Klimapolitik:Das Ziel so fern

Deutschland zeigt der Welt, wie die Energiewende nicht funktionieren wird: indem sie sich über das Ziel im Klaren ist, sich den Weg dorthin aber von allen Interessengruppen verbauen lässt.

Von Michael Bauchmüller

Mit der Kraft großer Klimaziele kennen sich die Deutschen aus. 1995 versetzte Kanzler Kohl die Welt in Staunen: Bis 2005, so versprach er damals, werde die Bundesrepublik ein Viertel weniger klimaschädliche Gase ausstoßen. Das Jahr 2005 verstrich, das Ziel blieb fern, und Kohl war schon lange nicht mehr im Amt. Zwei Jahre später ersann die erste große Koalition Angela Merkels ein neues Ziel: 40 Prozent weniger CO₂ als 1990. Das sollte seinerzeit die EU auf Trab bringen, neues Zieljahr war 2020. Ob Merkel dann noch im Amt ist, bleibt dahingestellt. Doch das Ziel rückt immer weiter in die Ferne.

Zu dem Schluss kommen auch die Experten, die im Regierungsauftrag die Fortschritte der Energiewende beäugen. Um tatsächlich bei 40 Prozent minus zu landen, so warnen sie nun, müsste sich in den fünf verbleibenden Jahren Gewaltiges tun, das Tempo beim Klimaschutz müsste sich verdreifachen. Und mit jedem Jahr, das ohne große Fortschritte verstreicht, wird die Lücke noch größer.

Die Bundesregierung, das muss man ihr zugutehalten, hat diesen Umstand nicht ignoriert. Seit mehr als einem Jahr läuft eine lebhafte Debatte über die drohende Klimalücke. Die Ergebnisse liefern der Welt vor allem ein Beispiel dafür, wie es nicht funktioniert. Denn den unbequemen Fragen weicht die Koalition aus.

Deutschland zeigt der Welt, wie es nicht funktioniert

Der Streit über die peinlich hohen Emissionen deutscher Braunkohlekraftwerke etwa mündete in einen Grabenkampf zwischen Gewerkschaftern und Umweltschützern - und dann in eine Art Vorruhestandsregelung; eine Handvoll Anlagen wird so vorzeitig stillgelegt. Dem Klima nutzt es wenig, die Kosten sind immens. Wer den Deutschen diese Art Energiewende nachmachen will, braucht viel Kleingeld.

Auch die Potenziale schlecht gedämmter Häuser hat die Koalition längst erkannt. Doch über das wirksamste Instrument dagegen, einen Steuerbonus für Modernisierer, konnten sich Bund und Länder nie einigen. Stattdessen führte jahrelanger Streit dazu, dass so mancher willige Hausbesitzer seine Sanierung verschob - Klimapolitik paradox. Auf der Straße sind die Emissionen derweil sogar wieder gestiegen. Doch die einzige Antwort aus Berlin ist eine Illusion: dass nämlich bis 2020 ohne weiteres Zutun eine Million saubere Elektroautos unterwegs sein könnten. Und an die üblen Klimafolgen intensiver Landwirtschaft traut sich diese Regierung so wenig heran wie ihre Vorgänger.

Trotzdem wird dieses Land international immer noch bestaunt und bewundert. Gemessen an den mauen Ambitionen anderer Industriestaaten wären selbst 35 oder 37 Prozent weniger Treibhausgase ein Erfolg. Nur endet Klimapolitik nicht mit Ablauf des Zieljahres 2020, sie wird forscher. Die unangenehmen Entscheidungen, sei es zur Zukunft der Kohle oder des Verbrennungsmotors, werden sich dann nicht weiter aufschieben lassen. Und auch das lehrt das Beispiel Deutschland: So ein Umbau gelingt nur in planvollen, kalkulierbaren Schritten. Je eher die Entscheidungen fallen, desto weniger schmerzhaft sind sie.

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