Klimaerwärmung:Was die Städte mit dem "Klimanotstand" bezwecken

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Der Berufsverkehr belastet viele Städte - wie hier München - massiv. (Foto: Fabian Sommer/dpa)
  • Mehr als 40 Städte und Gemeinden haben seit Mai den "Klimanotstand" ausgerufen.
  • Der Schritt ist umstritten - Kritiker halten ihn für Symbolpolitik.
  • Doch einige Städten haben aber seit Ausrufung des Notstands tatsächlich neue Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg gebracht.

Von Max Gilbert, München

Ein Symbol soll es sein, aber es soll auch etwas passieren. Mit sinngemäß diesen Worten hatte Konstanz am 2. Mai dieses Jahres als erste deutsche Stadt den Klimanotstand ausgerufen. Seitdem haben sich über 40 Städte und Gemeinden angeschlossen, darunter Kiel, Wiesbaden, Bochum und Heidelberg.

In vielen Gemeinderäten wurde und wird diskutiert, was das bringen soll. Rechtlich verpflichtet dieser Klimanotstand zu nichts, auch mit den Notstandsgesetzen hat er nichts zu tun. Kritiker sagen, es sei Symbolpolitik, Befürworter sagen, der Klimaschutz werde nun richtig angepackt. "Wir haben damit anerkannt, dass für den Klimaschutz nicht genug getan wird", sagt der Konstanzer Klimaschutzbeauftragte Lorenz Heublein. "Das bezieht sich auf alle, nicht nur auf Konstanz. Vom Individuum hin zur internationalen Politik - jeder muss mehr tun."

Städte spielen beim Klimaschutz eine zentrale Rolle. "Ein Großteil der Emissionen kommt aus Städten, etwa 70 Prozent", sagt Jürgen Kropp, Leiter des Bereichs Urbane Transformation am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Besonders großen Anteil hätten Verkehr, die Industrie sowie das Heizen und Kühlen von Gebäuden. "Die Bewältigung der Klimaproblematik muss in den Städten erfolgen", sagt Kropp.

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Dazu komme, dass Städte besonders betroffen sind. "Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Durchschnittstemperatur in Städten um vier Grad steigen, die Zahl der Hitzetage sich verzehnfachen. Schon heute gibt es in der Stadt doppelt so viele Hitzetage wie im Umland."

In Konstanz ist es in den vergangenen drei Monaten tatsächlich nicht beim symbolischen Ausrufen des Notstands geblieben. Der Oberbürgermeister hat seinen Dienstwagen abgegeben, bei jedem Gemeinderatsbeschluss muss vermerkt werden, wie er sich auf den Klimaschutz auswirkt, und für Neubauten gibt es eine Solarpflicht.

Engere Bustaktung und besseres Fahrradwegnetz

Auch in anderen Klimanotstand-Städten gibt es neue Beschlüsse, ohnehin geplante Maßnahmen werden schneller umgesetzt: Kiel will die Bustaktung erhöhen und das Fahrradwegnetz verbessern, Bochum will alle öffentlichen Gebäude mit Öko-Strom versorgen und Heidelberg die Gewerbesteuer für Betriebe senken, die sich klimafreundlich verhalten. In einigen Städten, darunter Köln, Saarbrücken und Wiesbaden, hat der Klimanotstand aufgrund der Sommerpause noch keine konkreten Beschlüsse nach sich gezogen.

Freiburg gilt in Deutschland als Positivbeispiel für kommunalen Klimaschutz - hat sich aber gegen das Ausrufen des Notstands entschieden. Gerda Stuchlik, Umweltbürgermeisterin der Stadt, sagt: "Würde Freiburg den Klimanotstand ausrufen, wäre das reine Symbolpolitik und unseriös. Wir haben ihn nicht ausgerufen, gerade weil wir so aktiv sind." Seit über 20 Jahren arbeite Freiburg bereits an Klimaschutzmaßnahmen. Stuchlik stört sich vor allem am Begriff "Notstand".

Auch Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB), sieht den Begriff kritisch, da Notstand nach ursprünglicher Definition eine Ausnahmesituation darstelle, deren Bekämpfung die Einschränkung von Bürgerrechten in Kauf nimmt.

"Die Kommunen sollten sich fragen, ob das wirklich gemeint ist oder ob es darum geht, ein starkes Zeichen zu setzen. Dann raten wir aber dazu, einen anderen Begriff zu verwenden." Manche Städte, darunter Kiel, sprechen deswegen in ihren Beschlüssen explizit vom international genutzten Begriff "climate emergency".

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Der Uneinigkeit mancher Städte beim Klimanotstand steht Einigkeit in einer anderen Frage gegenüber. "Wie erfolgreich der kommunale Klimaschutz langfristig sein wird, liegt nicht nur an den Städten", sagt der Konstanzer Heublein. Mit dieser Ansicht steht er nicht alleine da. "Wir Städte tun schon vieles, stoßen aber gesetzlich und finanziell immer wieder an Grenzen. Hier müssen sich Bund und Länder stärker engagieren", sagt Eckart Würzner, parteiloser Oberbürgermeister von Heidelberg.

Ob man die Klimaziele bis 2030 mit den jetzigen Möglichkeiten erreichen könne? Ein "klares Nein" kommt vom Bochumer SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Reinirkens, auch Politiker aus Kiel und Wiesbaden sowie die Freiburgerin Stuchlik stimmen dem zu. Klimaforscher Jürgen Kropp bilanziert: "Am Klimaschutz und an der Klimaanpassung in den Städten hapert es immer noch" - was auch an den Einschränkungen des föderalen Systems liege.

Generelle Solarpflicht - Sache des Bundes

Beispiel Konstanz: "Die Solarpflicht kann die Stadt rechtssicher nur bei Neubauten durchsetzen, für deren Erstellung städtischer Grund, zum Beispiel via Erbrecht oder Verkauf, bereitgestellt wird", erklärt Heublein. "Eine generelle Solarpflicht müsste vom Bund beschlossen werden."

Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums sagt, die Kommunen seien sich trotz der Freiwilligkeit "in zunehmendem Maße ihrer Verantwortung bewusst". Der Sprecher verweist auf die bestehende Förderung durch den Bund, gerade für klamme Kommunen gebe es hohe Förderquoten. Für die Bundesregierung habe Klimaschutz "oberste Priorität" - den Notstand auszurufen sei daher "nicht erforderlich und wäre rein symbolisch".

Ob das Ausrufen also letztlich ein Symbol bleibt, könne man "nach drei Monaten noch nicht allgemein beurteilen", sagt Heublein. In Konstanz arbeite man aber mit Hochdruck an weiteren, konkreten Maßnahmen. Heublein findet den Begriff Klimanotstand angesichts dessen, was auf uns zukomme, gerechtfertigt: "Es soll ja wachrütteln und eine Diskussion anstoßen. Damit kann man auch mal provozieren."

© SZ vom 12.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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