Am Ende spielen sogar die Computer verrückt in Madrid, der Server mit den Verhandlungsdokumenten stürzt ab. Er brauche da mal die Hilfe der entwickelten Länder, spottet der Verhandler Ägyptens. Technische Probleme in den entscheidenden Stunden der Klimakonferenz, das hatte gerade noch gefehlt. Doch so geht es zu am Sonntagvormittag in Madrid. Das Chaos beim Klimagipfel greift um sich.
Das Ende sagt viel über diese Konferenz, die ursprünglich mal in Brasilien stattfinden sollte, bis dort Jair Bolsonaro an die Macht kam; die nach Chile verlegt wurde, bis dort Unruhen ausbrachen; und die schließlich Madrid übernahm - wo sich dann ausgerechnet Brasilien als der größte Blockierer erweist. Wenn diese Konferenz nicht nur als die bisher längste, sondern auch als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingeht, dann hat das auch eine Menge mit den Verhandlern des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zu tun. "Bolsonaro hat eine dunkle Wolke über diese Konferenz ziehen lassen", sagt Martin Kaiser, Deutschland-Chef von Greenpeace. "Letztlich versucht Brasilien, die Integrität des Paris-Abkommens zu zerstören."
Die Konferenz hatte eigentlich die letzte große Leerstelle des Pariser Klimaabkommens füllen sollen - die Frage, wie Industrieländer Klimaschutz auch im Ausland betreiben können. Ein Marktmechanismus sollte entstehen, mit dem Investoren durch grüne Projekte in Entwicklungsländern Klimaschutz-Zertifikate generieren können, die dann wiederum andere Länder oder auch Unternehmen auf ihre Klimaziele anrechnen können. Das Paris-Abkommen sieht das vor; nur die Funktionsweise war unklar.
Doch bei dem Thema scheiterten die Verhandler im vorigen Jahr in Kattowitz, und sie scheiterten auch in Madrid - unter anderem wegen Maximal-Forderungen aus Brasília. "Bedauerlicherweise konnten wir nicht zu einer Einigung in dieser wichtigen Frage kommen", sagte Chiles Umweltministerin Carolina Schmidt, die sichtlich frustrierte, übernächtigte Präsidentin der Konferenz. Andere freuen sich heimlich, dass auch Brasilien sich nicht hat durchsetzen können: Selbst alte Zertifikate aus der Zeit des Kyoto-Protokolls wollten Bolsonaros Verhandler in die neue Zeit hinüberretten. Das hätte den Markt hoffnungslos überschwemmt, Staaten hätten sich billig vom Klimaschutz freikaufen können. Dann lieber gar nichts.
So bleibt nicht viel von dieser Klimakonferenz. Die Staatengemeinschaft will sich weiter mit Schäden und Verlusten befassen, die durch den Klimawandel in Entwicklungsländern entstehen; auch Geld kann es dafür geben, aber keinen Mechanismus, der die Reichen zur Hilfe für die Armen verpflichtet. Es gibt eine Schlusserklärung, in der sich die Staaten besorgt zeigen über die Ausmaße des Klimawandels. Vor allem bekräftigen sie aber darin, was im Pariser Abkommen ohnehin schon steht.
Und selbst hier baut sich Brasilien auf: Einer Klausel, die auch die Ozeane und die Landmassen in den Fokus rückt, will Brasiliens Delegierter plötzlich nicht mehr zustimmen. "Tut uns entsetzlich leid, aber das können wir so nicht annehmen." Erst als sich buchstäblich alle anderen Staaten zu den Paragrafen bekennen, knickt auch er ein. "Die Bremser dürfen nicht den Takt vorgeben", sagt hinterher Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Die Regierung Brasiliens aber will von all dem nichts wissen, sie sieht sich auch nicht als Bremser. Als Greta Thunberg die Ermordung zweier indigener Aktivisten kritisierte, nannte Jair Bolsonaro die 16-jährige Schwedin nur eine pirralha, eine Göre. Kurz davor hatte Brasiliens Präsident schon dem Hollywoodschauspieler Leonardo DiCaprio vorgeworfen, Organisationen zu finanzieren, die Brände im Amazonas legen. All das wirkt erst mal paranoid, ist aber die geschickte Wiederbelebung des alten Traumas der Brasilianer, fremde Mächte könnten ihnen den Amazonas abspenstig machen.
Brasilien selbst sieht sich eher als Opfer. Schon in den Tagen vor dem Klimagipfel sagte Brasiliens Umweltminister Ricardo Salles, sein Land sei kein Bösewicht, sondern ein Vorbild in puncto Nachhaltigkeit. Auf den ersten Blick mag das stimmen. Brasilien verfügt über eine relativ strenge Umweltgesetzgebung, es gibt riesige Schutzgebiete, und was die Erzeugung grüner Energie angeht, ist Brasilien sogar Teil der Weltspitze. Fast drei Viertel des Stroms kommt aus erneuerbaren Quellen. Es gibt riesige Wasserkraftwerke und nagelneue Windparks. Biosprit ist weit verbreitet.
Allerdings werden für Stauseen ganze Urwälder unter Wasser gesetzt, und das Zuckerrohr für die Erzeugung von Bioethanol wird längst auch in hochsensiblen Ökosystemen angebaut. Ohnehin ist die Landwirtschaft und die mit ihr verbundene Rodung der Hauptverursacher von Treibhausgasen in Brasilien. Gleichzeitig aber ist sie einer der Hauptmotoren der Wirtschaft. Auch Bolsonaro verdankt sein Amt zu einem großen Teil der Unterstützung durch diese bancada ruralista. Nun bedankt er sich mit der Freigabe immer neuer Landflächen und der systematischen Schwächung von Umweltvorgaben. So hat sich die Abholzung im brasilianischen Amazonas im November im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Tausende Hektar werden gerodet und abgebrannt, Kritiker müssen um ihr Leben fürchten.
Gleichzeitig spricht sich ein großer Teil der Bevölkerung bei Umfragen für mehr Umweltschutz aus. Auch Soja- und Rinderbarone denken langsam um: Sie fürchten um den Ruf ihrer Produkte. Auch wenn Bolsonaro mit einem Ausstieg aus dem Paris-Abkommen kokettiert, bleibt dieser Schritt sehr unwahrscheinlich. Alle Fortschritte bei den Verhandlungen zum EU-Mercosur-Abkommen wären zunichte gemacht. Brasilien entginge ein gigantisches Geschäft, Bolsonaro würde den Rückhalt der wichtigen Agrarlobby verlieren - und am Ende vermutlich auch sein Amt.
Als die Abstimmung zu den Marktmechanismen schon gelaufen ist, erteilt die Chilenin Schmidt noch einmal dem brasilianischen Delegierten das Wort: "Brazil, you have the floor." Doch der Delegierte lehnt irritiert ab, er wollte gar nichts sagen. Es war wohl ein technisches Versehen.