Maßnahmen gegen die Klimakrise:"Wir werden der Frage nach Begrenzung von Freiheiten nicht entkommen"

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Nur Teile der gegenwärtigen Protestbewegungen fordern verbindliche Grenzen für Freiheits- und Selbstbestimmungsansprüche. (Foto: Moritz Müller/imago)

Bislang wurde zu wenig gegen die Klimakrise unternommen. Ändert sich das dank Fridays for Future jetzt? Nachhaltigkeitsforscher Ingolfur Blühdorn ist skeptisch: Der Anspruch auf unbegrenzte Freiheit und Selbstverwirklichung ist immer noch zu groß.

Interview von Markus C. Schulte von Drach

Es scheint, als wäre den jungen Anhängern von Fridays for Future gelungen, was Klimaschützer seit Jahren versuchen: Die Politik in Deutschland dazu zu bewegen, ernsthaft etwas gegen die Erderhitzung zu tun. Wichtige Fragen bleiben aber noch immer unbeantwortet, sagt Ingolfur Blühdorn, Professor am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) der Wirtschaftsuniversität Wien.

SZ: Seit Jahrzehnten wissen wir um Klimaveränderungen und Umweltzerstörungen, aber Warnungen sind weitgehend ohne Wirkung geblieben. Jetzt gibt es Fridays for Future. Verändert sich etwas?

Ingolfur Blühdorn: Das Klimathema hatte noch nie so große Bedeutung. Nachdem die junge Generation lange für politisch desinteressiert und apathisch gehalten wurde, trägt gerade sie die neue Klimabewegung. Da könnte man durchaus Hoffnung schöpfen, dass sich endlich etwas in Richtung einer großen, sozial-ökologischen Transformation bewegt.

Könnte? Sie sind skeptisch?

Einen größeren Hoffnungsträger gibt es derzeit nicht. Aber das "Klimapaket" der Bundesregierung zum Beispiel deutet in eine andere Richtung. Zudem haben wir in jüngerer Zeit schon andere internationale Bewegungen erlebt, die als große Hoffnungsträger galten. Occupy Wall Street etwa oder das Weltsozialforum. Heute sind sie weitgehend vergessen, ohne dass sich nennenswert etwas verändert hätte.

Es ist also wichtig, die neue Bewegung und ihr Potenzial realistisch einzuschätzen. Wir müssen die Situation berücksichtigen, aus der heraus sie sich entwickelt hat, und welche Faktoren sie bestimmen.

Die jungen Menschen haben begriffen, dass es - wie sie sagen - keinen "Planeten B" gibt.

Gerade die enge Fokussierung auf das Klima ist auffällig. Die Fragen der Ökologie beziehungsweise der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne stehen dagegen sehr viel weniger zur Debatte.

Was für Forderungen fehlen denn?

Die frühen Grünen, Occupy oder in der Gegenwart auch Degrowth haben viel grundlegender das kapitalistische Wirtschaftssystem, die Konsumkultur und das Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums in Frage gestellt.

Bei der neuen Klimabewegung stehen diese grundlegenden Fragen bestenfalls am Rande zur Diskussion. Sie fordert eher technologiezentrierte und marktkonforme Maßnahmen, die die Probleme weitestgehend innerhalb der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung lösen sollen. Dieser Ansatz hat sich eigentlich längst als unzureichend erwiesen.

Ingolfur Blühdorn ist Professor am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) der Wirtschaftsuniversität Wien. Von ihm und weiteren Autorinnen und Autoren erscheint demnächst das Buch Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit - Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. (Foto: privat)

Die jungen Leute verweisen auf die Wissenschaft - und auf die Erwachsenen, die die Sache bislang verbockt haben.

Die Erwachsenen haben die Sache verbockt, indem sie seit Mitte der 1980er Jahre vor allem auf technologische Innovation gesetzt haben. Diese Innovationen haben aber letztlich nur die Haltbarkeit eines nicht haltbaren Wirtschaftssystems und eines nicht-nachhaltigen Lebensstils etwas verlängert. Der zentralen Frage sind die grünen Parteien, Umweltverbände, kritischen Sozialwissenschaftler und viele andere Akteure dabei immer ausgewichen. Ich fürchte, das tun die Jungen heute auch wieder.

Was ist dann die zentrale Frage?

