Süddeutsche Zeitung

Klimaforschung:Schon wieder richtig Sommer

Die Folgen der Erderwärmung werden immer deutlicher. Wissenschaftler hoffen, dass Gletscherschwund und steigende Meeresspiegel ein Umdenken einleiten.

Von Robert Gast

Das Schicksal der Menschheit liegt zwischen zwei Kurven. Die eine ist die der Optimisten. Sie steigt erst ein wenig an, dann läuft sie waagrecht wie ein stabiler Aktienkurs. Es ist eine Prognose des Weltklimarats IPCC für die globale Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2100. Sie besagt, dass sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um einen weiteren halben Grad erwärmen wird, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit würde der Anstieg 1,5 Grad betragen. Das wäre es dann aber auch. Das Zwei-Grad-Ziel der Vereinten Nationen würde erreicht, die Klimakatastrophe abgewendet.

Die andere Kurve führt in eine düstere Zukunft. Ihr zufolge steigen die Temperaturen wie auf einem Fieberthermometer, im Jahr 2100 wird die Vier-Grad-Marke geknackt. Kraftwerke, Fabriken und Autos stoßen immer weiter klimaschädliche Gase aus. Der Meeresspiegel steigt um bis zu einen Meter an, Inselstaaten verschwinden, Volkswirtschaften gehen zugrunde.

Bisher scheinen die Pessimisten recht zu behalten. Obwohl seit mehr als 20 Jahren über ein globales Klimaschutzabkommen diskutiert wird, steuert die Menschheit zielstrebig in Richtung Vier-Grad-Welt. Jahr für Jahr nehmen die Treibhausgas-Emissionen um etwa zwei Prozent zu. 2013 gelangten 36 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre, weil Menschen Kohle, Öl und Gas verbrennen oder Zement herstellen. Damit liegen die Emissionen gut 60 Prozent höher als vor 25 Jahren.

Klimaforscher können mit immer größerer Sicherheit sagen, dass die Treibhausgase den mit Abstand größten Einfluss auf den Klimawandel haben. Der letzte, 2014 veröffentlichte Sachstandbericht des IPCC hält es für "extrem wahrscheinlich", dass der Mensch mehr als die Hälfte der globalen Erwärmung seit 1951 verursacht hat. Dass andere Faktoren, zum Beispiel Schwankungen der Sonneneinstrahlung, einen ähnlich großen Einfluss haben, erscheint immer unplausibler.

Auch in einem anderen Punkt gibt es mehr Klarheit als noch vor einigen Jahren. Immer wieder überschattete die Frage die Klimadebatte, ob die Erwärmung nach 1998 eine Pause eingelegt habe. "Die Erwärmung hat nicht komplett stagniert, sie ist langsamer geworden", sagt Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Das sei eine Folge natürlicher Schwankungen gewesen, wie sie das Weltklima immer wieder zeige. Mittlerweile steigen die globalen Durchschnittstemperaturen wieder kräftig, 2015 wird vermutlich als bisher wärmstes Jahr seit Beginn systematischer Messungen in die Geschichte eingehen.

Die Ernten werden schlechter und die Korallen weniger

Gleichzeitig wird immer sichtbarer, dass sich der Planet rapide verändert. "Die Folgen des menschgemachten Klimawandels sind in den vergangenen Jahren deutlicher geworden", sagt Marotzke. Die Arktis und Grönland verlieren im Sommer immer schneller Eis, weltweit schrumpfen die Gletscher. Heute liegt der Meeresspiegel im Durchschnitt etwa 20 Zentimeter höher als im Jahr 1900. Auch führt der Klimawandel zu Ernteeinbußen, schätzt der IPCC. Derweil sind Hitzewellen in Europa, Asien und Australien häufiger geworden. Das alles könnten die Vorboten von weitaus drastischeren Veränderungen sein. So spricht viel dafür, dass mit steigender Temperatur auch tropische Wirbelstürme häufiger werden. Weil die Meere durch das viele CO₂ immer saurer werden, könnten früher oder später Korallenriffe und andere Meeresbewohner verenden. "Jenseits von zwei Grad Erderwärmung steigen die Großrisiken steil an", sagt Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. So könne etwa der Eispanzer Grönlands schmelzen - ein Prozess, der nicht mehr aufzuhalten ist, sobald er begonnen hat. "Dann steigt der Meeresspiegel allein wegen dieses Eisschilds um kaum vorstellbare sieben Meter", sagt Schellnhuber. Wie sehr das Klima aus dem Ruder läuft, hängt von der Menschheit ab. Als Idealziel gilt hier das optimistischste IPCC-Szenario, demzufolge die globale Erwärmung die Marke 1,5 Grad gegenüber vorindustrieller Zeit nicht überschreitet. In diesem Fall bleiben die Risiken für viele drastische Folgen des Klimawandels gering. Zu erreichen ist es - genauso wie das politisch gesetzte Zwei-Grad-Ziel - allerdings nur durch großen Verzicht. Die Staatengemeinschaft dürfte nur noch 1000 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre pusten. Wenn die Menschheit ihren Ausstoß nicht drosselt, könnte diese Marke schon Ende der 2030er-Jahre erreicht werden. Danach müssten sämtliche fossilen Energieträger im Boden bleiben.

Das wirkt nicht gerade realistisch. Auch das pessimistische IPCC-Szenario, das eine Erwärmung um vier Grad im Jahr 2100 prognostiziert, ist vermutlich zu extrem. Die vor der Pariser Konferenz abgegebenen Selbstverpflichtungen von mehr als 170 Staaten könnten die globale Erwärmung auf 2,7 Grad begrenzen, haben Forscher berechnet. Auch Jochem Marotzke glaubt, dass die Menschheit einen Weg zwischen den Extremen gehen wird. Schließlich habe es in den vergangenen Jahren einen Mentalitätswandel hin zu mehr Nachhaltigkeit gegeben. Das Vier-Grad-Szenario des IPCC hält der Klimaexperte noch aus einem anderen Grund für unrealistisch: "Auf dem Weg in diese Zukunft werden die negativen Folgen so deutlich werden, dass die Leute aufschrecken." Was die Folgen einer Erwärmung zwischen 1,5 und vier Grad sein werden, muss sich noch zeigen. Klar scheint zu sein: Je näher man der Temperaturkurve der Optimisten kommt, desto geringer werden die Risiken. "Es lohnt sich, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen", sagt Schellnhuber.

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Quelle:
SZ vom 28.11.2015
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