Klimaklage:Auch ihre Zukunft

Lesezeit: 2 min

Klima-Protest können nur die Jungen? Schweizer Seniorinnen beweisen das Gegenteil und ziehen vor Gericht.

Von Isabel Pfaff

Die Frauen tragen bunte Schals und silberne Frisuren, auf Fotos strahlen sie in die Kameras und recken dabei die Faust. Siegesgewiss sieht das aus, und vielleicht stehen diese Rentnerinnen aus der Schweiz wirklich kurz davor, Geschichte zu schreiben. "Klimaseniorinnen" nennen sie sich, und weil sie finden, dass ihr Land nicht genug gegen die Erderwärmung tut, wollen sie es zwingen. Ihre schärfste Waffe dabei: ihr Alter.

Meist geht es ja um die Jungen bei diesem Thema, um ihre Zukunft, ihre künftigen Probleme. Dabei gehören sie nicht zu denen, die bei der nächsten Hitzewelle um ihr Leben fürchten müssen: Bei alten Menschen kann der Kreislauf bei extremer Hitze schnell zusammenbrechen, der Blutdruck hochgehen, die Herzfrequenz steigen. Dehydrierung, Hitzekrämpfe, vielleicht sogar ein lebensgefährlicher Hitzschlag: alles möglich, wenn man älter ist und deshalb seine Körpertemperatur schlechter regulieren kann, weniger schwitzt und kaum Durstgefühl hat.

"Hitzebedingt sterben vor allem ältere, chronisch kranke Menschen", schreiben die Schweizer Bundesämter für Gesundheit und Umwelt. Und laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation sind Seniorinnen besonders gefährdet: Im Hitzesommer 2003 starben in Europa mehr Frauen als Männer.

Bewaffnet mit diesen Sätzen sind die inzwischen fast 2000 Klimaseniorinnen in den Kampf gezogen, haben sich erst mit einem Begehren an die Schweizer Regierung selbst gewandt, dann ans Schweizer Bundesverwaltungsgericht, dann ans Bundesgericht. Überall wies man sie ab. Im vergangenen Herbst zogen die Frauen dann vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) - in der stets auf ihre Souveränität bedachten Schweiz ein ganz besonderer Affront.

Die Seniorinnen haben schon einige Etappensiege errungen

In ihrer Beschwerde machen die Frauen geltend, dass ihr Staat sie nicht genügend vor den Auswirkungen der Klimakrise beschütze, obwohl sie in besonderem Maß davon betroffen seien. Ihr Recht auf Leben und Gesundheit, verankert sowohl in der Landesverfassung als auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention, werde durch die unzureichenden Schweizer Klimaziele verletzt.

Die Seniorinnen haben bereits einige Etappensiege errungen: Der EGMR nahm im März die Beschwerde an und stellte sie der Schweizer Regierung zu. Die musste daraufhin Stellung nehmen, und zwar innerhalb weniger Monate - als so dringlich stufte der Gerichtshof den Fall ein.

Vor Kurzem haben die Klimaseniorinnen die Antwort der Schweizer Regierung öffentlich gemacht. Die hält die Beschwerde der Frauen für unzulässig: Die Treibhausgasemissionen der Schweiz seien zu niedrig, um allein für das Leid der Frauen verantwortlich zu sein. Die Klimakrise sei ein globales Phänomen und könne nur durch die Gemeinschaft aller Staaten gelöst werden.

"Die Schweiz will ihre Verantwortung in der Klimakrise nicht wahrnehmen und ignoriert, dass der von ihr mit verursachte Klimawandel schon jetzt unsere Gesundheit bedroht", wüteten daraufhin die Klimaseniorinnen. Sie werden dem Gericht in Straßburg im Oktober eine Replik zukommen lassen. Nach Ansicht von Europarechtlern stehen ihre Chancen nicht schlecht. Womöglich bahnt sich hier, nach dem spektakulären Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts, der nächste Grundsatzentscheid an.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: