Globale Erwärmung:Mauern gegen das Meer

Indonesia Tackles Rising Waters At Jakarta's Sinking City

Maroder Schutzwall: Eine Mauer trennt in Jakarta tiefliegende Stadtgebiete von der Javasee. Dem Anstieg des Meeresspiegels dürfte sie nicht standhalten.

(Foto: Ed Wray/Getty Images)

Es gibt gigantische Projekte, um Metropolen wie Miami oder Jakarta vor den steigenden Fluten zu schützen. Ob die wirklich realisiert werden, steht in den Sternen. Und ohnehin ist das Problem eher ein anderes.

Von Thomas Kirchner, Reymer Klüver und Arne Perras

Wer auf die Seemauer in Pluit im Norden Jakartas klettert, kann sich ein gutes Bild machen vom drohenden Desaster. Im Norden glitzert der Ozean, im Süden erstreckt sich ein Meer aus ärmlichen Behausungen über die Ebene. Gut möglich, dass die Mauer von Pluit, die beide Seiten voneinander trennt, inzwischen wieder etwas gewachsen ist während der Pandemie. Denn so machen das die Leute hier: Nach jeder Flut, die verheerende Folgen für die Armenviertel hat, werden ein paar weitere Steine auf die Mauer von Pluit gesetzt, in der Hoffnung, dass das dann schon irgendwie reichen wird als Barriere für den nächsten Sturm, der die Wellen der Javasee auf das tiefliegende Land peitscht und Indonesiens Metropole überschwemmt.

Die Bedrohung wächst, und Jakarta ist gleich doppelt gefährdet. Einerseits durch den steigenden Meeresspiegel und Unwetter, die mit der Erderwärmung immer extremer werden; andererseits durch den sinkenden Boden der Stadt. Überall bohren die Menschen Brunnen und pumpen Wasser nach oben, was dazu führt, dass die Stadt Jahr für Jahr ein paar Zentimeter tiefer sinkt. Jakarta ist die am schnellsten sinkende Stadt der Welt - schneller noch als Venedig. Früher wohnte so gut wie niemand im Stadtteil Pluit. Doch das änderte sich mit Beginn der 1970er-Jahre, als Indonesiens Bevölkerung rasch wuchs und die Menschen auf der Suche nach Arbeit in die Metropole drängten. In dem sumpfigen Gelände konnten sie günstig eine Bleibe errichten.

Schutz könnte vielleicht der "Große Garuda" bringen, so heißt ein ehrgeiziges Milliardenprojekt. Draußen im Meer soll eine gewaltige Barriere errichtet werden, die Jakarta abschirmen würde, 30 Kilometer lang. 40 Milliarden Dollar soll das kosten, Minimum. Der Name spielt auf ein legendäres Wesen aus der asiatischen Mythologie an. Das passt, denn der Schutzwall existiert bisher nur als Projektion, konkrete Formen hat er noch nicht angenommen.

Überall auf der Welt gibt es gigantische bis gigantomanische Projekte. Venedig hat nach Jahrzehnten der Planungen und wieder verworfener Konzepte endlich einen Schutzwall, der die Stadt vor Hochwasser bewahren soll. In den USA machen sich die Millionen-Metropolen an den Küsten Gedanken, wie sie die Wassermassen bändigen könnten - sofern das überhaupt möglich ist.

In New York könnte zur Jahrhundertmitte ein Drittel von Manhattan bei einer Sturmflut überflutet werden, wenn die Stadt nichts tut. In den vergangenen 50 Jahren ist der Meeresspiegel dort um 15 Zentimeter gestiegen, innerhalb von nur zehn Jahren könnte noch einmal so viel hinzukommen. Zehn Milliarden Dollar will die Stadt für Schutzbauten ausgeben. In Miami hatte der Hurrikan Irma vor vier Jahren weite Teil der Stadt unter Wasser gesetzt. Aber auch bei weniger spektakulären Wetterlagen sind zum Beispiel die Causeways, die Verkehrsarterien, die das Zentrum der Metropole mit Miami Beach verbinden, schon jetzt bedroht. Der Vorschlag, einen Schutzwall im Meer zu errichten, hat Umweltschützer auf den Plan gerufen. Mehr als sechs Meter hoch müsste die Betonmauer in Teilen sein. Das Preisschild: locker sechs Milliarden Dollar.

Es könnten sehr viel mehr Menschen betroffen sein als bisher gedacht

In den Niederlanden, wo sie seit Jahrhunderten versuchen, dem Wasser immer einen Schritt voraus zu sein, haben sie vor Jahrzehnten bereits ein solches Großprojekt in die Tat umgesetzt. 1953 überschwemmte eine katastrophale Sturmflut weite Teile des Küstengebiets, fast 2000 Menschen ertranken. Die Antwort war der Delta-Plan, ein einzigartiges Hochwasserschutzprogramm mit gigantischen Sperrwerken und Hunderten Kilometern neuer Deiche.

Jetzt verstärkt der steigende Meeresspiegel die Gefahr und macht sie unberechenbarer. Drei, ja bis zu sieben Meter höher werde das Wasser bis 2100 steigen, war da und dort schon zu lesen. Maßgeblich in den Niederlanden aber ist die Königliche Meteorologische Gesellschaft. Und die hat ihre Anstiegsprognose geändert, vergangene Woche erst: von einem Meter auf 1,20 Meter. Das wird teure Konsequenzen haben, denn die Schutzmaßnahmen müssen angepasst werden. Darüber hinaus droht eine Versalzung des Grundwassers oder ein Ertrinken des Wattenmeers.

Ein Anstieg um bis zu 1,50 Meter sei wohl noch konventionell zu bewältigen, sagte der Wasser-Experte Jeroen Aerts der Volkskrant. Danach müsse man anders denken: etwa an den Bau eines großen Deichs im Meer oder einen Ring von künstlichen Inseln vor der Küste. Möglich sei auch, die Flüsse mitsteigen zu lassen. Das aber setze Schutzdeiche von völlig neuer Qualität voraus.

In Europa und in den USA werden sie im Zweifel die Milliardensummen auftreiben können, die es kosten würde, zumindest Metropolregionen wetterfest zu machen. Doch in weiten Teilen Asiens, in Afrika und Lateinamerikas (von Ozeanien ganz abgesehen) sieht es anders aus. Und es sind eben nicht nur die Millionenstädte, die bedroht sind - und die mit prestigeträchtigen Bauten geschützt werden könnten.

Die Auswertung neuerer Satellitendaten hat ergeben, dass zum Beispiel die tropischen Küstengebiete Asiens durch einen Anstieg des Meeresspiegels noch weitaus stärker gefährdet sind als bislang angenommen. 157 Millionen Menschen leben nach den Berechnungen niederländischer Forscher in asiatischen Küstenzonen nahe des Äquators, die lediglich bis zu zwei Meter über dem Meeresspiegel liegen. Die Wissenschaftler vom Institut Deltares in Delft stützen ihre Erkenntnisse auf neue Satellitentechnik, die genauere Daten über die jeweilige Höhe der Küstenzonen liefert. Herkömmliche Radardaten waren vor allem in Regionen mit dichter Vegetation oftmals ungenau.

Allein in Indonesien sind diese hochgefährdeten Gebiete demnach 14 Mal so groß wie bisher angenommen. Oder Vietnam: Dort könnte der Anstieg des Meerespegels, so warnen die Forscher, 38 Millionen Menschen aus ihrer bisherigen Bleibe vertreiben, mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Global sind es der Studie zufolge nicht weniger als 127 Millionen Menschen, deren Zuhause dauerhaft gefährdet ist.

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