Süddeutsche Zeitung

Klimapolitik:Merkels Chance, ihr Werk zu krönen

Die Kanzlerin ist der Klimapolitik eng verbunden. Auf der Klimakonferenz in Berlin kann sie ihr eigenes Werk fortschreiben. Aber Ungereimtheiten in der deutschen Energiewende bedrohen ihre Glaubwürdigkeit.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Kein anderes globales Thema verfolgt die Berufspolitikerin Angela Merkel so hartnäckig wie das Auf und Ab der Klimapolitik. 1995 ebnete die junge Umweltministerin Merkel den Weg zur Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls; die Klimakonferenz in Berlin geriet der damals so unbekannten CDU-Frau zu einem diplomatischen Erfolg, mit dem keiner gerechnet hatte. 2005 machte sie den Klimaschutz zu einem Schlüsselthema ihrer ersten Kanzlerschaft, und 2007, in Heiligendamm, rang sie dem klimaskeptischen US-Präsidenten George W. Bush ein zaghaftes Eingeständnis ab, dass Industrienationen etwas gegen die Erderwärmung tun sollten.

Doch eine unglückselige Nacht reichte, alle Mühen bersten zu lassen - 2009, als der Klimagipfel von Kopenhagen so grandios scheiterte.

Diese Woche ist wieder Klimakonferenz in Berlin, Minister aus aller Welt bereiten den Klimagipfel Ende des Jahres in Paris vor. Er soll die Wunden heilen, die Kopenhagen hinterlassen hat. Wieder wird Angela Merkel sprechen, wieder ist die Kanzlerin auch Vorsitzende des Industriestaaten-Klubs G 7, wie einst in Heiligendamm. Es ist Merkels große Chance, ziemlich genau 20 Jahre nach jener denkwürdigen Klimakonferenz von Berlin.

Nichts mehr ist so, wie es damals war. 1995 konnten sich die G-7-Staaten noch als das Herz der globalen Industrie betrachten, folgerichtig gingen auf ihr Konto fast die Hälfte aller klimaschädlichen Emissionen. Sie stießen dreimal so viel Kohlendioxid aus wie die Volksrepublik China. Heute emittiert die Weltwirtschaftsmacht China fast genauso viel wie die sieben einst mächtigsten Industrienationen. Ungeachtet aller Klimakonferenzen und großen Worte produziert die Welt auch nicht weniger Treibhausgase als 1995. Sondern 50 Prozent mehr.

Das spricht aller Erkenntnis hohn, ebenso dem technischen Fortschritt. 1995 noch zog eine erkleckliche Zahl von Wissenschaftlern die Existenz eines Klimawandels in Zweifel; 20 Jahre später diskutieren die Forscher des Weltklimarates darüber, ob sie zentrale Annahmen nun als "extrem wahrscheinlich" oder "sehr wahrscheinlich" einstufen. Mitte der Neunziger klang die einzig logische Antwort auf den Klimawandel, eine "Dekarbonisierung" der Weltwirtschaft, noch wie das tragische Schlusskapitel eines Science-Fiction-Romans. In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts hat sich eine der sieben einst führenden Industrienationen aufgemacht, genau diesen Abschied von Kohle und Öl durchzubuchstabieren. Nämlich Angela Merkels Deutschland.

Deutschland ist das größte Energiewende-Labor der Welt

Wenn Minister und Regierungschefs nun nach Berlin oder - in gut zwei Wochen, zum G-7-Gipfel auf Schloss Elmau - nach München anreisen, dann sind sie gleichsam zu Besuch im größten Energiewende-Labor der Welt. In Form riesiger Windparks und massenhafter Solaranlagen sehen sie, wenn sie denn wollen, den Abschied von der Welt der Kohlenwasserstoffe.

Doch wenn ihre Mitarbeiterstäbe ordentlich gearbeitet haben, dann finden sie in ihren Vorbereitungsmappen auch eine Aufstellung der vielen Ungereimtheiten: Zum Beispiel, dass Angela Merkels Deutschland sich zwar für 2020 hohe Klimaziele gesetzt hat - diese aber krachend verfehlen wird, wenn nichts geschieht. Oder, dass zwar der Anteil des Ökostroms von Jahr zu Jahr steigt - aber gleichzeitig klimaschädliche Braunkohlekraftwerke am Anschlag Strom und Kohlendioxid produzieren. Vielleicht lesen sie sogar, dass der Erfolg der Energiewende auch am Bau neuer Stromtrassen hängt, die ein Parteifreund und Koalitionspartner Merkels nach Kräften torpediert.

Und Merkel? Sie lässt all das geschehen. Nirgends wird das derzeit augenfälliger als bei der Braunkohle. Da hat ihr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen Vorschlag unterbreitet, der die Emissionen der ältesten Kraftwerke drosseln könnte; die Lücke zwischen Soll und Haben in der deutschen Klimapolitik ließe sich so bis 2020 vielleicht schließen. Seit Wochen steht er für diese Idee im Feuer von Gewerkschaften und des Wirtschaftsflügels der Union. Die Kanzlerin und CDU-Chefin aber sieht schweigend, ja tatenlos zu.

Ihr dürfte klar sein, dass diese Strategie nicht aufgehen wird. Sie wird nicht glaubwürdig die G 7 auf mehr Klimaschutz einschwören können, wenn sie daheim das Notwendige aus Rücksicht auf die Kohlelobby unterlässt. Mehr noch: Die ohnehin begrenzten Hoffnungen auf ein wirklich schlagkräftiges, weltumspannendes Klimaabkommen in Paris werden noch weiter schrumpfen, wenn sich der Siebener-Klub in Elmau nicht zumindest auf Grundzüge einer gemeinsamen Position verständigen kann. Dann allerdings wäre auch Merkels große Chance dahin: 2015 als Kanzlerin ein Werk zu krönen, das sie 1995 begonnen hat.

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SZ vom 19.05.2015/dayk
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