Klimaschutz:Deutschland halbiert seine CO₂-Emissionen im Vergleich zu 1990

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Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen geht voran, wie hier im Windpark Große Heide in Nordrhein-Westfalen. (Foto: Rupert Oberhäuser/Imago)

Der Ausstoß klimaschädlicher Gase ist 2024 erneut gesunken. Besonders deutlich wirkt sich der Ausbau der Erneuerbaren aus. Trotzdem verstößt Deutschland weiterhin gegen EU-Regeln – weil die Umstellung in den Bereichen Heizen und Verkehr stockt.

Von Thomas Hummel

Deutschland hat 2024 seine Klimaziele offenbar erreicht. Das legen vorläufige Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende nahe. Demnach stieß die Bundesrepublik im vergangenen Jahr 656 Millionen Tonnen an sogenannten CO₂-Äquivalenten aus, das sind 36 Millionen Tonnen weniger als vom Klimaschutzgesetz gefordert. Die Emissionen liegen demzufolge um knapp drei Prozent niedriger als ein Jahr zuvor und um etwa 48 Prozent niedriger als zur Wiedervereinigung 1990. Verantwortlich für den aktuellen Rückgang war fast ausschließlich der Energiesektor. In den Bereichen Gebäude und Verkehr tut sich hingegen weiterhin wenig, so der Bericht der Denkfabrik, der in den vergangenen Jahren eine personelle Nähe zu den Grünen nachgesagt wurde.

Vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien zeigt Wirkung. So wurden im vergangenen Jahr nach Angaben des Bundesverbands Solarwirtschaft etwa eine Million Photovoltaik-Anlagen neu gebaut, ein Rekord. Die Windkraft blieb zwar hinter den Zielen der Bundesregierung zurück, wurde aber sowohl an Land wie auf dem Meer ebenfalls weiter ausgebaut. Damit stieg der Anteil der Erneuerbaren an der heimischen Stromerzeugung laut Bundesnetzagentur auf 59 Prozent. Die Kohleverstromung ging abermals stark zurück (laut Agora minus 16 Prozent). Das führte dazu, dass bei gleichbleibendem Stromverbrauch neun Prozent weniger Treibhausgase entstanden.

Import von Strom aus Erneuerbaren und Atomkraft half, die Ziele zu erfüllen

Geholfen hat in diesem Sinne auch ein stärkerer Import von Strom, der zur Hälfte aus erneuerbaren Energien etwa aus Dänemark kam und zu etwa einem Viertel mit Atomkraft vor allem aus Frankreich hergestellt wurde. Strom wird immer dann von außen eingekauft, wenn er dort billiger hergestellt wird, als es im Inland möglich ist. Abzüglich des Stromexports aus Deutschland in die Nachbarländer machte der Importsaldo 2024 etwa sieben Prozent des deutschen Verbrauchs aus.

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck sieht in den Zahlen einen Erfolg. „Beim Klimaschutz sind wir auf Kurs, die harte Arbeit lohnt sich“, erklärt der Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl im Februar. Die Erneuerbaren seien das Zugpferd für den Klimaschutz und würden zudem die Strompreise senken. Für viele Abnehmer liegen die Preise inzwischen wieder etwa auf dem gleichen Niveau wie vor dem russischen Angriff auf die Ukraine.

In den Bereichen Gebäude und Verkehr stockt die Umsetzung des Klimaschutzes dagegen

Zwischenzeitlich waren die Preise erheblich gestiegen, weshalb die Bundesregierung die Stromsteuer senkte und die EEG-Umlage abschaffte. Nur Großverbraucher, etwa die energieintensive Industrie, zahlt noch immer höhere Preise, weil die Beschaffungskosten für Strom weiterhin höher liegen und diese Unternehmen schon vorher von verschiedenen Abgaben befreit waren. Habeck forderte weitere Maßnahmen: „Die Strompreise müssen weiter runter: Netzentgelte runter, Stromsteuer abschaffen.“ Ähnliches fordert die CDU/CSU für die kommende Legislaturperiode.

