Klimagipfel:Frostige Brise am Sinai

Klimagipfel: Müssen in den letzten Tagen noch viele Fragen klären: Teilnehmer der Klimakonferenz in Scharm el-Scheich.

Müssen in den letzten Tagen noch viele Fragen klären: Teilnehmer der Klimakonferenz in Scharm el-Scheich.

(Foto: Mohammed Abed/AFP)

An diesem Mittwoch treten die Verhandlungen beim Klimagipfel in die entscheidende Phase. Doch viele Fragen sind noch offen - und mancher Graben wirkt schwer zu überwinden.

Von Michael Bauchmüller, Scharm el-Scheich

Die Sonne brennt unbarmherzig auf die Zeltstadt in der Wüste, aber das Problem der Erhitzung hat der ägyptische Gastgeber auf seine Weise gelöst: mit Bataillonen von Klimaanlagen. Aus riesigen Rohren blasen sie kalte Luft in die Zelte, angeblich betrieben mit Solarstrom. Ins Schwitzen kommt beim Klimagipfel in Scharm el-Scheich keiner. Ab dem Nachmittag, wenn die Sonne weg ist, treffen sich Verhandler vorzugsweise in Pullis. Was nicht heißt, dass es nicht hitzig zugeht am Sinai. Denn der Konferenz läuft die Zeit davon.

Diesen Mittwoch tritt die Konferenz in die entscheidende Phase. Die letzten wichtigen Minister treffen ein, am Nachmittag auch Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Zwei, vielleicht drei Tage bleiben ihnen dann, um die letzten Streitpunkte auszuräumen. Fragen also, die sich in den ersten zehn Tagen im Kreis der Klimadiplomaten nicht hatten klären lassen. Von der Sorte gibt es reichlich. In einigen Fällen sind zwar die Gespräche abgeschlossen - aber mit dem Ergebnis, dass das gemeinsame Ergebnis "keinen Konsens widerspiegelt". Andere Texte wimmeln nur so von eckigen Klammern, dem Indikator der Meinungsverschiedenheit. "Es gibt zwar Fortschritte", sagt Ägyptens Chefunterhändler Wael Aboulmagd. "Aber zu sagen, dass sie den politischen Versprechen entsprechen, wäre übertrieben." Dafür gebe es ja Verhandlungen.

Zu klären gibt es einiges. Etwa die Frage, wie die Staaten beim Klimaschutz einen Zahn zulegen können, und zwar sofort. Beim Gipfel in Glasgow im vergangenen Jahr hatten sie dazu vereinbart, bei dieser Konferenz ein "Arbeitsprogramm" aufzustellen, wie sich durch höhere Ziele rasch mehr Emissionen vermindern lassen. Erst kürzlich hatte das UN-Umweltprogramm Unep eine vernichtende Zwischenbilanz gezogen: Um 45 Prozent müssten die Emissionen bis 2030 sinken, um die Erderhitzung noch auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Aber die neuen nationalen Klimaziele seit Glasgow entsprächen nicht einmal einem Prozent zusätzlicher Minderung. Die Staaten nähmen derzeit bestenfalls Kurs auf katastrophale 2,4 Grad plus, warnt Unep.

Im Verhandlungstext stehen an 765 Stellen eckige Klammern - hier wird noch verhandelt

Doch die Verhandlungen schleppen sich dahin. In den Verhandlungstexten zählten Analysten des britischen Thinktanks Carbon Brief zuletzt an 765 Stellen eckige Klammern. Als schwieriger Gesprächspartner gilt hier auch China: Die Volksrepublik will den Arbeitsplan gerne auf ein Jahr begrenzen. Doch wenig spricht dafür, dass das Problem in einem Jahr weniger groß ist als derzeit. So geht dieses Problem ungelöst in die nächste Phase der Verhandlungen.

Das gilt auch für das große Thema der Konferenz, den Umgang mit Schäden, die der Klimawandel schon heute anrichtet. Seit Jahren verlangen vor allem Entwicklungsländer einen Ausgleich. Immer wieder wurde das Thema vertagt, in Scharm el-Scheich steht es erstmals offiziell auf der Tagesordnung. Klar ist schon jetzt, dass es bei dem Gipfel am Sinai noch keinen neuen Mechanismus geben wird, wie reiche Staaten die Schäden der ärmeren schultern. Doch schon das weitere Prozedere führt zu Streit: Sollen sich die Staaten nur vornehmen, das Problem bis 2024 irgendwie zu lösen - oder sollen sie schon jetzt vereinbaren, dass es einen Topf für solche Schäden geben soll?

Der Graben ist tief. Von einer Vertagung wollen Entwicklungsländer nichts wissen, sie wähnen darin eine Flucht aus der Verantwortung. Eine Vorentscheidung auf einen neuen Topf dagegen lehnen viele Industrieländer ab, allen voran die USA. Schließlich will so ein Topf auch gefüllt werden. Und über allem schwebt die Frage, wer eigentlich als Verursacher des Klimawandels mit einzahlen müsste. Diese Debatte ist vor allem dem mittlerweile größten Produzenten von Treibhausgasen unangenehm: China.

Das 1,5-Grad-Ziel findet sich im Schlussdokument nur noch am Rande

Gastgeber Ägypten dagegen muss befürchten, dass aller Klimatisierungsaufwand in der Wüste verdampft, wenn Streit jeden Fortschritt vereitelt. Der Präsidentschaft bliebe dann nur noch der Versuch, die Staaten über ein gemeinsames Schlussdokument auf mehr Klimaschutz einzuschwören. Erste Eckpunkte dafür liegen nun vor. Aber das 1,5-Grad-Ziel findet sich darin nur noch am Rande, der Abschied von fossiler Energie gar nicht - obwohl dafür neuerdings selbst Indien eintritt, jedenfalls in Scharm el-Scheich. Noch sei der Entwurf zwar nur ein "Skelett", sagt Yeb Saño, der die Greenpeace-Delegation anführt. "Aber wir sind schockiert, dass das Skelett kein Rückgrat hat."

Die guten Nachrichten kommen derweil nicht vom Roten Meer, sie kommen aus dem Indischen Ozean. Seit dort, am Rande des G-20-Gipfels auf Bali, US-Präsident Joe Biden und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping zusammengetroffen sind, ist die Chance auf eine Zusammenarbeit beider Nationen im Klimaschutz wieder gewachsen. Im Zuge des Konflikts um Chinas Taiwan-Politik hatten beide Länder ihre Kooperation auf Eis gelegt.

Wichtiger noch aber könnte eine neue Partnerschaft werden, die am Dienstag eine Gruppe von Industriestaaten - im Kern die G 7 - mit Indonesien verabredet haben, einem der größten Treibhausgas-Emittenten der Welt. Danach soll das Land bis 2050 die Emissionen der Stromerzeugung auf null senken - letztlich bedeutet das einen Ausstieg aus der Kohle. Bis 2030 sollen die Emissionen der indonesischen Kohlekraft ihren Gipfel erreichen, danach sinken. 20 Milliarden Euro wollen die Industriestaaten für den Umstieg auf Ökoenergien aufbringen, teils öffentliche Kredite, teils private Mittel. Indonesien hatte bis vor wenigen Jahren noch massiv in Kohle investiert.

Aber reichen gute Nachrichten aus Bali für einen Erfolg in Scharm el-Scheich? In den kühlen Zelten am Sinai nähert sich auch die Zuversicht dem Tiefpunkt. Seit 2010 verhandle er auf Klimagipfeln, sagt der Schweizer Chefdiplomat Franz Perrez. "Und ich hatte noch nie so ein schlechtes Gefühl."

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