Das Programm soll sicherstellen, dass die Ziele des Klimagesetzes bis 2030 eingehalten werden. Die Ministerien mussten entsprechende Zusatzpläne vorlegen. Es geht um den Wandel der Mobilität, Anreize für den Umbau der Industrie, neue Regeln beim Bau und eine Steuerreform, die klimafreundliche Lebensmittel verbilligen könnte.

Es geht also um viel. "Das Tempo der Emissionsminderungen muss sich", so heißt es in dem Papier, "in den kommenden Jahren insgesamt mehr als verdoppeln und dann bis 2030 nahezu verdreifachen." Ohne Kurswechsel würden die angepeilten 438 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen im Jahr 2030 um fast 50 Prozent überschritten. Die Regierung befürchtet dann einen Ausstoß von 633 Millionen Tonnen. Doch die Vorschläge in den verschiedenen Sektoren machen klar: Selbst wenn die gesamte Regierung in den anstehenden Verhandlungen dem Entwurf zustimmt, könnte es eng werden.

Verkehr

Das macht schon der Verkehrssektor deutlich, den schon Ex-Kanzlerin Angela Merkel als "Sorgenkind" ausgemacht hatte. Seine Bilanz hat sich in den vergangenen Jahren kaum gebessert. Laut deutschem Klimagesetz müssen die Emissionen dort bis 2030 fast halbiert werden. Doch auch das Zusatzprogramm aus dem Ressort von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fällt nicht gerade ambitioniert aus. Neben dem ohnehin geplanten Ausbau des Schienenverkehrs und schärferen EU-Abgasgrenzwerten für Autos bereitet Wissing eine stärkere Förderung von vollelektrischen Autos für Unternehmen vor. Die sollen sie per Sonderabschreibung künftig leichter finanzieren können.

Andere Maßnahmen gelten eher als Hoffnungswert. Eine "Plattform Klimaschutz in der Mobilität" des Ministeriums solle bis Ende 2022 gesellschaftlich und wirtschaftlich tragfähige Maßnahmen zum Verkleinern der verbleibenden CO₂-Lücke erarbeiten, heißt es im Entwurf weiter. Zudem soll die Deutsche Post auf Brieftransportflüge in der Bundesrepublik verzichten. Umweltschützer üben Kritik. "Wir fragen uns, ob der Entwurf reicht, um die Lücken im Klimaschutz tatsächlich zu füllen", sagt Sebastian Scholz, Klimaexperte des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu). So finde sich nicht mal ein temporäres Tempolimit in dem Entwurf, genauso wenig ein Moratorium für den Neubau von Autobahnen und Fernstraßen. "Das würde nicht viel kosten, aber einiges bringen", sagt Scholz.

Energie und Industrie

Nirgends türmen sich bis 2030 potenziell so hohe Verfehlungen auf wie rund um den Strom. Die Regierung verweist auf die die Reform des Ökostromgesetzes EEG, "die größte Beschleunigungsnovelle seit Bestehen des Gesetzes". Auch ein vorgezogener Kohleausstieg, "idealerweise" bis 2030, findet sich im Sofortprogramm. Konkreter wird es aber nicht. Dafür werden Grundzüge der nächsten Gesetze nun klarer - etwa das Ziel, zwei Prozent der Landesfläche für Windräder zu reservieren. Ein entsprechendes Gesetz solle "konkrete Flächenziele für die einzelnen Bundesländer" festlegen, "einschließlich Zwischenzielen", heißt es in dem Entwurf.

Zugleich soll mehr Windstrom zu Wasserstoff werden, mithilfe der sogenannten Elektrolyse. Grüner Wasserstoff gilt als Schlüssel, um die Industrie klimaneutral auszurichten. Zudem verlangt der Entwurf auch eine "Strategie zum Umgang mit den unvermeidbaren Restemissionen" - und das bedeutet nichts anderes als die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid, ob unterirdisch oder chemisch, also in neuen Produkten. Förderprogramme soll es für all das noch und nöcher geben, auch für den Umbau ganzer Produktionsanlagen. Vieles davon steht schon im Koalitionsvertrag.

Wohnen

Deutschlands Häuser und Gewerbebauten zählen zu den Problembereichen des Klimaschutzes, die Klimaziele beim Bauen und Wohnen wurden 2020 und 2021 verfehlt. Nun soll es schnell gehen. Vor allem die Vorschriften für Neubauten und Sanierungen will die Bundesregierung verschärfen. Neue Heizungen sollen von Januar 2024 an nur noch in Betrieb gehen dürfen, wenn sie zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien gespeist werden. Neubauten sollen bereits von Anfang 2023 an den energiesparenden Standard des Effizienzhaus 55 (EH55) erfüllen müssen, auch dies ist im Koalitionsvertrag so nicht zu finden. So hatte es der Koalitionsausschuss im Frühjahr vereinbart. Von 2025 an gilt der noch strengere EH40-Standard.

Auch für Sanierungen soll es mehr Geld geben - allerdings "bei gleichzeitiger Kürzung der Neubauförderung". Dies dürfte noch zu Konflikten führen mit dem Bauministerium, das jährlich 400 000 zusätzliche Wohnungen schaffen will. Das ist nach Einschätzung von Fachleuten nur mit mehr Neubau-Förderung realistisch.

Ein Test für die Ampelkoalition

Einstweilen ist das Papier nur die Zusammenstellung dessen, was einzelnen Ministerien vorschwebt. Das Agrarministerium etwa will die Tierhaltung begrenzen, zusätzliche Moore wieder vernässen und mehr CO₂ in Wäldern speichern. Auch die Abfallwirtschaft kann noch Treibhausgase einsparen. "Schnellstmöglich", so will es das Klimagesetz, soll die Regierung nun beschließen, wie sich die Lücken stopfen lassen. Eine "riesige Chance" sei das, um die Klimaziele bis 2030 noch einzuhalten, sagt die Grünen-Klimapolitikerin Lisa Badum. "Diese Chance müssen wir wahrnehmen."

Für die Ampelkoalition wird das der erste Test, wie weit es mit der gemeinsamen Klimapolitik her ist. So setzt die FDP darauf, aus den Vorschlägen diejenigen auszuwählen, "die möglichst viel Klimaschutz zu möglichst geringen Kosten ermöglichen", wie Fraktionsvize Lukas Köhler sagt. Obendrein verlangt sie eine Inventur des Klimaschutzgesetzes - weg von den bisherigen Einzelzielen für die verschiedenen Bereiche. "Sobald wir die kleinteiligen jährlichen Sektorziele durch eine mehrjährige Gesamtrechnung ersetzt haben", sagt Köhler, "können wir das große Klimaschutz-Sofortprogramm schnell auf den Weg bringen." Das freilich wird noch lustig: Schon in den Koalitionsverhandlungen hatte sich diese Frage nicht klären lassen.

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