Die nach der Begrenzung überbordender Ansprüche auf Freiheit und konsumbasierte Selbstverwirklichung. "Dekarbonisierung" oder das "1,5 Grad Ziel" sind abstrakte Größen. Hinter ihnen stehen die konkreten Fragen, wer was tun soll oder lassen muss, damit solche Ziele erreicht werden können. Wer soll was bekommen oder nicht bekommen? Freiwilligkeit und positive Anreize - das lässt sich jederzeit fordern. Aber Beschränkung und Regulierung? Definitiv nicht! Die Freiheiten und Lebensstile, die sich gerade die gebildeten, progressiven, weltoffenen Mittelschichten seit den 1970er Jahren erkämpft haben, sind offenbar unantastbar.

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Es fällt da schnell das Stichwort Öko-Diktatur.

Es ist unbedingt erforderlich, in manchen Bereichen verbindliche Grenzen für Freiheits- und Selbstbestimmungsansprüche zu formulieren, und das hat überhaupt nichts mit Diktatur zu tun. Vielmehr ist es die ureigenste Aufgabe jeder Politik, zu regulieren. Jede Freiheit muss Grenzen haben, damit sie nicht ihrerseits umschlägt in die totale Herrschaft sehr weniger "völlig Befreiter". Da sind sich alle Theoretiker und Philosophen bis zurück zu Platon immer einig gewesen.

Bewegungen, die für mehr Freiheit gestritten haben, hatten auch nie eine völlige Entgrenzung und Zügellosigkeit zum Ziel. Sie sind zum Beispiel immer davon ausgegangen, dass die Freiheit des einen da aufhört, wo sie die des anderen blockiert. Und sie sind vor allem immer davon ausgegangen, dass es eine soziale und ökologische Vernunft gibt, auf deren Grundlage moderne Gesellschaften sich demokratisch über die Beschränkung der Freiheit einigen können.

Wieso werden dann heute vorgeschlagene Einschränkungen als Zumutungen abgelehnt?

Weil Teile der Gesellschaft ganz selbstverständlich und antidemokratisch für sich in Anspruch nehmen, ihre Freiheit immer weiter zu entgrenzen - einfach, weil sie dafür bezahlen können oder sich das Recht nehmen. Und jeder Versuch, das politisch zu regulieren, wird von ihnen sofort als autoritär und als Diktatur denunziert. Diese Logik ist fatal.

Die persönliche Freiheit ist allerdings ein Menschenrecht, ein Grundpfeiler der Demokratie.

Auch Gleichheit und Gerechtigkeit sind Grundprinzipien der Demokratie. Aber das Prinzip der Freiheit hat gegenüber dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit die Oberhand gewonnen. Genau das bedroht die Demokratie. Viele sehen die Hauptgefahr für die Demokratie heute bei den Rechtspopulisten. Denen wird zu Recht vorgeworfen, dass sie die Entzivilisierung und Verrohung der Gesellschaft und die Zerstörung der Demokratie betrieben. Aber der gleiche Vorwurf kann auch an die gerichtet werden, die einen Lebensstil pflegen, der darauf beruht, dass andere ausgeschlossen bleiben, und der bekanntermaßen auf Kosten anderer geht.

Zum Beispiel?

Yoga-Holiday in Brasilien, Kite-Surfen in Thailand, Klassenfahrt nach Israel, Weltreise nach dem Abitur - wesentliche Teile der Gesellschaft fordern heute ganz selbstverständlich, dass ihnen solche Dinge und noch viel mehr einfach zustehen. Wir wissen aber, dass all das nicht nachhaltig ist. Aus dieser Perspektive betrachtet ist nicht die Forderung nach Einschränkungen eine Zumutung. Sondern die eigentliche Zumutung ist die Selbstverständlichkeit, Rücksichtslosigkeit und die Entschiedenheit, mit der der Anspruch auf solche exklusiven Freiheitsansprüche verteidigt wird.

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Wie konnte sich dieser Anspruch auf grenzenlose Freiheit entwickeln?

Eine wichtige Ursache ist die Ideologie des Marktliberalismus, die sich in den 1990er Jahren fast wie eine Religion entfaltete. Gleichzeitig haben sich gerade in den gebildeten und sich als progressiv verstehenden Teilen der Gesellschaft Selbstverwirklichungsformen und Lebensstile herausgebildet, die sich zwar nicht für alle realisieren lassen und die nicht nachhaltig sind, die aber trotzdem mit aller Entschiedenheit verteidigt werden.

Welche Rolle spielt denn der Marktliberalismus dabei?

