Wer heute durch Ditzingen spaziert, der sieht die Folgen des großen Regens im Jahr 2010. Das Flüsschen Glems hat im Stadtzentrum eine höhere Mauer bekommen, eine Schule und ein Kindergarten sind durch Erdwälle und höher gelegte Böschungen geschützt. Ein Bachbett wurde renaturiert, ein anderes soll nun so umgestaltet werden, dass es wie ein großes Becken viel Wasser aufnehmen kann. Wenn sich wieder eine Gewitterzelle über den Nordosten von Stuttgart setzt und partout nicht verschwindet, bis der letzte Tropfen Wasser aus den Wolken gefallen ist, will die Stadt Ditzingen besser vorbereitet sein.
Denn der 4. Juli vor zwölf Jahren "hat sich in die Gedanken der Bürgerinnen und Bürger eingebrannt", sagt Markus Beutner, Leiter des Stadtbauamts. In den Morgenstunden hatte es geschüttet, wie es noch nie jemand hier erlebt hatte. Aus der Glems war ein brauner Strom geworden. Aus den überlasteten Kanälen drückte es meterhohe Fontänen, Tiefgaragen und Keller waren bis zur Decke überflutet, im Kindergarten, in der Sporthalle, in der Stadthalle, im Depot des Stadtmuseums stand das Wasser. "Die Leute haben sich überrascht die Augen gerieben, sie waren darauf nicht vorbereitet", erklärt Beutner. Zum Glück sei niemand gestorben.
Das Wort Starkregenereignis war damals noch unbekannt, heute weiß fast jeder, welche Bedrohung darin steckt. Ditzingen ist inzwischen ein Beispiel von vielen. Münster 2014, Simbach 2016, Berlin 2017, Südhessen 2019 - und 2021 die große Flutkatastrophe im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen mit mindestens 180 Toten. Und auch das ist nur eine kleine Auswahl. Die finanziellen Schäden gehen oft in die Millionen, manchmal gar Milliarden Euro.
Die Erderwärmung mit all ihren klimatischen Veränderungen führt zu einer Häufung und Verschärfung dieser Starkregen. Zu Beginn dieses Sommers wüssten viele gern, wo die Gewitterzellen diesmal abregnen. Und manch einer fragt sich vielleicht, was die eigene Kommune tut, um das Schlimmste zu verhindern.
Im Vergleich zu Hochwasser an großen Flüssen ist die Warnzeit bei Starkregen kurz
Theo Schmitt und Wolfgang Günthert sitzen in Raum B32 auf dem Messegelände München, inmitten der Ifat, der weltweit größten Messe für Umwelttechnologien. Die beiden Professoren von der TU Kaiserslautern und der Bundeswehr-Uni München haben Studien verfasst zum Thema Starkregen und urbane Sturzfluten. Der kleine Saal ist gut gefüllt, auch einige Fernsehsender sind da, das Thema zieht inzwischen. Und Schmitt und Günthert machen besorgte Gesichter.
Unwetterwarnungen:Was Bürger und Behörden aus der Ahrtal-Katastrophe gelernt haben
Die für den Westen Deutschlands angekündigten Gewitter rufen Erinnerungen an das Hochwasser im vergangenen Jahr wach. Wie sich die Lage unterscheidet und wie die Menschen in den betroffenen Regionen gewarnt werden.
Grundsätzlich, sagt Schmitt, könnten solche Ereignisse überall auftreten, eine detaillierte Vorhersage sei kaum möglich. Weil Gewitter sich schnell bewegten, sei die Warnzeit im Vergleich zu Hochwasser an großen Flüssen kurz. Die Schäden seien deshalb bisweilen größer und auch die Gefahr, dass sich Leute verletzten oder sogar sterben. Wer noch mal schnell in den Keller laufe, um den Strom im Haus abzuschalten, der komme vielleicht nicht mehr heraus, warnt Schmitt.
Die Kommunen sind dafür zuständig, konkrete Maßnahmen gegen Hochwasser zu planen, viele Bundesländer und auch der Bund unterstützen sie mit Fördergeldern. Ebenso gibt der Bund Geld, wenn Rathäuser Klimaanpassungsmanager einstellen. Auch das Zentrum Klimaanpassung berät im Auftrag des Bundesumweltministeriums Kommunen und gibt Praxistipps weiter.
Dennoch betreiben viele Städte und Gemeinden nach Meinung der beiden Experten für Entwässerung nicht genügend Vorsorge und riskieren große Schäden, wenn Starkregen über ihre Region zieht. So haben nach einer Analyse des Münchners Günthert bislang nur 98 von 2056 Gemeinden in Bayern Fördermittel zum Sturzflutmanagement beantragt. Da frage er sich: "Was machen die anderen?" Der 73-Jährige berichtet, dass in vielen Kommunen das Personal fehle. Oftmals wüsste in den Rathäusern niemand, welche Fördergelder es gibt und wie man sie beantragt.
