Klimapolitik:Reden über heiße Luft

Klimapolitik: Nicht unbedingt die Bürgerbeteiligung, die sich Regierungen wünschen: Protest gegen noch mehr Windräder in Schwerin. Fachleute empfehlen, die Klimawende mit Bürgerräten zu diskutieren.

Nicht unbedingt die Bürgerbeteiligung, die sich Regierungen wünschen: Protest gegen noch mehr Windräder in Schwerin. Fachleute empfehlen, die Klimawende mit Bürgerräten zu diskutieren.

(Foto: Jens Büttner/dpa)

Berater der Bundesregierung verlangen größere Anstrengungen für den Klimaschutz - und mehr Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Andernfalls drohe Ablehnung.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es ist das ganz große Rad, wieder einmal. 145 Seiten, voll mit Empfehlungen für eine andere Welt: dreimal so viel Ökostrom-Anlagen, neue Stromleitungen, grüner Wasserstoff, negative Emissionen, eine andere Landwirtschaft - was eine Klimawende so braucht und woran sie scheitern könnte, hat die "Wissenschaftsplattform Klimaschutz" noch einmal haarklein ausbuchstabiert. Und sogar noch ein bisschen mehr.

Die alte Bundesregierung hatte das Gremium eingesetzt: ein achtköpfiger Lenkungskreis mit Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen. Regelmäßig soll er die Fortschritte und Hemmnisse im Klimaschutz beäugen, der Regierung Rat geben. Am Freitag hat er erstmals ein Jahresgutachten vorgelegt, und neben allerlei Baustellen, die ein Komplettumbau der Energieversorgung so mit sich bringt, hat er eine große Empfehlung: Wir müssen reden.

Es gebe, sagt die Co-Vorsitzende Sabine Schlacke, eben viele punktuelle Veränderungen, die nun nötig werden. "Und es ist zu befürchten, dass viele auf Ablehnung stoßen." Zwar sei allen klar, dass bei der Klimakrise alle in einem Boot säßen, sagt die Umweltrechtlerin Schlacke. "Die Frage ist, wie bekommen wir alle in der Gesellschaft ans Ruder? Sodass alle in die gleiche Richtung rudern?"

Die Frage treibt längst auch die Koalition um. Viele neue Windräder, weniger Autoverkehr, massenhafte Gebäudesanierung, andere Industriejobs - alles schnell gesagt. Aber machen die Bürger mit? Die Wissenschaftler sprechen von der "Resonanzfähigkeit" von Klimapolitik. Diese sei "zunehmend auch auf eine aktive Trägerschaft, das heißt eine breite und nachhaltige Unterstützung des transformativen Wandels durch gesellschaftliche Akteure, angewiesen", heißt es in dem Gutachten, das die Plattform am Freitag der Bundesregierung übergab.

Bürgerräte sollen Vorschläge erarbeiten

Effektiv etwa sei die Erweiterung der repräsentativen Demokratie durch "begleitende, informelle Beteiligungsmaßnahmen". Ziel müsse es sein, die Klimapolitik auf ein breiteres Fundament zu stellen. Konkret empfehlen die Wissenschaftler die Einrichtung sogenannter Bürgerräte. Nach Zufallsprinzip ausgewählte Bürgerinnen und Bürger könnten hier zusammenkommen und, unter wissenschaftlicher Begleitung, Vorschläge erarbeiten. Denkbar sei das sowohl auf nationaler wie auch auf regionaler Ebene. Gleichzeitig müsse vorausschauende Klimapolitik aber auch die Auswirkungen für die Verteilungsgerechtigkeit im Blick behalten.

Die Plattform ihrerseits hatte eine soziologische Studie zu solchen Fragen in Auftrag gegeben, sie plädiert vor allem dafür, auch positive soziale Effekte des Klimaschutzes stärker herauszustellen. Schlimmstenfalls drohe eine soziale Spaltung im Land, der Klimaschutz könnte versanden, die Wirtschaft leiden. "Ein Negativszenario, das zwar nicht das wahrscheinlichste ist, aber keineswegs ausgeschlossen werden kann", heißt es in der Studie. Zwar sei die Zeit für beruhigende Worte vorbei. Doch gleichzeitig verschrecke "das Narrativ des radikalen Wandels große Teile der Gesellschaft".

Mit der Beteiligung der Bürger haben auch frühere Bundesregierungen schon Erfahrungen gesammelt. Der "Klimaschutzplan 2050" etwa war 2016 von Bürgerforen quer durch die Republik begleitet worden. In Befragungen zeigten sich die meisten Teilnehmer später zufrieden - auch wenn der Klimaschutzplan am Ende ganz anders aussah, als es sich viele Bürger gewünscht hatten.

Offenbar ist auch die neue Bundesregierung solchen Ideen nicht abgeneigt. "Wir prüfen intern, inwieweit ein Bürgerrat zu einzelnen Themen einberufen werden kann", sagt Klima-Staatssekretär Patrick Graichen. Zumal so mancher Konflikt noch schlummert: Hinter den "negativen Emissionen" etwa, bei der Treibhausgase der Atmosphäre entzogen werden, verbirgt sich nicht nur die Aufforstung von Wäldern - sondern auch die ungeliebte unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, kurz CCS. Spricht aber derzeit in der Bundesregierung lieber keiner so aus. Und was empfehlen die Wissenschaftler? Klar: Die Koalition solle "einen gesellschaftlichen Dialog anstoßen über die Notwendigkeit und Grenzen von Negativemissionen".

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