Der Marktliberalismus hat sich immer entschieden gegen jede Form der politischen Intervention und Regulierung gewehrt. Er hat das kapitalistische Wirtschaftssystem aus vielen politisch gesetzten Grenzen befreit und ein System geschaffen, in dem Wachstum und Konsum mehr denn je zum Selbstzweck geworden sind.

Das illustriert zum Beispiel die digitale Revolution, die von praktisch allen Regierungen zum Prioritätsprojekt erklärt worden ist: Ob die Menschen - und welche Menschen - die Digitalisierung - und welche Digitalisierung - für ein besseres Leben brauchen, ist eigentlich nicht die Frage. Entscheidend ist, dass hier große ökonomische Potenziale gesehen werden.

Wie sehr diese Logik des Wachstums allen anderen Zielen gegenüber Priorität hat, zeigt auch die Nullzins- und Geldpolitik der EZB. Sie zwingt die Menschen geradezu, ihr Geld auszugeben - und möglichst auch das, das sie nur geliehen haben. Nachhaltigkeitspolitisch ist das verheerend - so wie auch das neue Freihandelsabkommen mit Brasilien.

Es gab und gibt immer noch die Hoffnung, dass moderne Technik und grünes Wachstum helfen, die Erderhitzung zu bremsen. Nur bislang hat es nicht funktioniert. Woran sind diese Strategien bislang gescheitert?

Ob diese Strategien wirklich gescheitert sind, ist eine Frage der Perspektive. Sie wurden in der zweiten Hälfte der 80er Jahre ja als Gegenentwurf zu den radikalökologischen und kapitalismuskritischen Forderungen der frühen Grünen eingeführt. Ihre große Attraktivität lag darin, dass sie innerhalb der bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen und Logik wirken sollten. Es wurde der Eindruck erweckt, ein echter gesellschaftlicher Strukturwandel sei gar nicht notwendig.

Der damals eigentlich schon deutlich angeschlagene Konsum- und Wachstumskapitalismus hat Dank ökologischer Modernisierung überdauert und großen Teilen der Babyboomer-Generation ein wunderbares Leben ermöglicht, in dem Umweltbewusstsein und üppiger Konsum - für begrenzte Zeit - miteinander vereinbar waren. Dabei haben die stetig wachsenden Ansprüche und Erwartungen die Effizienzgewinne aber fast immer überkompensiert. Deshalb werfen die jungen Klimaaktivisten ihren schon damals durchaus umweltbewussten Eltern jetzt zu Recht vor, nachhaltigkeitspolitisch total versagt zu haben.

Die Wachstumslogik wird tatsächlich schon sehr lange kritisiert. 1972 erschien zum Beispiel "Die Grenzen des Wachstums". Wieso dominiert die Forderung nach Wirtschaftswachstum noch immer?

Weil darin ein kurzfristiges Versprechen von mehr Selbstverwirklichung und der Befriedigung steigender Ansprüche - und damit sozialer Stabilität - liegt. In den modernen Bildungseinrichtungen wird den Menschen außerdem vermittelt, die wichtigsten Eigenschaften seien Flexibilität, Innovationsoffenheit, Wettbewerbsorientierung und ständige Selbstoptimierung. Wettbewerbsfähigkeit und Selbstverantwortlichkeit werden geradezu als oberstes Ziel verherrlicht. Die öffentliche Gemeinschaft dagegen soll sich bestenfalls noch um die Minimalabsicherung der Bürgerinnen und Bürger kümmern.

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Außerdem ist es in unseren immer komplexeren, international vernetzten Gesellschaften auch immer schwerer geworden, einen Konsens über konkrete Nachhaltigkeitsziele herzustellen, und darüber, wie sie erreicht werden sollen. Was genau wollen wir erhalten, für wen, in welcher Menge, für welche Dauer, in welcher Qualität, mit welchem Aufwand? Das sind Fragen, die uns die Experten nicht beantworten können.

Sondern wer?

Diese Fragen müssen politisch ausgehandelt werden. Gerade deswegen ist die Politik ja so unverzichtbar. Und wenn dieses Aushandeln nicht gelingt, hat gegenwärtig im Zweifelsfalle immer das Vorrang, was für den Moment Gewinne verspricht, Arbeitsplätze erhält, Lebensstile sichert und halbwegs berechenbar ist. Wir werden dem politischen Konflikt und der Frage nach der Begrenzung von Freiheiten aber nicht entkommen. Sie sind beide ja auch jetzt schon deutlich präsent.

Bei wem? Nicht bei Fridays for Future, wie Sie sagen.

