In einer offenbar international koordinierten Aktion versuchen Klimaaktivisten seit Mittwoch in mehreren Ländern, den Flugbetrieb zu stören. Dazu haben sich nach eigenen Angaben 15 Gruppen aus Europa und Nordamerika in der Kampagne „Oil kills“ – Öl tötet – zusammengeschlossen, darunter ist auch die „Letzte Generation“ aus Deutschland. Einige ihrer Mitglieder schafften es am Mittwochmorgen auf das Rollfeld des Flughafens Köln/Bonn, die Szenen wiederholten sich dann am Donnerstagmorgen in Frankfurt.
Weil Aktivisten sich dort auf dem Asphalt festklebten, musste der Flugbetrieb mehrere Stunden lang eingestellt werden. In Frankfurt, am größten deutschen Flughafen, mussten mindestens 200 der geplanten 1400 Flüge gestrichen werden. Auch im weiteren Verlauf des Tages gab es Verzögerungen, Zehntausende Reisende waren betroffen.
„Das war heute nur der Start“, sagte eine Vertreterin der „Letzten Generation“
In Norwegen, Finnland, Spanien, der Schweiz, Großbritannien, Kanada und den USA machten sich Aktivisten mit ähnlichen Aktionen bemerkbar. „Das heute war nur der Start“, sagte eine Vertreterin der „Letzten Generation“, Ronja Künkler, am Mittwoch, „in den kommenden Wochen werden wir das wiederholen, in Deutschland, in Europa, international, weltweit“. Die Initiative „Oil kills“ fordert die Regierungen der Länder auf, ein rechtsverbindliches, internationales Abkommen auszuarbeiten und zu unterzeichnen, das den globalen Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bis 2030 regelt. Das Verbrennen dieser Energieträger ist die Hauptursache für die Erderwärmung.
Vor allem die Aktion in Frankfurt führte in der deutschen Politik zu wütenden Reaktionen. „Diesen unverantwortlichen und kriminellen Klima-Chaoten geht es einzig und allein darum, möglichst großen Schaden anzurichten“, sagte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), „und das auf dem Rücken Tausender Urlauber, die sich auf ein paar Tage Ferien freuen.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Aktionen „gefährlich, dumm und kriminell“ – wer Landebahnen blockiere, riskiere sein eigenes Leben, gefährde andere Menschen und schade allen Reisenden.
Faeser wies darauf hin, dass die Bundesregierung bereits eine Verschärfung des Strafmaßes für derartige Aktionen vorantreibe. „Wir haben empfindliche Freiheitsstrafen vorgeschlagen“, sagte sie. Unterstützung erhielt sie von Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der in der Bild-Zeitung die „maximale Härte“ des Gesetzgebers forderte. Der FDP-Minister wies darauf hin, dass noch der Bundestag über die Gesetzesnovelle entscheiden muss, die in der vergangenen Woche bereits vom Kabinett beschlossen worden ist. „Mit diesem Gesetz zeigen wir, dass die Bundesregierung handlungsfähig ist und keine rechtsfreien Räume duldet“, hatte Wissing damals erklärt.
Geplant ist konkret, dass ein eigenständiger, neuer Straftatbestand im Luftsicherheitsgesetz geschaffen werden soll, um Menschen härter zu bestrafen, die unberechtigt das Rollfeld oder die Start- und Landebahnen eines Flughafens betreten, wenn dadurch „die Sicherheit des zivilen Luftverkehrs beeinträchtigt“ wird. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht dafür Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen vor. Wenn die Person dabei eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug bei sich trägt, soll die Haftstrafe sogar bis zu fünf Jahre betragen können.
Eine „Gefährdung des Luftverkehrs“ war nach Einschätzung der Gerichte bislang nie gegeben
Schon in der Vergangenheit hat es allerdings für Blockadeaktionen an Flughäfen Strafen gegeben. Auch ohne einen speziellen neuen Paragrafen hatte die Staatsanwaltschaft zum Beispiel im Fall von zehn Demonstranten der „Letzten Generation“, die an Pfingsten den Münchner Flughafen blockierten, Verfahren wegen Hausfriedensbruchs, Nötigung und Sachbeschädigung eingeleitet. Strafrahmen: bis zu drei Jahre Haft oder Geldstrafe. Gerichte haben in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit auch schon mehrmonatige Freiheitsstrafen ausgesprochen, wenn auch fast immer zur Bewährung.
Eine „Gefährdung des Luftverkehrs“, die laut Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden kann, war allerdings nach der Einschätzung der jeweiligen Gerichte bislang nie gegeben. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass Passagiere oder Maschinen konkret gefährdet werden, es also beinahe zu einem Unfall kommt. Die Aktionen der „Letzten Generation“ hatten diese Gefährlichkeit indes in keinem Fall. Und trotzdem – darauf laufen die Planungen der Bundesregierung nun hinaus – soll dieser höhere Strafrahmen künftig auf die Aktivisten angewendet werden.
