Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Altmaiers erstaunliche Volte

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Der Wirtschaftsminister gesteht viele Versäumnisse im Klimaschutz ein. Nun will er es besser machen - und öffnet mit seinem Sinneswandel die Union stärker für ein schwarz-grünes Bündnis.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Darf ein Spitzenpolitiker sich einfach mal geirrt haben? Darf er nach acht Jahren in Regierungsverantwortung, nach drei Ministerämtern in drei Koalitionen einräumen, jahrelang die falschen Prioritäten gesetzt zu haben?

Peter Altmaier hat das am Freitag getan. Es habe viele Versäumnisse gegeben im Klimaschutz, viele Menschen seien enttäuscht, er selbst sei "zu zögerlich" gewesen, hat der CDU-Mann gesagt - ein ehemaliger Umweltminister, ehemaliger Kanzleramtschef, amtierender Wirtschaftsminister.

Eine erstaunlich Volte für jemanden, der gerade als Freund der Wirtschaft mit Kraft gegen Auflagen und neue Klimaziele gekämpft hat. Und ja: Er darf das. Es gibt ja eher zu viele Menschen, die Irrtümer nicht eingestehen.

Über die Motive lässt sich gut spekulieren. Altmaier hat ein feines Gespür für Stimmungen. Als Umweltminister sonnte er sich einst im Glanz des Titels "Mr. Energiewende" - was ihn nicht davon abhielt, dem grünen Umbau im Wahlkampf 2013 Kosten in Billionenhöhe anzuhängen. Das schadete zwar der Energiewende, entsprach aber der Stimmung. Und als zuletzt die AfD und Teile der Union die Windkraft verteufelten, da redete plötzlich auch Altmaier, der Energieminister, mehr über die Haken als über die Chancen des grünen Stroms. Hat er nun, knapp zwei Jahre nach der Geburt von "Fridays for future", eine neue Stimmung erspürt?

In jedem Fall öffnet der neue Kurs die Union stärker für Schwarz-Grün. Und sollte tatsächlich, wie es Altmaier vorschwebt, noch vor der Wahl eine parteiübergreifende "Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft" entstehen, wäre das Thema Klima für den Wahlkampf erledigt. Obendrein muss auch Peter Altmaier feststellen, dass die deutsche Wirtschaft mittlerweile weiter ist als ihr Wirtschaftsminister. Selbst große Konzerne peilen eine Zukunft ohne CO₂ an; und als Bremser vom Dienst möchte er nicht in die Geschichte eingehen. Es gibt viele Gründe, warum Altmaier, wenn nicht vom Saulus, so doch vom Peter zum Paulus wird.

Dennoch wäre es töricht, die Motive für den Sinneswandel über den Sinn der Vorschläge zu stellen. Vieles hat Altmaier nun richtig erkannt. Die Wirtschaft, zum Beispiel, braucht Planungssicherheit - auch darüber, ob die Klimaneutralität nun das erklärte und bleibende Ziel ist oder nicht. Es braucht dafür viele kleine Zwischenziele. Altmaier will solche Ziele nun bis 2050 festlegen.

Und es stimmt: Die Preise für den Ausstoß von Kohlendioxid müssen weiter steigen, ob über einen strengeren Emissionshandel in der EU oder höhere nationale Mindestpreise oder beides; andernfalls scheitert der Umbau der Wirtschaft. Damit Europas Industrie dadurch nicht ins Hintertreffen gerät, könnten für Importe CO₂-Aufschläge fällig werden, auch das will Altmaier klären.

Die Grünen, das ist der vergiftete Teil des Vorschlags, werden sich den Gesprächen über so eine "Charta" nur schwer entziehen können. Das buchstäblich brennende Thema Klimaschutz ist so im Wahljahr irgendwie "in Arbeit". Aber auch Peter Altmaier hat sich gebunden: Wenn die EU-Kommission nächste Woche erklärt, welche höheren Klimaziele den Europäern zuzumuten sind und was das zum Beispiel für die Autoindustrie bedeutet, wird der Minister nicht mehr aufbegehren können. Denn zweimal zu irren, das wäre nun wirklich komisch.

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SZ vom 12.09.2020
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