Süddeutsche Zeitung

Klimagipfel in Glasgow:Von Kohlefreunden und Windkraftgegnern

Lesezeit: 3 min

Bernhard Pötters und Frank Uekötters Bücher zur Energiewende in Deutschland sollten viele Leser finden.

Von Thomas Hummel

Wenn Bernhard Pötter in Mecklenburg-Vorpommern in einem Geländewagen "über einen ausgewaschenen Feldweg" schlingert, wird es interessant. Dann befindet sich der Journalist und Buchautor in den Tiefen der Veränderung, im stotternden Klein-Klein des Klimaschutzes. Er begleitet den Anwohner Jens Funk zur Friedländer Große Wiese. Der Rentner Funk mag die hiesige Natur, Windräder mag er nicht. Deshalb hat er gerade viel zu tun, weil auf dieser Wiese zwölf Windräder entstehen sollen, bis zu 230 Meter hoch, fünf Megawatt Leistung. Es ist ein Schauplatz des Kampfes um die Energiewende.

Pötter beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit Energie-, Klima- und Umweltpolitik und schreibt darüber unter anderem in der Berliner taz. Nun hat er sein Wissen darüber in ein Buch gegossen: "Die Grüne Null - der Kampf um Deutschlands Zukunft ohne Kohle, Öl und Gas". 286 Seiten voller Zahlen, Hintergründe und all den Herausforderungen, die damit einhergehen. Deutschland will nun bis 2045 klimaneutral sein, und Bernhard Pötter erklärt, auf welchen Wegen sich das Land befindet, wo die Konflikte warten und wie Lösungen aussehen könnten. Manchen Politikerinnen und Politikern auf allen Ebenen würde man wünschen, häufiger solche Erklärbücher zu lesen. Und wem Klimaschutz am Herzen liegt, der kann "Die Grüne Null" den Protagonisten einer neuen Bundesregierung zu Weihnachten schenken.

Die Argumente der kleinen Szene sind längst widerlegt

Dann würden sie etwa das Ehepaar Funk kennenlernen. Es ist für Journalisten oft gar nicht leicht, Zugang etwa zu Windkraftgegnern zu finden. Nicht selten überlappt sich die Szene mit der staats- und pressekritischen Blase rund um die AfD. Doch Pötter sitzt bei den Funks "in ihrer gemütlichen Wohnküche bei Kaffee und Tee" und darf sich ihre Klagen anhören. Dabei geht es um Grundsätzliches: um die Skepsis, ob der ganze Klimaschutz wirklich nötig ist. Die Argumente sind in der kleinen, aber lauten Szene immer die gleichen, die allermeisten längst widerlegt. Da kann auch die Windradfirma Enertrag nur seufzen, ein mittelständisches Unternehmen aus der Uckermark, das an der "regionalen und nationalen Ökoenergie" bastele.

Pötter erzählt aus dem VW-Werk in Zwickau, wo Elektroautos vom Band laufen. Und zwar möglichst klimaneutral. Von dort aus erklärt er, wie kompliziert die Verkehrswende ist, und was der Bundesverkehrswegeplan damit zu tun hat. Pötter fährt ins Duisburger Stahlwerk von Thyssenkrupp, wo allein 2,5 Prozent der deutschen Emissionen entstehen und gibt einen Ausblick auf die Transformation der Industrie. Er berichtet aus der Lynarstraße 38 - 39 in Berlin, wo das größte Holzhaus Deutschlands steht. Um für die Klimafrage im Gebäudebereich zu schließen: "Woher die Pläne, die Investitionen, die Handwerker und das Fachwissen dafür kommen sollen, ist völlig unklar."

Das Buch reiht sich ein in eine zunehmend große Zahl an Erklärwerken rund um die Erderwärmung und ihre Folgen. Das Thema ist heiß wie nie, entsprechend hoch das Interesse der Verlage nach neuem Stoff. Im Sommer stand auf den Bestseller-Listen zum Beispiel "Mensch Erde" von Eckart von Hirschhausen, "Was, wenn wir einfach die Welt retten" von Frank Schätzing, "Der lange Atem der Bäume" von Peter Wohlleben oder "Deutschland 2050" von den Journalisten Nick Reimer und Toralf Staud.

Der Kohlekompromiss: "ein Desaster"

Der nächste ist Frank Uekötter, der seine Sichtweise einbringt; der Umwelthistoriker hat das Buch "Einfach war gestern - Über Umweltpolitik in unruhigen Zeiten" geschrieben. Es zieht seinen Reiz aus der Zeitgeschichte und deren Rückschlüssen auf die Gegenwart. Uekötter nahm als Grundstock seine Texte zur Umweltpolitik für das Internetportal Focus Online, die er seit Anfang 2017 schrieb.

Darin argumentiert Uekötter bisweilen pointiert, manchmal fast unsachlich. Aber nie so böse, dass es unangenehm wird. Eher erhöht es die Lesefreude, weil da einer den Mut hat, aus seinem Wissen heraus Urteile zu treffen. So erklärt er zur Kohlekommission im Jahr 2018: "Monatelang wurde verhandelt, und am Ende gab es eine Einigung, die in jeder Hinsicht ein Desaster ist." Ein Gruß Richtung Armin Laschet, der sich stets lobt für seinen Beitrag zum Kohlekompromiss. Uekötters Fazit hingegen lautet: Alle Seiten seien dermaßen mit Steuergeld zugeschüttet worden, bis auch der Letzte aufgegeben habe, seine Überzeugungen zu vertreten. Das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn es künftig darum geht, doch früher aus der Kohle auszusteigen als im Jahr 2038.

Wichtig ist das Buch vor allem wegen Uekötters Kenntnissen über die Entwicklungen im Ausland. Wird doch Klimaschutz hierzulande häufig sehr national diskutiert. So beerdigt er quasi die Atomkraft, weil sie betriebswirtschaftlich viel zu teuer sei und sieht Frankreich mit den vielen Kraftwerken in einer Sackgasse. Die Idee eines Plastikverbots komme aus dem globalen Süden, wer in Kenia eine Plastiktüte benützt, dem drohten vier Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe über 40 000 US-Dollar. Grund sei, dass die Tüten dort viel Schaden anrichten könnten, etwa wenn sie Wasserleitungen verstopften.

In einem Kapitel geht es darum, wie die nächste Umweltministerin in Deutschland auftreten und was sie tun sollte. Uekötters Schlusssatz: "Die Zeit ist reif für eine neue Generation umweltpolitischer Macher."

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SZ vom 08.11.2021
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