Es scheint, als wäre den jungen Anhängern von Fridays for Future gelungen, was Klimaschützer seit Jahren versuchen: Die Politik in Deutschland dazu zu bewegen, ernsthaft etwas gegen die Erderhitzung zu tun. Wichtige Fragen bleiben aber noch immer unbeantwortet, sagt Ingolfur Blühdorn, Professor am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) der Wirtschaftsuniversität Wien.
SZ: Seit Jahrzehnten wissen wir um Klimaveränderungen und Umweltzerstörungen, aber Warnungen sind weitgehend ohne Wirkung geblieben. Jetzt gibt es Fridays for Future. Verändert sich etwas?
Ingolfur Blühdorn: Das Klimathema hatte noch nie so große Bedeutung. Nachdem die junge Generation lange für politisch desinteressiert und apathisch gehalten wurde, trägt gerade sie die neue Klimabewegung. Da könnte man durchaus Hoffnung schöpfen, dass sich endlich etwas in Richtung einer großen, sozial-ökologischen Transformation bewegt.
Könnte? Sie sind skeptisch?
Einen größeren Hoffnungsträger gibt es derzeit nicht. Aber das "Klimapaket" der Bundesregierung zum Beispiel deutet in eine andere Richtung. Zudem haben wir in jüngerer Zeit schon andere internationale Bewegungen erlebt, die als große Hoffnungsträger galten. Occupy Wall Street etwa oder das Weltsozialforum. Heute sind sie weitgehend vergessen, ohne dass sich nennenswert etwas verändert hätte.
Es ist also wichtig, die neue Bewegung und ihr Potenzial realistisch einzuschätzen. Wir müssen die Situation berücksichtigen, aus der heraus sie sich entwickelt hat, und welche Faktoren sie bestimmen.
Die jungen Menschen haben begriffen, dass es - wie sie sagen - keinen "Planeten B" gibt.
Gerade die enge Fokussierung auf das Klima ist auffällig. Die Fragen der Ökologie beziehungsweise der Nachhaltigkeit im weiteren Sinne stehen dagegen sehr viel weniger zur Debatte.
Was für Forderungen fehlen denn?
Die frühen Grünen, Occupy oder in der Gegenwart auch Degrowth haben viel grundlegender das kapitalistische Wirtschaftssystem, die Konsumkultur und das Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums in Frage gestellt.
Bei der neuen Klimabewegung stehen diese grundlegenden Fragen bestenfalls am Rande zur Diskussion. Sie fordert eher technologiezentrierte und marktkonforme Maßnahmen, die die Probleme weitestgehend innerhalb der bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung lösen sollen. Dieser Ansatz hat sich eigentlich längst als unzureichend erwiesen.
Ingolfur Blühdorn ist Professor am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) der Wirtschaftsuniversität Wien. Von ihm und weiteren Autorinnen und Autoren erscheint demnächst das Buch Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit - Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet.
(Foto: privat)Die jungen Leute verweisen auf die Wissenschaft - und auf die Erwachsenen, die die Sache bislang verbockt haben.
Die Erwachsenen haben die Sache verbockt, indem sie seit Mitte der 1980er Jahre vor allem auf technologische Innovation gesetzt haben. Diese Innovationen haben aber letztlich nur die Haltbarkeit eines nicht haltbaren Wirtschaftssystems und eines nicht-nachhaltigen Lebensstils etwas verlängert. Der zentralen Frage sind die grünen Parteien, Umweltverbände, kritischen Sozialwissenschaftler und viele andere Akteure dabei immer ausgewichen. Ich fürchte, das tun die Jungen heute auch wieder.
Was ist dann die zentrale Frage?
Die nach der Begrenzung überbordender Ansprüche auf Freiheit und konsumbasierte Selbstverwirklichung. "Dekarbonisierung" oder das "1,5 Grad Ziel" sind abstrakte Größen. Hinter ihnen stehen die konkreten Fragen, wer was tun soll oder lassen muss, damit solche Ziele erreicht werden können. Wer soll was bekommen oder nicht bekommen? Freiwilligkeit und positive Anreize - das lässt sich jederzeit fordern. Aber Beschränkung und Regulierung? Definitiv nicht! Die Freiheiten und Lebensstile, die sich gerade die gebildeten, progressiven, weltoffenen Mittelschichten seit den 1970er Jahren erkämpft haben, sind offenbar unantastbar.
Es fällt da schnell das Stichwort Öko-Diktatur.
Es ist unbedingt erforderlich, in manchen Bereichen verbindliche Grenzen für Freiheits- und Selbstbestimmungsansprüche zu formulieren, und das hat überhaupt nichts mit Diktatur zu tun. Vielmehr ist es die ureigenste Aufgabe jeder Politik, zu regulieren. Jede Freiheit muss Grenzen haben, damit sie nicht ihrerseits umschlägt in die totale Herrschaft sehr weniger "völlig Befreiter". Da sind sich alle Theoretiker und Philosophen bis zurück zu Platon immer einig gewesen.
Bewegungen, die für mehr Freiheit gestritten haben, hatten auch nie eine völlige Entgrenzung und Zügellosigkeit zum Ziel. Sie sind zum Beispiel immer davon ausgegangen, dass die Freiheit des einen da aufhört, wo sie die des anderen blockiert. Und sie sind vor allem immer davon ausgegangen, dass es eine soziale und ökologische Vernunft gibt, auf deren Grundlage moderne Gesellschaften sich demokratisch über die Beschränkung der Freiheit einigen können.