Eine Begrenzung der Freiheit sehen wir erstens durch den Markt. Er grenzt sogar sehr scharf aus - nämlich die, die nicht bezahlen können. Zweitens bei den Rechtspopulisten. Die grenzen jene aus, die sie bei "Wir sind das Volk!" nicht mit meinen.

Flüchtlinge und Migranten? Was haben diese Ausgrenzungen mit der Frage der Nachhaltigkeit zu tun?

Zur Nachhaltigkeit gehört ein gutes Leben für alle, nicht nur für manche. Und die, die es mit der Freiheit und dem guten Leben für alle ernst meinen, müssen jetzt dringend versuchen, Antworten auf die Fragen der Begrenzung zu finden, solange das noch im Rahmen der Institutionen möglich ist, die für die friedliche und möglichst demokratische Bewältigung dieser Konflikte unbedingt gebraucht werden.

Was geschieht sonst?

Sonst werden diese Institutionen von anderen Akteuren zerstört, die Fragen der Begrenzung und Ausgrenzung auf ihre eigene Weise lösen wollen. In Großbritannien, den USA oder der Türkei lässt sich das derzeit gut beobachten. Wenn aber die Frage nach den Begrenzungen der Freiheit dem Markt, den Rechtspopulisten oder beiden zusammen überlassen bleibt, werden wir uns mit großer Sicherheit unversehens im Autoritarismus oder Faschismus wiederfinden. Diesen Mechanismus hat etwa der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Karl Polanyi schon in den 1940er Jahren sehr genau beschrieben.

Sie haben von einer demokratischen Bewältigung der Konflikte gesprochen. In den Demokratien wählen die Mehrheiten aber immer noch eher jene, die möglichst wenig für die Nachhaltigkeit tun wollen.

Die emanzipatorischen sozialen Bewegungen hatten lange gehofft, dass jedes Mehr an Demokratie auch zu einem Mehr an Nachhaltigkeit führt. Wenn Demokratie aber nur als bloße Mehrheit der Wählerstimmen verstanden wird, sichert sie oftmals vor allem den Fortbestand des Nicht-Nachhaltigen und kann sogar zu noch weniger Nachhaltigkeit führen. Nicht nur Donald Trump, sondern auch die AfD haben ja ausdrücklich erklärt, dass sie aus allen Verträgen zum Klimaschutz etc. aussteigen wollen. So kann Demokratie also auch ein Mittel zur Legitimierung für eine Politik werden, die erklärtermaßen auf gesellschaftliche Spaltung und Ausgrenzung zielt. Wir stecken hier in einem ernsten Dilemma.

Weil wir alle anderen politischen Systeme grundsätzlich ablehnen?

Weil wir Demokratie eben vor allem als Stimmenmehrheit verstehen. Gleichzeitig gibt es keinerlei Grund zu der Annahme, dass expertokratische oder autoritäre Regierungsformen eine effektivere Politik der Nachhaltigkeit umsetzen könnten.

Noch einmal zurück zur unbegrenzten Freiheit. Wir können uns diese Freiheit ja wünschen - aber wir können sie nicht verlangen, wenn wir erkannt haben, dass wir so unsere Lebensgrundlagen zerstören. Das erscheint mir völlig logisch. Wieso hat dieses Wissen keine größeren Konsequenzen?

Zuerst einmal: Die Behauptung, "wir" zerstörten "unsere Lebensgrundlagen" ist so nicht richtig. Es ist vielmehr eine privilegierte Mittel- und Oberschicht, die ihre nicht-nachhaltigen, exklusiven Freiheitsansprüche und Lebensstile für absolut unverhandelbar hält und bedingungslos verteidigt, und dem Rest der Menschen, hier im Land und international, die Lebensgrundlagen zerstört.

Aber zu Ihrer Frage: Es ist schon lange bekannt, dass die Vorstellung, Einsicht und Wissen würden zu Verhaltensänderungen führen, zu einfach ist. Das alltägliche Verhalten der Menschen ist meist gar nicht in erster Linie von freien Entscheidungen und vom freien Willen bestimmt, sondern in hohem Maße von vorgegebenen Strukturen und Rahmenbedingungen, die letztlich nur recht wenig Spielraum für freie Entscheidung lassen.

