250 Milliarden Dollar, 300 oder sogar 1300? Es sind diese Zahlen, die das Finale der Klimakonferenz in Baku bestimmen. Eigentlich hätte der Gipfel schon gestern enden sollen – jetzt ist unklar, ob er diesen Samstag überhaupt noch endet. Wenn er nicht vorher schon scheitert. Es geht eben um richtig viel Geld.
Einen ersten Vorgeschmack des Scheiterns haben die Staaten am Samstagnachmittag schon erlebt. Unter Protest verließen Delegierte von Inselstaaten und der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder die Verhandlungen über ein neues Finanzziel. Was auf dem Tisch liege, sei ohne Substanz, erklärte die Inselstaaten-Gruppe Aosis. „Unsere Bitten wurden ignoriert.“ Andere Staaten könnten nach Ende der Konferenz „Richtung Sonnenuntergang davonsegeln“, sagte Aosis-Chef Cedric Schuster. „Wir sind buchstäblich dabei, zu versinken.“
Derzeit liegt das Ziel bei 100 Milliarden Dollar im Jahr. Vereinbart wurde es schon 2009, ab 2020 sollten die Industriestaaten es jährlich aufbringen. Doch nach eigenen Zahlen erreichen sie selbst dieses Ziel erst seit 2022. Im Pariser Klimaabkommen ist vereinbart, bis 2025 ein neues, höheres Ziel festzulegen. Das müsste nun in Baku geschehen, und zwar noch in den nächsten Stunden.
Entwicklungsländer und Inselstaaten fordern jährlich 1,3 Billionen Dollar. Eine immens hohe Summe. Allerdings wäre davon nur ein kleiner Teil öffentliche Mittel aus reichen Ländern wie Deutschland. Hinzu kämen etwa Kredite von internationalen Entwicklungsbanken wie der Weltbank oder Europas Wiederaufbau-Bank EBRD. Damit wiederum ließen sich private Investitionen mobilisieren, die ebenfalls mitgezählt würden. Die Staatengruppe ist nicht allein mit ihrer Forderung. Auch eine Expertengruppe um den britischen Ökonomen Nicholas Stern hatte die Summe von einer Billion Dollar bis 2030 empfohlen, die dann bis 2035 auf 1,3 Billionen anwachsen solle.
Doch zuletzt hatten Entwürfe nur eine Summe von 250 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt, die entwickelten Staaten bis 2035 jährlich aufbringen sollen. Doch das ist nicht nur Inselstaaten und Entwicklungsländern zu wenig. Eine Kurzanalyse von Greenpeace, die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, zeigt, dass die Industriestaaten mit dieser Summe ausgesprochen gut wegkämen. Die Analyse zählt zusammen, was bisher schon geflossen ist oder zuletzt zugesagt wurde – darunter 120 Milliarden Dollar, die internationale Entwicklungsbanken in Baku in Aussicht gestellt hatten. Ergebnis: Die Industriestaaten müssten nur elf Milliarden Dollar mehr aufbringen als bisher.
In den Verhandlungen gehe es bisher zu wenig um reale Zuwächse, klagt Greenpeace-Chef Martin Kaiser. „Und es wäre ein Riesen-Problem, wenn diese Zahl bis 2035 festgezurrt würde.“ Denn die Klimakrise werde ja mit den Jahren nicht weniger fordernd.
Doch noch ist nichts beschlossen, die Verhandlungen in Baku laufen weiter. Zuletzt kursierte eine neue Zahl: 300 Milliarden Dollar jährlich. Erstmals könnten dabei auch China und andere Schwellenländer ins Boot kommen, indem sie ihre Anteile an der Finanzierung durch Entwicklungsbanken ebenfalls frei machen. Damit wären zumindest erstmals Länder wie China ebenfalls in der Pflicht zu zahlen – wenngleich auf Umwegen über Entwicklungsbanken. Von Billionen sind diese Zahlen aber dennoch weit entfernt. Und verlässlich genug sind sie aus Sicht der Inselstaaten auch nicht. „Wir werden den Preis zahlen“, sagt Tina Stege, Klimagesandte der Marschall-Inseln. Es gebe aber keine Sicherheit, dass „der magere Umfang“ der Hilfen tatsächlich bei den besonders betroffenen Ländern ankomme. Das ganze Paket sei „ein Affront“.
Damit nicht genug, hängen auch andere Verhandlungen fest. Denn jenseits der Finanzfragen wollen die Staaten auch Leitlinien festzurren für die nächsten nationalen Klimaschutzpläne – die bis zum nächsten Jahr eingereicht werden müssen. Nach der Mechanik des Pariser Abkommens sollen diese Pläne langfristig den Temperaturanstieg stoppen. Damit dieses Vorgehen Chancen auf Erfolg hat, müssten sie immer strenger werden. Doch nun pochen Staaten wie Saudi-Arabien darauf, selbst einen Beschluss aus dem Vorjahr wieder zurückzudrehen. In Dubai hatten die Staaten nämlich eigentlich schon beschlossen, sich von fossilen Energien weg entwickeln zu wollen.
„Wir befinden uns inmitten eines geopolitischen Machtspiels einiger der fossilen Staaten“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Samstagnachmittag. „Ihr Spielbrett ist leider der Rücken der ärmsten und verletzlichsten Länder.“ Man werde nicht zulassen, dass die verletzlichsten Staaten von „neuen fossilen und reichen Emittenten hier über den Tisch gezogen werden“. Die Europäer müssen auch befürchten, dass ihre Allianz mit Inselstaaten und armen Ländern, die „High Ambition Coalition“, am Streit in Baku zerbricht.
Ein anderes großes Fragezeichen in Baku bleibt die Rolle der Präsidentschaft, die beim Gastgeberland Aserbaidschan liegt. Bisher jedenfalls hat sie wenig dazu beigetragen, Brücken in dem Streit zu bauen – dabei wäre das genau ihre Aufgabe. Reihenweise wurden stattdessen schon am Samstag strittige Themen ungelöst weitergereicht. Und so könnte es auch mit den Milliardenfragen von Baku laufen. Wiedervorlage bei der nächsten Klimakonferenz, Cop30 im brasilianischen Belém, solche Vorschläge kursieren. Ob es dann leichter wird? Im Weißen Haus säße dann Donald Trump.