Andere Sektoren sind im Klimaschutz allerdings weniger erfolgreich. Bei Industrie, Gebäude und Verkehr gebe es keine strukturellen Fortschritte, berichtet Agora Energiewende. Ein zentraler Grund dafür sei die Verunsicherung bei Haushalten und Unternehmen, die zu einer allgemeinen Investitionszurückhaltung führe, sagt Direktor Simon Müller.

So liege trotz eines weiteren Produktionsrückgangs der Ausstoß in der Industrie wieder leicht höher, um drei Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente. Diese Maßeinheit vereinheitlicht die Wirkung aller Treibhausgase wie etwa Methan zur besseren Vergleichbarkeit. Der Absatz von strombetriebenen Wärmepumpen sei um 44 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, der Verkauf von Elektroautos um 26 Prozent. Die Debatten um das Heizungsgesetz oder die Wärmeplanung der Kommunen dürften hier eine Rolle spielen, im Automobilsektor fiel der staatliche Zuschuss weg, weil aufgrund des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts Ende 2023 weniger Geld zur Verfügung stand.

So gingen in den Bereichen Gebäude und Verkehr die Emissionen nur jeweils um zwei Millionen Tonnen zurück, zu wenig, um die Klimaziele hier zu erreichen. Beim Heizen sieht Agora ohnehin nur eine Minderung aufgrund der allgemein milden Witterung im vergangenen Jahr.

Klimageld? Die Frage nach dem sozialen Ausgleich wird wieder dringlicher

Damit verstößt Deutschland auch weiterhin gegen die Regelung der Europäischen Union zur sogenannten Lastenteilung. Demnach droht, dass die Bundesregierung wieder Emissionsrechte von anderen EU-Ländern kaufen oder Strafzahlungen leisten muss. Habeck fordert von einer nächsten Bundesregierung: „Kurs halten, keine Rückwärtsrolle, sondern Verlässlichkeit und Planungssicherheit für Wirtschaft und Verbraucher“.

Sein Ministerium war in der Affäre um seinen Staatssekretär Patrick Graichen in Kritik geraten, weil Graichen zuvor Direktor von Agora Energiewende war und der Eindruck von großer Nähe mit dieser Denkfabrik entstand. Agora selbst gibt an, „wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Konzepte und Strategien“ zu erarbeiten. Graichens Nachfolger Simon Müller erklärt nun, die kommende Bundesregierung müsse mit Investitionen gerade im Gebäude- und Verkehrsbereich den Haushalten und Unternehmen helfen, „den Umstieg zur Klimaneutralität zu schaffen“.

Für Verbraucher von Benzin, Diesel, Erdgas oder Heizöl wird die CO₂-Steuer zunehmend teurer. Lag der Preis pro Tonne 2023 noch bei 30 Euro, mussten 2024 bereits 45 Euro bezahlt werden. Neben den Einnahmen durch den europäischen Emissionshandel ist das die Haupteinnahmequelle für den Klima- und Transformationsfonds (KTF), insgesamt erreichten die Erlöse aus den CO₂-Verschmutzungsrechten einen Rekordwert von 18,5 Milliarden Euro, wie die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) in Berlin mitteilte. Aus dem KTF bezahlt der Staat Klimaschutz-Maßnahmen wie die Zuschüsse für einen Heizungstausch oder für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Zu Neujahr 2025 steigt der CO₂-Preis nun auf 55 Euro.

Damit werden auch die Forderungen nach einem sozialen Ausgleich wieder lauter. Die Ampelkoalition hatte das Klimageld zwar im Koalitionsvertrag angekündigt, doch dem FDP-geführten Finanzministerium gelang es zunächst nicht, eine technische Möglichkeit zu schaffen, allen Bürgern ein solches Geld auszahlen zu können.

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