Anfang Mai fiel vor den Ammergauer Alpen so viel Regen, dass auch hier Garagen und Keller vollliefen, Straßen waren überschwemmt. In einer Unterführung im Ort Bad Saulgrub stieg das Wasser mehrere Meter hoch, eine Frau konnte noch aus ihrem Auto gerettet werden, der Fahrer eines Kleinlasters aber ertrank in seinem Führerhaus. Günthert schüttelt hierüber den Kopf: "Da kann man einen Sensor anbringen, und wenn das Wasser steigt, geht eine Schranke runter oder eine Ampel auf Rot." Er verstehe nicht, warum an Gefahrenstellen wie einer Unterführung so einfache Lösungen nicht umgesetzt würden.
Landkreis Garmisch-Partenkirchen:Straßenunterführung mit Wasser geflutet - ein Toter
Der starke Regen an den Ammergauer Alpen hat in kürzester Zeit Keller, Garagen und Straßen überschwemmt. Ein Mann auf der B 23 bei Saulgrub konnte nur noch tot geborgen werden, eine Frau ist wohl in letzter Sekunde gerettet worden.
Das Wichtigste sei, sagen Schmitt und Günthert, dass sich Lokalpolitiker ein Bild machten, wo in ihrer Kommune Gefahren lauern. Bund und Länder erarbeiten bereits bundeseinheitliche Standards für Gefahren- und Risikokarten, dabei spielt auch der Datenschutz eine Rolle. Ergebnisse sollen Mitte 2023 vorliegen. Wer solche Karten sucht, der landet zum Beispiel bei Stefan Schmidbauer. Der Vertriebsleiter steht bei der Ifat am Messestand seiner Firma Tandler.com aus dem bayerischen Buch am Erlbach und verkauft Computerprogramme, die Starkregenereignisse simulieren. Topografie, Häuser, Straßenzüge, Flussläufe, Kanalwege - ganze Ortschaften tauchen am Bildschirm auf und verfärben sich an manchen Stellen hell-, an anderen Stellen dunkelblau. "Wo steht das Wasser? Wie hoch? Und mit welcher Geschwindigkeit fließt es?", erklärt Schmidbauer.
Man muss mit dem Wasser leben, nicht gegen das Wasser kämpfen
Bei ihm in Buch gehe es immer dann richtig rund, wenn irgendwo schon was passiert sei, erzählt er. Im Monat nach der Ahrtal-Katastrophe sei die Nachfrage enorm gestiegen, danach flache das wieder ab. "Aus den Augen, aus dem Sinn", folgert er. Dabei müsse man lernen, mit dem Wasser zu leben. Und nicht gegen das Wasser zu kämpfen.
In der Bundesregierung ist das Thema angekommen. Das Umweltministerium will Privathaushalten zu billigen Krediten der KfW-Bank verhelfen. Flächen sollen entsiegelt werden, damit Wasser im Erdreich versickern kann. Dennoch hadern Analysten in der Branche damit, wie langsam Veränderungen greifen und dass viele Neubaugebiete immer noch so gestaltet werden wie vor 30 Jahren. Ein Grund dafür könnten Tausende DIN-Normen und technische Regelwerke sein, die seit Jahren kaum verändert und nicht an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Bauherren halten sich lieber an die alten Regeln, weil sie fürchten, sonst in Haftung genommen zu werden. Zudem will in den Kommunalbehörden bisweilen das Straßenbauamt etwas anderes als das Wasserwirtschaftsamt oder das Gartenbauamt. Die Umsetzung vor Ort kann kompliziert sein.
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Gut läuft es dort, wo das Wasser schon einmal durch die Straßen floss. Nach der ersten Ratlosigkeit im Juli 2010 reagierte auch Ditzingen. Die Stadt schloss sich mit mehreren Nachbarkommunen, von denen viele ebenso betroffen waren, zusammen. Sie ließen Gefahrenkarten erstellen; um besonders gefährdete Kommunalgebäude soll nun das Wasser herumgeleitet werden. "Dazu beraten wir private Haus- und Grundstückseigentümer in betroffenen Straßen", berichtet Bauamtsleiter Beutner. Einige haben vor ihren Tiefgaragen sogenannte Schotts installiert, die sich bei Hochwasser hochklappen oder ausfahren lassen. In Neubaugebieten werden Terrassen oder Türen höher gelegt, Lichtschächte zu Kellern besser geschützt. Die Kosten für die Kommune oder für die Privatbesitzer sind teils erheblich. "Ich habe aber nie erlebt, dass jemand deshalb eine Maßnahme ablehnt", berichtet Beutner. Die Ereignisse von 2010 wirken nach.
Dabei ist auch den Ditzingern klar, dass es keinen absoluten Schutz geben kann. So sei es weder logistisch noch finanziell möglich, Kanalsysteme auf Regenereignisse auszurichten, die theoretisch nur einmal alle hundert Jahre vorkommen. "Eine gewisse Gefährdung wird immer bestehen", erklärt Professor Günthert. "Wir müssen vor allem kritische Infrastruktur wie Altersheime, Krankenhäuser oder Schulen schützen. Und vermeiden, dass es Tote gibt."