Und bei diesen Entscheidungen hat dann das, was subjektiv als das Richtige erscheint - das gefühlt und lebensweltlich Richtige - meist viel mehr Gewicht als wissenschaftliche Erkenntnisse. Mehr Wissen führt also leider nicht notwendig zu nachhaltigerem Verhalten, sondern oft leider sogar zu mehr Verwirrung, Überforderung und größerer Bereitschaft, sogenannte alternative Fakten zu glauben.

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Was für Maßnahmen sollte die Politik nun ergreifen? Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen von Verzicht und Askese jedenfalls nichts hören möchten.

Wir dürfen uns gar nicht darauf einlassen, dass jede Veränderung des Status Quo und jede Begrenzung des Megakonsums so bezeichnet wird. Die Gegenüberstellung von Megakonsum und Askese ist genauso ideologisch wie die von totaler Deregulierung und Diktatur. Indem wir uns auf solche falschen Begriffspaare einlassen, tragen wir dazu bei, den Status Quo und seine völlig vermessenen, irrwitzigen Vorstellungen zu befestigen.

Ein Leben ohne Kite-Surfing in Thailand, die Weltreise nach dem Abitur, das tägliche Schnitzel, das neue SUV und die reguläre Nutzung der Billigflieger bedeutet doch keine Askese. Bis heute kam und kommt der allergrößte Teil der Menschen ohne aus - und empfindet das auch nicht als Verzicht. Ebenso bedeutet politische Regulierung nicht gleich Diktatur.

Dieses Gerede dient ausschließlich dazu, politische Intervention zu verhindern. Wenn wir aber am Ziel einer möglichst großen Freiheit und einem möglichst guten Leben für alle - nicht nur für die Bessergestellten - festhalten wollen, führt an politischer Regulierung kein Weg vorbei.

Maßnahmen gegen die Erderwärmung müssten allerdings global ergriffen werden. Wie wollen wir internationale Lösungen finden, wenn wir schon national versagen?

Der Hinweis darauf, dass internationale Lösungen gebraucht werden, ist im Moment oft nur eine euphemistische Verpackung für die Botschaft: Wir wehren uns gegen jede Form der Begrenzung oder Regulierung. Und während wir auf die internationalen Lösungen warten, haben gerade die reichen Staaten dann Zeit gewonnen, sich in eine möglichst günstige Wettbewerbsposition zu bringen für das neue Spiel, dessen Regeln sich immer deutlicher abzeichnen: Es ist kein Kooperations- und Mannschaftsspiel mehr, sondern ein harter Ausscheidungskampf der Einzelkämpfer.

Entsprechend können wir überall beobachten, wie Staaten versuchen, Verbindlichkeiten, Solidaritäten und Verantwortlichkeiten - soziale und ökologische - schnellstmöglich abzuschütteln, also bestehende Verträge, Abkommen und Vereinbarungen aufzukündigen oder neue gar nicht mehr erst abzuschließen, um so beweglicher zu werden und sich ergebende Möglichkeiten effektiver nutzen zu können. Das gilt auf allen gesellschaftlichen Ebenen von der einzelnen Person bis hinauf zu Nationalstaaten oder Großkonzernen.

Mit dieser Strategie lassen sich aber nur sehr kurzfristige Erfolge erzielen und auch nur für eine kleine Gruppe von Gewinnern. Genau genommen ist diese Strategie für diese Gewinner dann besonders erfolgreich, wenn es möglichst viele Verlierer gibt. Das aber führt unvermeidlich in gewaltsame Konflikte, die wir bereits deutlich beobachten können. Eigentlich gibt es also guten Grund, die Angst vor der politischen Intervention, der politischen Regulierung zu überwinden.

Ehrlich gesagt, klingt das nicht so, als gebe es viel Hoffnung darauf, dass wir die Klimakrise bewältigen.

Das Klimapaket der Bundesregierung legt diesen Verdacht nahe. Die Mobilisierungsstrategie der AfD auch. Aber selbst wenn es nicht gelingen sollte, den Klimawandel wenigstens zu bremsen, sollten wir eines nicht vergessen:

Das alltägliche Leben in seiner täglichen Lebensqualität, das tägliche Miteinander, findet für die allermeisten Menschen in einer geographisch relativ begrenzten Lebenswelt statt. Und hier lässt sich - während weiter auf internationale Lösungen hingearbeitet wird - für die Lebensqualität, die Umweltqualität und den sozialen Frieden sehr viel erreichen, wenn wir die derzeit so übermäßig entgrenzt interpretierte Freiheit und die maßlosen Ansprüche auf Selbstverwirklichung politisch wieder zur Diskussion stellen und demokratisch einzugrenzen versuchen.

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