Es ist wieder einmal heiß in Baidoa. 33 Grad, vielleicht sogar 36 Grad werden es in diesen Tagen in der Stadt, so haben es die Wetterdienste vorausgesagt. Womöglich ziehen vereinzelte Gewitter auf, das wäre gut für den dürregeplagten Südwesten Somalias. Seit Jahren ist kaum noch Regen gefallen, nur im März prasselte zu viel davon auf den ausgedörrten Boden, es gab verheerende Fluten. Für die Stadt Baidoa bedeuten Flut wie Dürre dasselbe: Wieder flüchten sich Tausende Menschen aus der Umgebung in die Zelt- und Hüttenlager, die sich um die Stadt ausbreiten, dorthin, wo Hilfsorganisationen die Rettung vor dem drohenden Hungertod verheißen.
Dass es seit Jahren nicht mehr genug regnet am Horn von Afrika und die große Dürre Hunderttausende aus ihren Dörfern vertreibt, gilt auch als Resultat des Klimawandels. Dessen Folgen – die sich häufenden Extremwetter wie Hitze und Dürre, Stürme und Fluten, aber auch das Vordringen von Wüsten oder das Versalzen von Böden durch den steigenden Meeresspiegel – drängen nicht nur in Somalia Menschen zur Flucht. Der weitaus größte Teil versucht, sich in nahe gelegene Städte zu retten. Aber manche ziehen aus den Lagern noch weiter, 1670 Somalierinnen und Somalier haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres Asyl in Deutschland beantragt. Somalia gehört damit zu den zehn Ländern, aus denen die meisten Flüchtenden hierherkommen.
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Ist das deutsche Asylsystem das richtige für die Klimakrise?
Doch ist das deutsche Asylsystem das richtige Verfahren, um Menschen, denen die Klimakrise zeitweise oder dauernd ihre Heimat raubt, Aufnahme zu gewähren? Nein, sagt der Sachverständigenrat für Migration und Integration (SVR) nun und schlägt vor, solchen Klimaflüchtlingen neue Zugänge nach Deutschland und Europa zu verschaffen.
Ein Klima-Pass, eine Klima-Card und ein Klima-Visum sollten solchen Flüchtenden künftig die Einreise nach Deutschland erlauben, so raten die SVR-Migrationsforscher in ihrem am Dienstag vorgestellten Jahresgutachten. Deutschland sollte „hier eine Vorreiterrolle übernehmen“, empfehlen die Sachverständigen – auch weil die Industrienationen und somit auch Deutschland „eine besondere Verantwortung“ hätten im Kampf gegen die Klimakrise und deren Folgen.
Konkret soll der sogenannte Klima-Pass Bürgern von Staaten, die durch den Klimawandel ihr gesamtes Territorium verlieren, das Recht geben, dauerhaft nach Deutschland einzuwandern. Die Sachverständigen denken dabei an pazifische Inselstaaten, deren Atolle bei steigendem Meeresspiegel untergehen könnten. So weit ist es allerdings noch nicht.
Die Klima-Card soll einer begrenzten Zahl von Menschen aus bestimmten Staaten, die der Klimawandel erheblich, aber nicht existenziell trifft, befristet einen Aufenthalt in Deutschland erlauben – bis Anpassungsmaßnahmen in ihrer Heimat die Rückkehr erlauben.
Ein Klima-Arbeitsvisum soll Menschen auch aus Ländern, die vom Klimawandel nicht so stark betroffen sind, die Möglichkeit geben, hier zu arbeiten und Geld zu verdienen. Voraussetzung dafür wäre ein Arbeitsvertrag.
Einen deutschen Alleingang empfehlen die Forscher damit nicht, vielmehr die Abstimmung mit anderen Industrieländern. Auch die EU hätte Instrumente, Klimaflüchtlinge aufzunehmen, etwa die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, deren Aktivierung es derzeit Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern erlaubt, ohne Probleme nach Westen zu fliehen.
Doch wie viele Menschen würden sich auf der Flucht vor den Folgen der Klimakrise überhaupt auf den Weg nach Deutschland machen? Alle Prognosen seien „mit Unsicherheiten behaftet“, räumen die Forscher ein. Das liegt einerseits an äußerst lückenhaften Daten, andererseits daran, dass Migranten meist aus einem Mix an Motiven auswandern. Die unmittelbaren Folgen von klimabedingten Umweltveränderungen sind nur einer unter vielen Fluchtgründen.
Der Klimawandel könnte bis 2050 bis zu 216 Millionen Menschen aus ihrer Heimat treiben
Es kursieren darum sehr unterschiedliche Zahlen. Laut dem Groundswell-Bericht der Weltbank könnte der Klimawandel bis 2050 bis zu 216 Millionen Menschen aus ihrer Heimat treiben. Wer allerdings derzeit vor klimabedingten Naturkatastrophen flieht, tut das meist nur vorübergehend und innerhalb des eigenen Landes. Laut der Datenbank IDMC des Norwegischen Flüchtlingsrats, die solche internen Fluchtbewegungen beziffert, sind 2021 etwa 22,3 Millionen Menschen vor wetterbedingten Katastrophen geflohen, fast vier Millionen allein vor dem Supertaifun Rai, der im Dezember 2021 eine breite Schneise der Verwüstung durch die südlichen Philippinen riss und mehr als 400 Todesopfer forderte.
Geflüchtete, die in ferne Länder fliehen, nennen als Motiv jedoch nur selten das gewandelte Klima. Nach einer Befragung von Flüchtenden aus Staaten am Horn von Afrika durch das Mixed Migration Centre des Dänischen Flüchtlingsrats gab nur ein Prozent Naturkatastrophen und Umweltverhältnisse als Hauptgrund seiner Flucht an. Für 16 Prozent flossen Umweltfaktoren aber ein in ihre Migrationsentscheidung.
Auch inmitten der Dürre im somalischen Baidoa sind die Migrationswilligen eine Minderheit. Im vergangenen Jahr sagten nur elf Prozent der befragten jungen Erwachsenen, sie würden ernsthaft erwägen, ins Ausland zu gehen.