Was sich in Deutschland erst allmählich entwickelt, ist in Großbritannien schon zu besichtigen. Dort sind am vergangenen Donnerstag Haftstrafen zwischen vier und fünf Jahren verhängt worden – für fünf Aktivisten der Gruppe „Just stop oil“, die im Jahr 2022 eine wichtige Verkehrsader Londons blockiert hatten. Unter den fünf Aktivisten war Roger Hallam, der 58 Jahre alte Mitgründer nicht nur dieser Protestgruppe, sondern auch der Gruppe „Extinction rebellion“, die der deutschen „Letzten Generation“ in Teilen als Vorbild gedient hat. Hallam erhielt fünf Jahre Haft, die übrigen vier Beschuldigten vor dem Gericht in London vier Jahre.
Strafen wie in zuletzt in Großbritannien wären in Deutschland bislang undenkbar
Strafen in dieser Höhe wären in Deutschland bislang undenkbar. Die höchste Strafe für Blockadeaktionen hierzulande lag bislang bei etwas mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Großbritannien verabschiedete unter der von den Konservativen angeführten Regierung zuletzt deutliche Verschärfungen des Strafrechts, die speziell auf Klimaaktivisten abzielen. Zentral war 2023 die Einführung neuer Regeln gegen die „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ – ein reichlich schwammig formulierter, flexibel einsetzbarer Vorwurf, der mit einem Strafmaß von bis zu zehn Jahren Gefängnis einhergeht.
Aktivisten von „Just stop oil“ waren im vergangenen Jahr an vier Tagen in Serie auf Signalstationen über der Autobahn M25 rund um London geklettert, woraufhin die Polizei den Verkehr anhalten musste. Geplant worden waren die Aktionen offenbar in einer Videokonferenz, in die sich heimlich ein Reporter der Zeitung The Sun eingewählt hatte. Der gab eine Aufzeichnung davon an die Polizei weiter.
Michel Forst, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Situation von Umweltschützern, kritisierte, derart hohe Strafen für grundsätzlich gewaltlosen Protest seien nicht akzeptabel in einer Demokratie. Zum Fall des Angeklagten Daniel Shaw, 38 Jahre alt, der vier Jahre Haft bekam, obwohl er zwar an dem Video-Meeting, aber nicht an den Aktionen beteiligt war, sagte Forst im Guardian: „Das ist wirklich schockierend.“
Menschenrechtsorganisationen wie Global Witness forderten die neue britische Regierung auf, zu intervenieren. Ein Sprecher des neuen, der sozialdemokratischen Labour Party angehörenden Premiers Keir Starmer widersprach allerdings, Urteile und Strafmaß seien die Sache von unabhängigen Gerichten. Nach Recherchen des Guardian hat die Polizei in den letzten Monaten des vergangenen Jahres mehr als 470 Demonstranten auf der Grundlage des Gesetzes von 2023 festgenommen, teilweise dafür, dass sie zu langsam auf einer Straße gegangen seien. Manche seien anschließend bis zu 50 Stunden festgehalten worden.
Laut Amnesty International wird Protest „systematisch eingeschränkt und unterdrückt“
Kritik übte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die die Situation in 21 europäischen Staaten untersucht hat, darunter auch Deutschland – mit dem Ergebnis, dass Protest „systematisch eingeschränkt und unterdrückt“ werde. Die Menschenrechtsorganisation bezieht sich dabei auf propalästinensische Veranstaltungen wie auf Klimaproteste. „Im Laufe der Geschichte hat friedlicher Protest eine zentrale Rolle gespielt, um Rechte und Freiheiten zu erlangen, die wir heute als selbstverständlich ansehen“, erklärte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, „doch überall in Europa werden Menschen, die friedlich protestieren, von den Behörden verunglimpft, behindert, oder unrechtmäßig bestraft.“
Dabei hätten die Behörden in Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei Klimaaktivisten nicht nur als „Öko-Terroristen“ bezeichnet, sondern sie auch mit Maßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität ins Visier genommen. Das ist in Deutschland derzeit die schärfste Maßnahme: der Vorwurf, bei Teilen der „Letzten Generation“ handele es sich um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafgesetzbuchs. Strafrahmen: bis zu fünf Jahre Haft.
Die Staatsanwaltschaft München hat den Abschluss ihrer entsprechenden Ermittlungen kürzlich für Ende August angekündigt. Danach dürfte es höchstwahrscheinlich einen Prozess gegen die Führung der „Letzten Generation“ vor dem Münchner Landgericht geben.